Punkt Anfang 2022 wurde mit der geldpolitischen Wende das Party-Ende bei den Technologie- und Wachstumsaktien eingeläutet. Eine hohe Inflation und die wirtschaftliche und geopolitische Entwicklung - Stichwort Ukraine-Krieg - haben die weltweiten Börsen zusätzlich in einen Abwärtsstrudel geschickt. Der MSCI World Index hat seit Jahresbeginn 19 Prozent verloren, der weltweite Referenzindex für den Technologiesektor steht derweil 26 Prozent tiefer.
Immer dann, wenn die Aktienkurse stark schwanken oder südwärts zeigen, rücken stabile, antizyklische Aktien von relativ konjunkturunabhängigen Unternehmen in den Fokus. Dahinter steht eine einfache Gleichung: Je zyklischer das Geschäft eines Unternehmens, desto stärker schwankt Umsatz und Gewinn im Verlauf eines Konjunkturzyklus. In der Regel geht im Falle einer wirtschaftlichen Rezession der Aktienkurs entsprechend zurück. Als besonders zyklisch gelten die Aktien von Chip-Herstellern, Technologiefirmen oder Autoherstellern.
Es gibt aber Produkte wie Lebensmittel, Hygieneartikel oder Medikamente, die selbst in Krisenzeiten für Menschen unverzichtbar sind - die Krankheit muss behandelt und der Hunger gestillt werden. Und auch mit einem unvorteilhaften Geruch sollte man besser nicht ins Büro. In den Branchen Telekommunikation, Gesundheit, Versicherung, nichtzyklischer Konsum und Versorger wirkt sich eine Konjunkturkrise meist unterdurchschnittlich schwach aus. Dies ist jedenfalls die Theorie. Im Endeffekt entscheidet aber, wie die Kursentwicklung an der Börse aussieht.
Defensive Sektoren bieten Krisenschutz - aber kein Allheilmittel
Und siehe da: Alle defensiven Sektoren schneiden in diesem Jahr global besser ab als der alles umfassende MSCI World Index. Wer Anfang Jahr eine defensivere Ausrichtung seines Portfolios vorgenommen hat, verfolgte daher grundsätzlich die richtige Strategie und konnte das Kursminus zumindest eindämmen.
Innerhalb der defensiven Sektoren manifestieren sich aber erhebliche Unterschiede. So zeigt der Gesundheitssektor (-13 Prozent) deutliche Schwäche. Die Versorger (-4 Prozent) sind gleich 9 Prozentpunkte stärker. Die Übersicht:
Index | Sektor | Kurs seit 1. Januar 2022 |
MSCI World Utilities Sector Index | Versorger | -4 Prozent |
MSCI World Insurance Index | Versicherung | -9 Prozent |
MSCI World Telecom Services Industry Index | Telekommunikation | -10 Prozent |
MSCI World Consumer Staples Index | Konsumgüter | -10 Prozent |
MSCI World Health Care Index | Gesundheit | -13 Prozent |
MSCI World Index | Alle Sektoren | -19 Prozent |
MSCI World Information Technology Index | Technologie | -26 Prozent |
Quelle: Bloomberg.
Augenscheinlich ist die Underperformance des Gesundheitssektor auch hierzulande, wo die Genussscheine von Roche mit minus 17 Prozent seit Anfang Januar stärker fallen als der Swiss Market Index (SMI). Im europäischen Kontext stehen von den bekannten Pharmatiteln einzig AstraZeneca (+25 Prozent), Bayer (+8 Prozent) und Novo Nordisk (+8 Prozent) höher als zu Jahresbeginn. In den USA gehören Bristol-Myers Squibb (+12 Prozent) und Merck & Co. (+13 Prozent) zu den grossen Gewinnern.
Für einen Pharmahersteller ist es am Ende des Tages entscheidend, möglichst viele Erfolg versprechende Produkte in der Entwicklungs-Pipeline zu haben. Die Erkenntnisse der jährlichen Forschungs- und Entwicklungstage sind für den weiteren Kursverlauf der einzelnen Aktie weitaus bedeutender als die aktuelle, bereits eingepreiste Bilanz. Daher ist ein Investment in eine Einzelaktie vielfach mit einem gewissen Risiko verbunden, während der Sektor insgesamt Stabilität bietet. Dies gilt auch für Novartis, das diesjährig nur ein Kursminus von 2 Prozent aufweist und von Analysten grossen Zuspruch erhält, aber letzthin mehrere Rückschläge bei Produktkandidaten verkraften musste. Stützend wirkt das Aktienrückkaufprogramm.
Grundversorger ohne Europa noch besser - Zurich Insurance stark
Grundversorger wiederum böten dieses Jahr global noch ein deutlich bessere Kursrendite, hätten nicht viele europäische Unternehmen wie Uniper (-86 Prozent) oder Fortum (-63 Prozent) unter den reduzierten Gaslieferungen und den hochgeschossenen Preisen derart gelitten. In Europa steht der Sektor diesjährig 12 Prozent tiefer, während dieser in den USA 7 Prozent gewinnt. Die Kursrendite bei einem Investment in den US-Versorger Constellation Energy, der zwei Millionen Menschen mit Strom und Gas versorgt, liegt beispielsweise sogar bei plus 96 Prozent. Mit BKW können Anlegerinnen und Anleger auch in der Schweiz ihre Defensive stärken. Das Kursminus liegt bei 1 Prozent, wobei die Dividendenrendite von 2,1 die Gesamtrendite in den positiven Bereich hebt.
Versicherungen sind ein Geschäft, welches beispielsweise auch die Börsenlegende Warren Buffett liebt. Denn oft sind solide, wachsende Gewinne möglich. Und die Dividendenrendite ist meist auch überdurchschnittlich hoch. Sinnbildlich hierfür ist hierzulande Zurich Insurance, das eine hohe Dividendenrendite von 4,8 Prozent aufweist und dieses Jahr Anlegerinnen und Anlegern eine Kursrendite von knapp 7 Prozent beschert - der drittbeste Versicherungs-Titel in Europa. Der Sektor gemessen am MSCI World Insurance Index steht gleichzeitig 9 Prozent tiefer.
Doch wie bei den Versorgern oder den Gesundheitswerten gibt es auch Versicherungskonzerne, die diesjährig Investoren gar keine Defensive bieten. Dazu zählt die Allianz (-18 Prozent) aus Deutschland, Generali (-21 Prozent) aus Italien oder Prudential (-28 Prozent) aus Grossbritannien. Die Probleme sind dabei teilweise hausgemacht: Abschreibungen auf Kapitalanlagen und ein Teilverkauf des Russlands-Geschäfts haben Allianz trotz eines verbesserten Tagesgeschäfts zuletzt einen Gewinnrückgang eingebrockt und die Aktie unter Druck gesetzt.
Von Börsenprofis werden hierzulande meist immer die gleichen defensiven Titel ins Schaufenster gestellt: Neben Roche und Novartis gehört auch immer der Nahrungsmittel-Gigant Nestlé dazu. Mit einem Kursminus von 11 Prozent schneidet dieser aber gegenüber dem Referenzindex schlechter ab, Danone (-5 Prozent) oder Unilever (-3 Prozent) performen deutlich besser. Für Anlegerinnen und Anleger lohnend war bei den europäischen Konsumgüterherstellern ein Investment in das norwegische Fischzuchtunternehmen SalMar, dessen Aktien 8 Prozent gewonnen haben und eine Dividendenrendite von 3,1 Prozent bieten.
Zu den Topperformern im Konsumsektor zählen mit Kellogg und Campbell Soup (beide +14 Prozent) zwei altbewährte Defensivkünstler der US-Lebensmittelindustrie. Der Haushaltswarenhersteller Church & Dwight (-17 Prozent) oder Procter & Gamble (-14 Prozent) mit seinen Marken wie Ariel oder Pampers fallen seit Jahresbeginn hingegen deutlich zurück. Bei beiden Unternehmen setzen die teureren Rohstoffe die Marge unter Druck. Beim international tätigen Procter & Gamble drückt auch der starke Dollar das Wachstum.
Defensive bleibt weiterhin angesagt - ETF als Königsweg
Der hohe Inflationsdruck zwingt die Notenbanker weiterhin die Zinsschraube fester anzuziehen: Die EZB wird wohl bei ihrer Zinssitzung am nächsten Donnerstag die Zinsen um 0,75 Prozentpunkte anheben. Die US-Notenbank Fed zieht zwei Wochen später nach - am Markt wird eine Erhöhung von 75 Basispunkten erwartet. Die Inflation dürfte dadurch zwar gedämpft werden, aber die bereits rückläufige wirtschaftliche Aktivität auch.
Aufgrund dieser Ausgangslage ist es für Anlegerinnen und Anleger weiterhin von Vorteil, auf defensive Werte zu setzen - das Abwärtsrisiko wird dadurch deutlich minimiert. Vor allem Aktien von Unternehmen, die eine starke Preissetzungsmacht besitzen, eine stabile Dividendenpolitik befolgen und eine starke Bilanz mit wenig Verschuldung haben, stehen im Fokus. Da das Investment in Einzelaktien wesentlich riskanter ist und eine intensive Auseinandersetzung mit den Unternehmen voraussetzt, eignen sich breit gestreute Branchen-ETF (Exchange Traded Funds) vielfach besser. Eine Auswahl:
ETF | Sektor | Kurs seit 1. Januar 2022 | Dividendenrendite | Gesamtkostenquote |
iShares STOXX Europe 600 Telecommunications UCITS ETF | Telekommunikation | -2 Prozent | 2,5 Prozent | 0,5 Prozent |
iShares Global Utilities ETF | Versorger | -3 Prozent | 2,9 Prozent | 0,4 Prozent |
Lyxor STOXX Europe 600 Insurance UCITS ETF | Versicherungen | -7 Prozent | 5,7 Prozent | 0,3 Prozent |
SPDR MSCI World Health Care UCITS ETF | Gesundheit | -7 Prozent | 1,8 Prozent | 0,3 Prozent |
iShares MSCI World Consumer Staples Sector UCITS ETF | Konsumgüter | -9 Prozent | 2,1 Prozent | 0,3 Prozent |
Quelle: Bloomberg.
Mit den aufgelisteten ETF hat man seit Jahresbeginn zwar kein Kursplus erzielt, wie es mit einer Einzelaktie teilweise möglich gewesen wäre, doch Anlegerinnen und Anleger schlagen den Gesamtmarkt auch so um Längen. Ob Einzelaktie oder ETF: Am Ende des Tages gilt auch weiterhin das Tina-Prinzip (There is no Alternative). Auch in den kommenden Monaten, wo die Rezessionsgefahr bei gleichzeitig nur leicht gedämpfter Teuerung spürbar zunehmen wird und Cash auf dem Bankkonto weiterhin an Wert verliert, gibt es keine wirkliche Alternative zu dem Sachwert schlechthin: die Aktie.