Ob Bulle oder Bär, alles und jeder schaut, oder besser gesagt hört heute auf den Vorsitzenden der US-Notenbank. Wer bisher auf eine gewisse Sommerschwäche der wichtigsten Börsenbarometer gesetzt hat, lag goldrichtig, und nun, da die Berichtssaison mehr oder weniger vorbei ist, könnte der Zinsmarkt wieder zum Haupttreiber der Aktien werden, im positiven wie im negativen Sinne.
Im vergangenen Jahr reichte die achtminütige Rede Powells in Jackson Hole aus, um den S&P 500 Index um 3,4% in den Keller zu schicken. Statistisch gesehen zwar ein Ausreisser, und in Anbetracht rückläufiger Inflationsdaten dürfte die Rede vermutlich nicht zu falkenhaft ausfallen. Aufgrund der dünnen Handelsvolumina im Sommer, der noch laufenden Korrektur der Rally, des schwachen Momentums und systematischer Investoren wie Trendfolger oder Volatility-Control-Fonds, die zwischenzeitlich von Aktienkäufern zu Aktienverkäufern geworden sind, könnten aber bereits kleinere Überraschungen für grössere Ausschläge sorgen.
Volatilitäts-Futures sind zwar von ihren Höchstständen etwas zurückgekommen, liegen aber immer noch deutlich über dem Niveau von Anfang August, was darauf hindeutet, dass viele Anleger die günstigen Preise am Optionsmarkt nutzen, um sich gegen mögliche Überraschungen im Redemanuskript des Fed-Chefs abzusichern.
In einer Kundennotit hält der Goldman Sachs Stratege Richard Privorotsky fest, dass die Agenda von Jackson Hole bekannt ist und es aber nicht klar ist, was der Vorsitzender Powell sagen wird. Der Markt konzentriert sich auf jede Erwähnung des neutralen Zinssatzes. "Ich denke, das ist mehr als eingepreist, und eine subtile Geste in diese Richtung wäre wahrscheinlich erkauft. Die grössere Überraschung ist, dass der japanische Zentralbank-Präsident Kazuo Ueda auf einer Podiumsdiskussion auftritt und nicht alleine spricht. Dies könnte das Potenzial verringern, dass er übergrosse oder bewusste Signale für einen Politikwechsel aussendet. Über Nacht erhielten wir einige zusätzliche Kommentare von FOMC-Mitglied Harker, der gemässigt klang, und Mester, der restriktiv klang. EZB-Präsidentin Christine Lagarde wird wahrscheinlich restriktiv klingen, aber ich glaube nicht, dass sich der Markt allzu sehr darum kümmern wird. Nagels Äusserungen über Nacht waren keine Überraschung."
(cash/Bloomberg)