Mitten im Wahlkampf in Frankreich kommt der Rüffel der EU-Kommission: Sie bescheinigte der Regierung in Paris am Mittwoch eine exzessive Neuverschuldung, die ein Defizitverfahren nötig mache. Warum der Zeitpunkt pikant ist, weshalb deutsche Anleihen bei Investoren hoch im Kurs stehen und was die Europäische Zentralbank (EZB) zum Eingreifen bringen könnte:

Warum geht die EU gegen Frankreich vor?

Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone nach Deutschland macht mehr Schulden als erlaubt. Im vergangenen Jahr belief sich die Neuverschuldung auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Erlaubt sind nach den EU-Regeln nur drei Prozent.

Auch liegt der Schuldenstand weit über dem Grenzwert von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung: 2023 waren es 110,6 Prozent. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Quote bis 2025 auf 113,8 Prozent steigen wird.

Warum gibt es die EU-Obergrenzen?

Vereinbart wurden sie schon 1997 im Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ziel ist ein wirtschaftlich stabiler Euro-Raum und eine stabile EU. Deshalb werden die Länder zur Haushaltsdisziplin angehalten.

Die Schuldenkrise ab 2010 in Griechenland und anderen Euro-Ländern hat gezeigt, wie gefährlich überbordende Schulden einzelner Länder für die gesamte EU werden können. Damals wollten Investoren den betroffenen Ländern nur gegen enorm hohe Zinsen frisches Geld leihen. Die Länder mussten sparen, die Wirtschaft durchlief eine Flaute, der Euro geriet ins Wanken.

Die Krise musste durch das Einschreiten der Europäischen Zentralbank (EZB) und Milliardenhilfen der anderen EU-Staaten eingedämmt werden. Solche Turbulenzen sollen sich nicht wiederholen.

Warum ist der Zeitpunkt pikant?

Nach dem Debakel seiner liberalen Renaissance-Partei bei der Europawahl hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für den 30. Juni Parlamentswahlen ausgerufen. Das Defizitverfahren könnten seine politischen Gegner ausschlachten.

Die rechtsextreme Partei Rassemblement National von Marine Le Pen liegt in den Umfragen deutlich vorne. Stellt sie künftig den Ministerpräsidenten, wird die EU-Kommission mit einer stark europaskeptischen Regierung verhandeln müssen, die eher mehr Geld ausgeben will als weniger. Le Pens Partei will etwa das Renteneintrittsalter und die Energiepreise senken, zugleich auch die öffentlichen Ausgaben hochfahren.

Auch das neu gegründete Bündnis der französischen Linken will das Renteneintrittsalter senken und kritisiert die europäischen Defizitregeln.

Wie reagieren die Finanzmärkte?

Die sind beunruhigt. Der Risikoaufschlag, den Anleger für französische Staatsanleihen verlangen, kletterte kürzlich auf den höchsten Stand seit mehr als vier Jahren. Aktuell liegt die Rendite für zehnjährige Anleihen bei rund 3,15 Prozent, für deutsche Bundesanleihen dagegen nur bei 2,4 Prozent.

Auf die Frage, ob die gegenwärtige politische Lage zu einer Finanzkrise führen könnte, antwortete Finanzminister Bruno Le Maire kürzlich mit «Ja».

Was kann die EZB auf den Plan rufen?

Sollten die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen in die Höhe schiessen und Marktturbulenzen auslösen, könnte die Europäische Zentralbank (EZB) einschreiten. Sie besitzt mit dem sogenannten «Transmission Protection Instrument» (TPI) ein bislang noch nicht eingesetztes Werkzeug, um in Bedrängnis geratenen verschuldeten Euro-Staaten mit gezielten Staatsanleihekäufen unter die Arme zu greifen.

Die EZB kann damit ungerechtfertigten, ungeordneten Börsenentwicklungen entgegenwirken, wenn sie der Auffassung ist, diese drohten die einheitliche Wirkung der Geldpolitik im Euro-Raum zu untergraben.

Die Staatsanleihenkäufe sind allerdings an Bedingungen geknüpft: So müssen die betroffenen Länder unter anderem eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik betreiben und die Finanzregeln der EU einhalten. Ausserdem muss ihre öffentliche Verschuldung als tragfähig eingestuft werden.

Wie steht es um deutsche Staatsanleihen?

Seit den Europawahlen und der von Macron angekündigten vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich steigt die Nachfrage nach Bundesanleihen. «Wir sehen Nachfrage nach liquiden und auch sicheren Anleihen», sagt der Geschäftsführer der für das Schuldenmanagement des Bundes zuständigen Agentur, Tammo Diemer. «Davon profitiert der Bund-Markt gerade.»

Experten sprechen von einer Flucht in sichere Anlagen. Deutschlands Kreditwürdigkeit wird von allen grossen Ratingagenturen mit der Bestnote AAA bewertet. Zum Vergleich: Moody's bewertet die Kreditwürdigkeit Frankreichs derzeit mit Aa2. Damit wird dem Land zwar eine sehr hohe Bonität zugestanden, die aber langfristig schwerer einschätzbar ist.

Die anderen grossen Ratingagenturen Fitch und S&P Global liegen eine Note unter der von Moody's. Sinkt die Kreditwürdigkeit, wird die Aufnahme frischer Gelder für den Staat in der Regel teurer.

(Reuters)