Zinswende und Präsidentenwahl werfen ihre Schatten in den USA voraus. Während die US-Notenbank bei sinkender Inflation über ein Lockern der Zinsschraube im laufenden Jahr nachdenkt, sorgt dies bei den voraussichtlich im November um das Präsidentenamt rangelnden Kandidaten für Zündstoff. Während der demokratische Amtsinhaber Joe Biden jüngst die Vorfreude auf die für seine Wiederwahlchancen wohl positive Zinswende kaum im Zaum halten konnte, wittert sein potenzieller Herausforderer Donald Trump von den Republikanern Wahlkampfhilfe vonseiten der Notenbank.

Diese ist unabhängig von der Politik und betont immer wieder, dass sie ihre Arbeit ausschliesslich am Mandat zur Förderung von Preisstabilität und Vollbeschäftigung ausrichtet. Doch das Timing von Zinssenkungen wenige Monate vor der Wahl könnte Biden nach Ansicht mancher Experten tatsächlich in die Karten spielen. «Zinssenkungen erfreuen sich bei den Menschen grosser Beliebtheit. Sie werden wirklich dazu beitragen, das Vertrauen in die Wirtschaft zu stärken, gerade wenn die Wahlen stärker ins Blickfeld der Menschen rücken», meint Celinda Lake, die als Meinungsforscherin für Bidens Präsidentschaftswahlkampagne 2020 gearbeitet hat.

Der Amtsinhaber konnte seine Freude über diese Aussichten bei einem Wahlkampfauftritt in Philadelphia jüngst kaum verhehlen: «Ich kann es nicht garantieren, aber ich wette mit Ihnen – ich wette mit Ihnen, dass die Zinssätze noch sinken werden», prophezeite Biden. Das Weisse Haus stellte später klar, dass er nur seine Sicht auf die Wirtschaft zum Ausdruck gebracht hat und der unabhängigen Fed keine Empfehlung gab.

Trump stellt Biden auf seinen Wahlkampfveranstaltungen immer wieder als den für die hohe Inflation im Land Verantwortlichen an den Pranger. In einem Fox Business-Interview raunte er jüngst offenbar mit Blick auf eine Schützenhilfe der Fed für Biden, er glaube, Notenbankchef Jerome Powell wolle die Zinsen senken, «damit vielleicht Leute gewählt würden».

In Umfragen zeigt sich immer wieder, dass die Amerikaner das Thema Wirtschaft im Wahljahr ganz besonders umtreibt. Die US-Notenbank steuert auf eine Zinswende Mitte des Jahres zu und sieht trotz der langen Hochzinsphase keine Rezessionsgefahr heraufziehen: Im Gegenteil, sie erwartet in ihren jüngsten Projektionen weiterhin Wirtschaftswachstum, niedrigere Arbeitslosigkeit und einen Rückgang der Inflation.

Wetten auf sinkende Zinsen

Nicht nur Biden wettet daher auf eine Zinssenkung, sondern auch die Finanzmärkte: Nach der für den 12. Juni erwarteten Zinswende dürfte ein weiterer Schritt nach unten Mitte September folgen, wenn die Händler richtig liegen. Biden könnte diese geldpolitischen Schritte als Beleg dafür anführen, dass die Inflationswelle unter seiner Präsidentschaft gebrochen wurde.

Die Fed hält den Leitzins bereits seit Juli 2023 in der Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent. Mit dieser Stellschraube wird nicht nur die Geldschöpfung der Banken gesteuert. Sinkt der Leitzins, so werden auch Hypotheken tendenziell günstiger für Häuslebauer, und Autokäufer kommen an billigere Verbraucherkredite. Überdies sind bessere Finanzierungsbedingungen für kleine Unternehmen drin. Die Frage ist allerdings, ob womöglich zwei kleine Zinsschritte im Umfang von insgesamt einem halben Prozentpunkt nach unten vor der Wahl am 5. November in den Augen der Verbraucher einen grossen Unterschied machen.

Lindsay Owens, Leiterin der Denkfabrik Groundwork Collaborative, ist da eher skeptisch. Die Fed werde die Zinsen zu langsam senken, als dass Biden im Wahlkampf allzu viel Honig daraus saugen könne. Angesichts des Hochzinsumfelds würde eine Senkung um ein oder zwei Schritte vor November nichts an hohen Hypothekenzinsen ändern.

Laut Fed-Chef Powell wollen die Währungshüter auf dem Weg zur Zinswende über die hereinkommenden Daten einen «höheren Grad an Zuversicht» erlangen, dass sich die Teuerung nachhaltig auf das Ziel von zwei Prozent zubewege. Mit einer Teuerungsrate von 3,2 Prozent war die Inflation zuletzt wieder auf dem Vormarsch. Der Wirtschaftsprofessor Michael Walden von der North Carolina State University hat einen Ratschlag für den Fed-Chef im Getümmel des Wahlkampfjahres parat: Von wo auch immer Kritik auf ihn einprasselt, Fed-Chef Powell sollte bereit sein, sich in den kommenden Monaten die Ohren zuzuhalten." 

(Reuters)