IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger sagte am Donnerstag vor Beginn der dritten Verhandlungsrunde in Wolfsburg, es sei ein «Armutszeugnis, dass die bestbezahlten Vorstände der Republik bis heute keine Wege aufzeigen ohne Schliessungen, ohne Massenentlassungen, ohne dass ganze Regionen in grosser Sorge sind». Die Gewerkschaft habe einen Vorschlag unterbreitet, der Einsparungen bei den Arbeitskosten um 1,5 Milliarden Euro beinhalte. «Heute ist die allerletzte Chance für Volkswagen, noch vor Auslauf der Friedenspflicht zu einer guten Lösung zu kommen.»

Mehr als 6000 VW-Mitarbeiter waren nach Angaben der IG Metall vor die Volkswagen-Arena nach Wolfsburg gekommen, viele hatten sich dafür frei genommen. Hier versammelten sich Beschäftigte aus allen VW-Standorten in Deutschland, sie waren zum Teil schon früh am Morgen mit Bussen nach Wolfsburg gefahren. Sie hielten selbstgemalte Plakate und Fahnen der IG Metall in die Luft, zündeten rote Bengalofeuer und feuerten rote Luftschlangenkanonen ab. Mit Trommeln, Trillerpfeifen und lauten Tröten machten sie ihrem Unmut Luft. Einer hatte sich vor der Bühne als Sensenmann verkleidet. «Jeder macht sich Sorgen und Gedanken darüber, wie es in Zukunft weitergehen soll», sagte der 53-jährige Mohammed, Montagearbeiter aus Hannover.

In dem Fussballstadion, in dem normalerweise der Bundesligaklub VfL Wolfsburg seine Heimspiele austrägt, kamen die Unterhändler beider Seiten zur dritten Verhandlungsrunde zusammen. Allerdings fehlte VW-Chefunterhändler Arne Meiswinkel, der nach Angaben einer Sprecherin kurzfristig erkrankt ist. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sich beide Seiten bereits in dieser Verhandlungsrunde auf einen Tarifabschluss einigen. Damit drohen VW erstmals seit 2018 wieder Streiks: IG-Metall-Vertreter Gröger sagte, im November werde es keine weitere Chance auf eine Einigung mehr geben. Die Friedenspflicht endet am 30. November, Streiks sind damit theoretisch ab dem 1. Dezember möglich. «Bereits bis heute haben sich mehrere tausend Metallerinnen und Metaller intensiv auf dieses Szenario vorbereitet», ergänzte er. Zugleich bekräftigte er das Ziel, bis Weihnachten zu einer Einigung zu kommen.

VW-Betriebsratschefin: Maximale Provokation

Auch Betriebsratschefin Daniela Cavallo beschwor den Kampfgeist der Belegschaft. Der VW-Vorstand trete damit die Werte von VW mit Füssen.«Das ist eine maximale Provokation», sagte sie. Sie forderte zugleich das Unternehmen erneut auf, konstruktive Lösungsvorschläge für die aktuelle Krise aufzuzeigen. «Denn wenn das nicht langsam kommt, dann kommen wir der Eskalation immer näher. Die Arbeitgeberseite sollte nicht den Fehler machen, anzunehmen, dass die Belegschaft nicht kampfbereit ist.»

Das Unternehmen fordert in dem Tarifkonflikt unter anderem eine Lohnkürzung um zehn Prozent und schliesst Werksschliessungen nicht aus. VW-Finanzvorstand Arno Antlitz begründete das zuletzt unter anderem mit massiven Überkapazitäten: Auf dem europäischen Markt würden derzeit zwei Millionen Fahrzeuge weniger verkauft als vor der Corona-Pandemie, für VW bedeute das, dass 500.000 Autos jährlich fehlten. Die Arbeitnehmer wollen auf die Überkapazitäten mit einem Fonds antworten, der eine Arbeitszeitverkürzung an den besonders betroffenen Standorten finanzieren kann. Sie bezifferten das Sparvolumen bei den Arbeitskosten damit und mit anderen Ideen auf 1,5 Milliarden Euro. Zugleich fordern sie Perspektiven für alle Standorte des Unternehmens in Deutschland. Es gehe um Weichenstellungen, die sicherstellten, dass Volkswagen langfristig Erfolg habe, sagte Cavallo.

Ende 2023 hatte sich Volkswagen mit dem Betriebsrat auf ein zehn Milliarden Euro schweres Sparprogramm geeinigt. Allerdings reichen diese Einsparungen inzwischen nicht mehr aus: Cavallo sprach zuletzt von einem Sparziel von 17 Milliarden Euro, das sich das Unternehmen vorgenommen hat. Volkswagen leidet zum einen unter der schwächeren Nachfrage nach Neuwagen in Europa. Vor allem der Absatz von Elektroautos ist zuletzt eingebrochen. Dazu kommen die Probleme auf dem chinesischen Markt, wo inzwischen heimische Anbieter dem jahrzehntelangen Platzhirsch VW bei Elektroautos das Wasser abgegraben haben.

(Reuters)