Seit der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022, also vor drei Jahren, haben die Ereignisse im osteuropäischen Land die Märkte immer wieder in Bewegung gebracht. Der Krieg führte zu einem Energiemangel und Versorgungsengpässen, während die westlichen Sanktionen Russland trafen. Nun steht ein Waffenstillstand zur Debatte.
Vor allem Donald Trump will eine schnelle Beendigung des Konflikts. Ob ein Deal zustande kommt, ist allerdings offen. Russland hat keine Eile mit einer Beendigung des Krieges, und die Ukraine stört, dass sie an den Verhandlungen zwischen den USA und Russland nicht beteiligt ist.
Christian Gattiker, Leiter Research bei Julius Bär, erwartet, dass ein Waffenstillstand den aktuellen Börsenanstieg in Europa verlängern und so die Konsumstimmung verbessern sowie den Druck auf operative Margen lindern könnte. Besonders Unternehmen aus der Chemie-, Bau- und Rohstoffbranche könnten überdurchschnittlich profitieren.
Die Wirtschaft in Deutschland und Frankreich, die während des Krieges unter Kaufzurückhaltung und hohen Energiekosten litt, dürfte ebenfalls spürbar anziehen. Anastassios Frangulidis, Chefstratege bei Pictet Asset Management Zürich, hebt hervor: «Wenn der Krieg in der Ukraine endet, wäre dies sicher eine gute Nachricht für die europäische Wirtschaft.»
Ein Wiederanstieg der Konsumausgaben könnte zudem für neue Impulse sorgen. Viele Haushalte haben ihre Ausgaben während der unsicheren Zeiten gedrosselt, was sich mit einer stabileren wirtschaftlichen Lage wieder ändern könnte. Gleichzeitig dürften Unternehmen in Europa wieder verstärkt in Wachstum und Produktion investieren, was positive Effekte für Maschinenbau und den Mittelstand haben könnte.
Wiederaufbau der Ukraine: Diese Sektoren und Unternehmen könnten profitieren
Ein Waffenstillstand würde den Wiederaufbau der Ukraine vorantreiben und insbesondere Unternehmen aus dem Bau- und Infrastrukturbereich begünstigen. Jeffrey Hochegger sagt, dass in der ersten Phase nach einem Friedensabkommen die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung im Vordergrund stehen werden: «Zunächst werden unbefriedigte Bedürfnisse entlang der Maslow-Pyramide gestillt, was bedeutet, dass grundlegende Dinge wie genug zu essen und ein Dach über dem Kopf an erster Stelle stehen werden», so der Anlagespezialist bei Raiffeisen Schweiz.
In dieser Phase dürften an der Schweizer Börse Unternehmen aus der Baubranche wie Sika und Holcim profitieren - vor allem wegen der steigenden Nachfrage nach Baustoffen und Infrastrukturprojekten im Wiederaufbau. Auch Georg Fischer und Geberit könnten von der erhöhten Nachfrage nach Rohrsystemen und Sanitärprodukten zulegen.
Neben dem Bausektor wird auch die Logistikbranche eine wichtige Rolle spielen. «Ein Ende des Krieges wird die Nachfrage nach Logistikdienstleistungen ankurbeln», so Hochegger. Frangulidis von Pictet fügt hinzu: «Eine Erholung der europäischen Märkte würde die Nachfrage nach Transport- und Logistikdiensten für den Wiederaufbau und die Umschichtung von Gütern aus der Ukraine erhöhen.»
Energie und Konsum: Langfristige Gewinner
Mit dem Wiederaufbau der Ukraine dürfte auch die Wirtschaftsaktivität steigen, insbesondere im Bereich Energie. Hochegger von Raiffeisen erwartet daher eine starke Zunahme der Energiebedarfs. Davon könnten Unternehmen aus der Stromproduktion, Netzinfrastruktur und Gasversorgung profitieren. Investitionen in Versorgungssicherheit und erneuerbare Energien spielen eine wichtige Rolle.
Die Einschätzungen zur Rolle der Banken im Wiederaufbau der Ukraine gehen auseinander. Jeffrey Hochegger geht davon aus, dass Banken von einer allgemeinen Marktberuhigung und der Finanzierung des Wiederaufbaus profitieren könnten. Eine stabilere wirtschaftliche Lage würde die Kreditvergabe und Investitionstätigkeit ankurbeln. Anastassios Frangulidis sieht dies jedoch kritischer und meint, dass Schweizer Banken in diesem Zusammenhang keine Schlüsselrolle spielen dürften.
Stattdessen hebt Frangulidis hervor, dass deutsche Banken stärker profitieren könnten, da sie in Deutschland und Europa eine grössere Präsenz haben. Seiner Einschätzung nach liegt das eigentliche Potenzial nicht bei Finanzinstituten, sondern in der exportorientierten Industrie. Unternehmen, die nach Deutschland und andere europäische Märkte liefern, dürften die ersten sein, die von einer wirtschaftlichen Erholung profitieren. Besonders Mittelständler und Small Caps könnten in diesem Szenario überdurchschnittlich wachsen.
Ein entscheidender Faktor für den Wiederaufbau könnte Deutschland sein. Anastassios Frangulidis betont die zentrale Bedeutung der deutschen Wirtschaft: «Deutschland ist der wirtschaftliche Hauptakteur in Europa und dürfte eine Schlüsselrolle im Wiederaufbau der Ukraine spielen.» Davon könnten insbesondere exportorientierte Schweizer Unternehmen profitieren, die eng mit der deutschen Wirtschaft und anderen europäischen Märkten verbunden sind.