cash.ch: 2009 betrug der Umsatz von Cicor 160 Millionen Franken. 2024 werden es gemäss Analysten voraussichtlich 490 Millionen Franken sein. Bis Ende 2026 wird mit einem weiteren Umsatzwachstum von knapp 16 Prozent gerechnet. Der Gewinn-pro-Aktie dürfte in den nächsten zwei Jahren um 30 Prozent steigen. Cicor hat wachstumsähnliche Züge, wird aber mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11 bewertet. Wie erklären Sie sich diesen deutlichen Abschlag?

Alexander Hagemann: Es ist sicher schwer, dafür gute Erklärungen zu finden. Ich sehe einige Gründe - auch in der Historie. Sie sprechen 2009 an. Ich kenne Investoren, die noch 1998 ansprechen. Die Geschichte von 2009 bis 2016 war tatsächlich eine wechselhafte, weil Cicor Anfang der Nullerjahre einige Akquisitionen getätigt hatte, es nach meiner Analyse hingegen versäumt hat, diese Unternehmen anständig zu integrieren. Das hat dann dazu geführt, dass zwischen 2010 und 2016 das Management im Wesentlichen mit dem Löschen von Brandherden beschäftigt war. Die Firma ist dabei durch ein Tal der Tränen gegangen. Diese Periode ist noch bei vielen Schweizer Investoren im Gedächtnis. Gleichzeitig nehmen sie vielleicht die Veränderungen der letzten Jahre noch gar nicht ausreichend wahr. Die geringe Bekanntheit unseres Sektors in der Schweiz dürfte dafür mitverantwortlich sein. In Grossbritannien oder in Skandinavien wird über Unternehmen aus diesem Sektor deutlich mehr berichtet.  <>

Eine Erklärung könnte auch die niedrige Margenhöhe sein. Wieso wurden während der Präsentation der Finanzziele für 2028 keine nennenswerten Margenerhöhungen festgelegt? 

Das Geschäftsmodell im Bereich der Auftragsentwicklung und Produktion von Elektronik verbindet zwei Elemente. Erstens eine enorme Skalierbarkeit, und auf der anderen Seite gibt es marktgegebene Grenzen für die Profitabilität. Wir haben eine Bandbreite von 10 bis 13 Prozent Ebitda. Wir entwickeln uns organisch recht zügig an das obere Ende dieses Bandes. Nachdem wir andere Unternehmen akquirieren, müssen wir diese auch erst auf dieses Profitabilitätsniveau bringen. Wichtig ist jedoch, dass wir einen signifikanten Teil dieses Ebitda in freien Cashflow umwandeln. Im normalen Umfeld erwarten wir innerhalb Jahresfrist die Hälfte des Ebitda in freien Cashflow umgewandelt zu haben. Damit sind unsere Übernahmen schon nach kurzer Zeit profitabel und generieren Liquidität. 

Ist im EMS-Markt die «Winner-Takes-It-All»-Strategie die erfolgversprechendste?

Im EMS-Geschäft ist Konsolidierung tatsächlich wichtig und in Europa gibt es viel Potenzial. Diese Vielzahl an kleinen und Kleinstunternehmen finden Sie weder in Asien noch in Nordamerika. Das ist ein Spezifikum des europäischen Marktes. Allerdings darf sich die «the winner takes it all» nicht auf nur Volumen und Umsatz beziehen. Wichtig ist, dass wir den strategischen Fokus auf unsere Zielmärkte - Healthcare, Industrial sowie Aerospace und Defence - beibehalten. Das nennen wir High-Mix-Low-Volume. Wir sind kein Massenhersteller, sondern wir sind in den Nischen tätig. Das dritte Element, das wir in unserer neuen Strategie dazugefügt haben, ist die frühe Partnerschaft mit den Kunden – nämlich während der Produktentwicklung und nicht erst in der Produktion.

Sehen Sie die derzeit allgemein hohen Unternehmensbewertungen als ein Risiko an, zu viel für Übernahmen zu zahlen - oder als Bremsklotz, um diese Konsolidierung weiter voranzutreiben?

Die Bewertungen sind in unserem Markt nicht so hoch. Das ist auch damit verbunden, dass wir es noch gar nicht so grossem Wettbewerb in den Übernahmeaktivitäten zu tun haben und wir allgemein ein sehr attraktives Angebot in Bezug auf Strategie und Integration machen. Wir sind daher derzeit in der Lage, zu niedrigen Bewertungen zu akquirieren. Wir zahlen typischerweise zwischen 5- bis 7-mal den Unternehmenswert zum Ebitda.

Wie differenziert sich Cicor von der Konkurrenz?

Indem wir ein klar definiertes Angebot haben, und fokussiert in allen Unternehmensabläufen agieren. Das bedeutet die Kombination vom sogenannten «High Mix-Low Volume» und anspruchsvollen Absatzmärkten. Wir erlauben uns nicht, dass wir unser Angebot verwässern, beispielsweise durch Aktivitäten im Bereich Computer, Consumer oder Automobil. Wir haben die Prozesse, den Footprint und den Fächer an Fähigkeiten ganz speziell auf diese Märkte zugeschnitten. Damit haben wir einen klares Differenzierungsmerkmal gegenüber der Mehrzahl unserer Mitbewerber.

Zum Ausblick: Sie erwarten eine Erholung ab nächstem Jahr, wobei die diesjährigen Ergebnisse noch unter der Sektorschwäche leiden dürften. Die Erholung des gesamten Halbleitersektor wurde aber schon vor längerer Zeit prognostiziert, ist bisher jedoch ausgeblieben. Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist?

Es gibt einerseits den Gesamtmarkt und dann gibt es die Positionierung von Cicor im Markt. Der Markt ist tatsächlich schwer in Europa, und die meisten unserer Wettbewerber haben ein organisches Wachstum, das bei durchschnittlich negativ 15 Prozent liegt. Wir haben bislang ein negatives organisches Wachstum von 4 Prozent berichtet. Warum wachsen wir stärker? Das hat zwei wesentliche Gründe. Der eine ist, dass wir in weniger zyklischen Märkten tätig sind. Also gerade der Medizintechnikbereich und der Luftraumfahrtverteidigungsbereich folgen anderen Zyklen als zum Beispiel konsumnahe Bereiche oder Bau. Und das zweite ist, dass wir sehr erfolgreich sind, aufgrund unserer Differenzierungsmerkmale Neukunden zu gewinnen. Für jeden Kunden, den wir verlieren, gewinnen wir fünf neue Kunden. Ich weiss nicht, ob der Gesamtmarkt jetzt deutlich wachsen wird oder ob er konstant bleibt. Aber die Treiber von Cicor, die dürften bestehen bleiben und für deutliches organisches Wachstum sorgen.

Inwiefern hat der deutliche republikanische Sieg, also die Exekutive und die beiden legislativen Kammern in den USA, einen Einfluss für Cicor und auf die Angebots- und Nachfragedynamik und etwaige Erholung im Chipsektor? 

Das sind Themen, die wir natürlich ständig verfolgen, und die Einfuhrzölle in den USA sind jetzt nicht erst seit heute ein Thema, sondern schon seit 2016. Unabhängig davon, welcher Präsident im Weissen Haus sitzt, verfolgen die Amerikaner seit mehr als zehn Jahren eine aggressivere Politik gegenüber China und eine Politik zur Stärkung der eigenen Industrie. Cicor ist eines der ganz wenigen europäischen EMS-Unternehmen, das in Südostasien sehr stark präsent ist. Es gibt tatsächlich kaum ein Unternehmen aus Europa, das in Südostasien eine nennenswerte Präsenz hat. Und von dieser Entwicklung weg von China wird Cicor eindeutig ein Profiteur sein. Was die Abschottung der USA gegenüber anderen Ländern angeht, sei es Europa, Deutschland, denke ich, sollte abgewartet werden, bis sich der Staub gesetzt hat. Ich denke, da wird nicht so viel passieren, wie aktuell befürchtet.

Knapp 30 Prozent der Cicor-Aktien sind seit 2021 im Besitz des Private Equity Unternehmens One Equity Partner. Am 12. Dezember hat OEP eine Wandelanleihe ausgeübt und diese Beteiligung auf 41 Prozent erhöht. Daraufhin wurden sie verpflichtet, ein Übernahmeangebot an die Aktionäre zu machen. An einer Gesamtübernahme ist OEP aufgrund des tiefen Übernahmepreises offensichtlich nicht interessiert. Was sind deren Ziele?

Sie verfolgen zwei Ziele: Das erste ist eine Vereinfachung der Kapitalstruktur. Erst jetzt sieht man die wahre Marktkapitalisierung von Cicor. Das sind die 250 Millionen Franken und nicht der Wert, der vorher genannt wurde, weil diese Aktien, die für die Wandlung der Pflichtwandelanleihe erzeugt wurden, natürlich nicht enthalten waren. Und das Zweite ist, das ist eine Annahme meinerseits, dass OEP damit Fakten geschaffen hat in dem Sinne, dass sie jetzt das Pflichtangebot machen konnten und machen durften zu einem sehr niedrigen Angebotspreis. Das führt dazu, dass OEP künftig keinen Druck mehr haben wird. Nehmen Sie das Szenario an, die Wandlung wäre zum spätestmöglichen Zeitpunkt, beispielsweise im Januar 2027 erfolgt, und nehmen wir einmal an, die Cicor wird dann fairer bewertet sein - also deutlich höher als heute. Dann hätte OEP ein Pflichtangebot zu diesem sehr viel höheren und heute natürlich noch nicht bekannten Preis machen müssen. Also hat OEP zwei Dinge erreicht. Erstens haben sie dieser Pflicht zu einem niedrigen Kurs entledigt. Zweitens haben wir nun eine klare und einfache Kapitalstruktur.

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Alexander Hagemann leitet seit September 2016 die Cicor Gruppe. Zuvor war er von 2007 bis 2016 CEO der Schaffner Holding und leitete verschiedene Geschäftsbereiche der Schott AG in Deutschland, den USA und Singapur. Alexander Hagemann war von 2011 bis 2017 Mitglied und von 2017 bis 2023 Präsident des Verwaltungsrats der Weidmann Holding. Weiter ist er in der Swiss American Chamber of Commerce engagiert.
 

Luca_Niederkofler
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