Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 war ein klares Ziel der deutschen Aussenpolitik, weltweit um Unterstützung für den osteuropäischen Staat zu werben. In den ersten Abstimmungen der UN-Vollversammlung gelang dies noch eindrucksvoll, die Solidarität mit der überfallenen Ukraine war gross.
Aber ein Datum hat die Debatte spürbar verändert: der 7. Oktober 2023. Denn dem Hamas-Überfall auf Israel folgte eine israelische Militäraktion im Gazastreifen, bei der bisher mehr als 40'000 Palästinenser starben, darunter auch viele Kämpfer der Hamas.
Und auch wenn die Bundesregierung den Vergleich des Vorgehens Russlands und Israels erst vergangene Woche wieder energisch zurückwies: «Seither ist es noch schwieriger, Länder wie Brasilien, Südafrika, Indien oder Indonesien zu überzeugen, dass die sich gegen Russland als Aggressor stellen sollen», räumt ein deutscher Diplomat gegenüber Reuters ein. Die Ukraine ist also eine Art «Kollateralschaden» des Hamas-Überfalls und seiner Folgen. Und die deutsche Politik muss um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen.
«Wir hatten es vor dem 7. Oktober 2023 geschafft, eine grosse Geschlossenheit auch mit dem globalen Süden herzustellen. Dies aufrecht zu erhalten ist sicherlich schwieriger geworden», sagt auch der SPD-Aussenpolitiker Nils Schmid zu Reuters. Der Grund sei, dass es zwischen der Palästinenser-Organisation PLO und vielen früheren Befreiungsbewegungen, die etwa in afrikanischen Staaten nun an der Macht sind, enge Verbindungen gebe.
Der Nahost-Konflikt berühre den globalen Süden schon deshalb viel mehr als der Krieg im fernen Europa. «Das Vorgehen Israels und das lange Warten auf einen palästinensischen Staat stösst im globalen Süden auf grosse Kritik und erschwert unsere Position Richtung Ukraine», meint Schmid deshalb.
Zudem hat Russland in vielen Entwicklungsländern ein positives Image, weil die Sowjetunion sich lange gegen westliche Kolonialmächte einsetzte und viele Kämpfer ausbildete. Der Krieg mit der Ukraine tangiert viele Staaten auf der Südhalbkugel vor allem dadurch, dass sie unter steigenden Energie- und Rohstoffpreise litten - und deshalb ganz generell auf einen Frieden drängen.
Vorwurf Doppelmoral
Gerade weil die Bundesregierung seit dem russischen Überfall so vehement für Prinzipien des Völkerrechts auftrat, hat sie nun angesichts der auch noch öffentlich betonten Verachtung der israelischen Führung für die UN und Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates ein Glaubwürdigkeitsproblem. «Aus Ländern wie Indien, Brasilien oder Südafrika kommt seit dem 7. Oktober der Vorwurf 'Ihr messt mit zweierlei Mass'», sagt der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Stefan Mair, zu Reuters. Es gebe ohnehin den Vorwurf, dass die Europäer zwar Solidarität mit der Ukraine einforderten, sich aber auch nicht interessiert hätten, als tausende Menschen in Ländern wie dem Sudan starben.
Die Bundesregierung hat es besonders schwer: «Deutschland wird die Doppelmoral auch deshalb deutlich vorgehalten, weil die deutsche Politik ihrerseits den Vorwurf unethischen Verhaltens mit grosser moralischer Betonung vorgebracht hat», betont Mair nach Gesprächen mit Kollegen aus Brasilien, Südafrika oder Indien. Da hätten es Regierungen leichter, die Aussenpolitik vornehmlich als interessengeleitet verstünden.
Die Bundesregierung wird deshalb weltweit besonders intensiv gefragt, wieso sie im Falle Russlands Solidarität mit der Ukraine einfordert, im Falle Israels und den besetzten Gebieten im Westjordanland aber eine andere Politik verfolgt. Die nötige Verteidigungshaltung hemmt das Werben für die Ukraine.
Die Folge ist, dass sich die Unterstützerschar für Kiew immer mehr auf die klassischen westlichen Länder konzentriert, nämlich die USA, Deutschland, die EU-Partner und die G7-Länder. Hinter den Kulissen bremste die Bundesregierung mittlerweile die ukrainische Führung mehrfach, als diese erneut harte Resolutionen gegen Russland in die UN-Vollversammlung einbringen wollte. Die bröckelnde Zustimmung der Weltgemeinschaft könnte Moskau als diplomatischen Erfolg feiern, lautete die Warnung aus Berlin.
Die stärkere Betonung nötiger diplomatischer Anstrengungen etwa durch Kanzler Olaf Scholz hat zwar eine innenpolitische Komponente. Aber auch sie spiegelt die veränderte internationale Debatte wider, in der das Interesse am Ukraine-Konflikt deutlich sinkt.
Schon bei der Ukraine-Konferenz in der Schweiz konnte etwa China nicht mehr zu einer Teilnahme bewegt werden. Bei einer nächsten Konferenz, das betont auch Scholz, solle Russland anders als bisher eingeladen werden. Das fordert auch China, das neben Indien ohnehin zu den Staaten gehört, die mit gestiegenen, billigen Rohstoffeinkäufen in Russland am meisten vom Ukraine-Krieg profitieren. Dazu passt, dass sich Peking in Nahost mittlerweile offen auf die Seite der «arabischen Brüder» stellt.
(Reuters)