Der Chef der amerikanischen Notenbank Jerome Powell will zwar weiterhin umsichtig sein, sagte aber in einer Rede am Donnerstagabend: «Die Wirtschaft sendet keine Signale, dass wir es mit niedrigeren Zinsen eilig haben müssen.» Jüngst habe sich die US-Wirtschaft bemerkenswert robust gezeigt, bei weitem besser als jede andere grosse Volkswirtschaft der Welt, führte der Fed-Vorsitzende aus.

Offenbar bestärkte die Aussage Powells die Perspektive auf erhöhte Zinsen: Der Dollar sprang im Zuge der Rede von 88,50 auf 89,17 Rappen. Und an der Wall Street dämpften die Äusserungen die Hoffnung auf eine Zinssenkung im Dezember. «Die Äusserungen von Powell haben die zuvor sehr optimistischen Aussichten auf Zinssenkungen weiter eingetrübt», sagte Adam Hetts, Global Head of Multi-Asset bei Janus Henderson Investors. Die wichtigsten Börsenbarometer schlossen mit Kursverlusten.

Die Entwicklung des Leitzinses werde aber davon abhängen, so der Fed-Chef weiter, wie sich die eingehenden Daten und die Wirtschaftsaussichten darstellen. Zu den für die Fed relevanten Daten zählen Informationen zum Wirtschaftsleistung, zum Arbeitsmarkt und zur Inflation. Entsprechend passt sie ihre Geldpolitik an - was bisweilen eine Gratwanderung ist: Bei einer allzu starken Lockerung riskiert die Notenbank ein Wiederaufkommen der Inflation. Ist die Geldpolitik zu restriktiv, könnten der Arbeitsmarkt und die Wirtschaft geschwächt werden.

Die Fed hat im September die Zinsen um 50 Basispunkte gesenkt. Anfang November hat sie einen weiteren Zinsschritt nach unten folgen lassen, diesmal um 25 Basispunkte. Nun sieht Powell das Unterfangen, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen, auf gutem Weg. Angesichts der weitgehend ausgeglichenen Arbeitsmarktlage und der gut verankerten Inflationserwartungen gehe er davon aus, dass die Inflation weiter in Richtung des 2-Prozent-Ziels sinken wird - «wenn auch auf einem manchmal holprigen Weg».

Aus Anlegersicht dürfte derweil nicht nur das Tempo der Zinssenkungen relevant sein, sondern auf die Frage, wo die Zinsen sich langfristig hinbewegen und wie stark sie folglich noch fallen können. Damit rückt der sogenannt neutrale Zinssatz, bei dem die Wirtschaft weder angekurbelt noch gebremst wird, ins Blickfeld. Laut Roger Aliaga-Díaz, Chefökonom des US-Vermögensverwalters Vanguard, liegt dieser neutrale Zinssatz bei ungefähr 3,5 Prozent. Die Differenz zur aktuellen Spanne des geldpolitischen Schlüsselsatzes beträgt 1 bis 1,25 Prozentpunkte.

Die Spanne befindet sich zur bei 4,50 bis 4,75 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass es nach der Fed-Sitzung vom Dezember dabei bleibt, beträgt gemäss der CME Fed Watch 41 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Zinssenkung um 25 Basispunkte liegt bei 59 Prozent.

Notenbank will Auswirkungen des US-Regierungswechsels abwarten

Im Weiteren sagte Jerome Powell, die US-Notenbank habe Zeit, bevor sie ihre Politik aufgrund der Rückkehr Trumps als Präsident anpassen müsse. «Ich denke, es ist zu früh, um hier Urteile zu fällen und wir wissen nicht wirklich, welche Politik umgesetzt werden wird», ergänzte Powell. Die Fed werde abwarten, was die gewählten Vertreter tun, und «ich denke, wir haben Zeit, um die Auswirkungen der politischen Veränderungen auf die Wirtschaft zu beurteilen, bevor wir mit unserer Politik reagieren.» Trump, ein Anhänger von Strafzöllen und Steuersenkungen, hatte sich bei der Wahl am 5. November gegen Kamala Harris durchgesetzt.

Die Fed-Vertreter könnten zwar damit beginnen, die möglichen Auswirkungen von Zöllen und anderen Wahlkampfvorschlägen Trumps zu durchdenken, sagte Powell. Es brauche aber Zeit, um sie zu verstehen, und dass sie erst dann deutlich würden, wenn neue Gesetze oder Verwaltungserlasse in Kraft gesetzt würden. «Die Antwort liegt nicht auf der Hand, bis wir die tatsächliche Politik sehen», sagte Powell. «Ich möchte nicht spekulieren. (...) Wir sind noch Monate von einer neuen Regierung entfernt.»

Dennoch merkte er an, dass die wirtschaftlichen Bedingungen heute anders seien als zu Beginn von Trumps Amtszeit, als die Inflation, das Wachstum und die Produktivität niedriger waren. Der jüngste Anstieg der Einwanderung zum Beispiel habe die Wirtschaft in einer Zeit des Arbeitskräftemangels nach der Pandemie vergrössert. Er wollte sich zwar nicht zu Trumps Absicht äussern, nicht autorisierte Einwanderer zu deportieren, fügte aber hinzu, dass «wenn es weniger Arbeitskräfte gibt, auch weniger Arbeit geleistet wird».

Trump hat der Fed während seiner ersten Amtszeit (2017-2021) wiederholt vorgeworfen, mit zu hohen Zinsen den Aufschwung zu gefährden. Er bezeichnete die unabhängigen Währungshüter damals als ahnungslos und vertrat die Ansicht, dass er Powell absetzen könne, wenn er dies wolle. Powell hatte vergangene Woche klar gemacht, dass er seinen Posten nicht vorzeitig räumen wird, selbst wenn ihn der kommende Präsident dazu auffordern sollte.

(cash/Reuters)