Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Menschen leben im Durchschnitt immer länger und verbringen somit mehr Zeit im Ruhestand. Dies stellt Rentensysteme weltweit vor grosse Herausforderungen. Die Sorge vieler Menschen ist dabei, den Lebensstandard im Ruhestand finanziell drastisch anpassen zu müssen. Sie fürchten eine "Vorsorgelücke", welche die Differenz zwischen erwartetem Einkommen und den Ausgaben nach Renteneintritt bezeichnet. Wie eine Umfrage von Liechtenstein Life ergab, befürchten mehr als die Hälfte (57,6 Prozent) der befragten Personen, die nötigen Mittel nicht auftreiben zu können. 

Einige Leute sind durchaus realistisch und sagen sich teils auch mit Blick auf die persönliche Lebenssituation, dass sie im Rentenalter bewusst bescheidener leben wollen - mit entsprechend geringeren Ausgaben. Andere wollen den hohen Lebensstandart bewusst beibehalten. Eine Faustregel besagt dabei: Um den Lebensstandard nach der Pensionierung halten zu können, müssten die Einnahmen in der Pension 80 bis 90 Prozent des letzten Einkommens ausmachen. Das Ziel des Schweizer Vorsorgesystems ist es dabei, im Schnitt 60 bis 70 Prozent des letzten Einkommens abzudecken. Dieses Einkommen setzt sich aus den Renten der Ersten (AHV) und der Zweiten (Pensionskasse) Säule zusammen.

Die restlichen 20 bis 30 Prozent, welche demnach für die Beibehaltung des Lebensstandards entscheidend sind, können durch die private Vorsorge sichergestellt werden. Begünstigt wird eine solche "Vorsorgelücke" durch Unterbrechungen in der Erwerbstätigkeit, Teilzeitarbeit, Frühpensionierung, Scheidung, häufig neue Jobs und die damit einhergehenden Pensionskassenwechsel oder eine fehlende Sparquote. 

Unrealistische Sparquoten

Der International Pension Gap Index der UBS vergleicht Rentensysteme in 25 Märkten, basierend auf den erforderlichen freiwilligen Sparanstrengungen der Versicherten. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle wie die Entwicklung am Finanzmarkt, die erwerbstätige Zeit und somit die Rentendauer oder das Geschlecht. Denn obwohl Vorsorgesysteme häufig geschlechtsneutral sind, spielen gesellschaftliche Trends eine Rolle. Beispielsweise tendiert die Mehrheit der Frauen dazu, ihre Karriere häufiger zu unterbrechen oder in Teilzeit zu arbeiten. 

Am weiblichen Beispiel mit einem gesetzlichen Renteneintrittsalter von 65 Jahren und einer Lebenserwartung von 87 Jahren für Schweizerinnen wurde der nötige Sparaufwand berechnet. Die in der Studie genannte “Jane” ist eine 50-jährige Frau, die im Alter von 20 Jahren erwerbstätig wurde, über ein mittleres Einkommen verfügt, drei Jahre kein Einkommen generierte, in Zürich wohnt, ein erwachsenes Kind hat und bisher nur für Notfälle gespart hat. Jane müsste also rund ein Drittel ihres Nettoeinkommens sparen und investieren, um ihren aktuellen Lebensstil im Ruhestand aufrechtzuerhalten.

Ist das realistisch? Nicht wirklich, sagt UBS-Ökonomin Elisabeth Beusch: "Mit einem Monatseinkommen von weniger als 8'000 Franken bleibt nach Abzügen kaum ein Drittel zum Sparen übrig." Ein Schweizer Medianlohn von 6788 Franken lässt darauf schliessen, dass mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmenden nicht über genug Einkommen verfügt, um den erforderlichen Betrag zu sparen. 

Der Vorsorgelücke frühzeitig gegenwirken

Eine sogenannte Vorsorgelücke berechnet man, indem man die voraussichtlichen Renten aus der Ersten und Zweiten Säule zusammenrechnet und diese mit dem geschätzten persönlichen Jahres-Bedarf aufrechnet - es ist also eine Art Budget-Planung fürs Rentenalter. "Um die gesamte Vorsorgelücke zu berechnen, multipliziert man die Differenz zwischen dem Bedarf im Ruhestand und der voraussichtlichen Jahresrente mal 20", schreibt Swiss Life. Die Zahl 20 berechne sich aus der angenommenen durchschnittlichen Lebenserwartung von 85 Jahren bei Renteneintritt im Alter von 65.

Um einem Einkommensmissstand im Alter entgegenzuwirken, empfehlen Finanzberater, so auch Elisabeth Beusch, früh mit dem "Sparen" zu beginnen. Wer früh anfängt, kann die erforderlichen Sparquoten aufgrund der längeren Spardauer oder der höheren erwarteten Renditen von Wertpapieranlagen senken. Wertpapiere, da bieten sich, für Leute in allen Lebensabschnitten, vor allem solide Aktien an, die hohe Dividenden ausschütten. Bevorzugte Anlagevehikel sind für Wertpapiere aller Klassen börsenkotierte Indexfonds (Exchange Traded Funds, kurz: ETF)

Bei Inanspruchnahme von freiwilligen Vorsorgeregelungen profitieren Anleger ausserdem von Steuervorteilen. Der freiwillige Einkauf in die Pensionskasse bietet eine solche steueroptimierende und sparquotenreduzierende Möglichkeit - also nebst den obligatorischen Beiträgen noch zusätzlich in die Pensionskasse einzahlen. Vorsorgeplaner empfehlen diese Möglichkeit in der Regel aber erst ab einem Alter von 50 Jahren. Beachten sollten Versicherte vor allem den finanziellen Zustand der Pensionskasse ihres Arbeitsgebers.

Regelmässige Einzahlungen in die Säule 3a, welche gleichzeitig flexibler ist bei der Begünstigung im Todesfall oder bei der Anlage des Geldes, sind aber die wohl einfachste Möglichkeit. Dafür nimmt die Zürcher Kantonalbank (ZKB) den Charakter Noah als Beispiel. Er ist 25 Jahre alt und verfügt über ein Jahreseinkommen von 80'000 Franken. Wenn er jährlich monatlich 200 Franken respektive jährlich 2'400 Franken in die Säule 3a einzahlt, beträgt das Guthaben in 40 Jahren 96’000 Franken.

Verfolgt er dabei eine ambitionierte Anlagestrategie mit einem Aktienanteil von 75 Prozent, erhöht er den Betrag sogar auf 214'500 Franken. Dies immer gemessen an den erwarteten Aktienrenditen, die sich aus den letzten Jahrzehnten im Schnitt ergeben haben. Dieses Guthaben hilft ihm, bei der Pensionierung eine mögliche Vorsorgelücke zu reduzieren.

Wer einen langen Anlagehorizont habe, könne mehr Risiken eingehen

Elisabeth Beusch weist aber darauf hin: "Man sollte sich der Risiken, die mit Investitionen verbunden sind, bewusst sein." Wer einen langen Anlagehorizont habe, könne mehr Risiken eingehen. Auch die Steuervorteile seien stark von der persönlichen Situation, wie dem Zivilstand, Einkommen oder Wohnort abhängig, weshalb es keine universelle Lösung gebe.

Grundsätzlich gilt: Je später festgestellt wird, dass das Pensionseinkommen und die verbleibende Erwerbszeit nicht ausreichen werden, um den geplanten finanziellen Lebensabend zu finanzieren, desto grösser wird die Vorsorgelücke – und desto schwieriger wird es, sie zu schliessen. Deshalb muss man bereit sein, einen gewissen Kompromiss einzugehen. Dies auch bei der Wohnsituation im Rentenalter.

"Die Frage, die sich jede und jeder persönlich stellen sollte, ist: Welcher Wert hat für mich mein zukünftiger Konsum im Vergleich zu meinem heutigen Konsum", so Beusch. Wer also die Zukunft hoch gewichtet, müsse im "Hier und Jetzt" bereit sein, Einbussen einzugehen - oder umgekehrt. Wichtig sei, dass man entsprechend der eigenen Präferenzen plane.

Aisha Gutknecht arbeitet seit Juli 2024 als Redaktorin für cash.ch.
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