Seit über einem Jahrhundert gehört Hongkong zu den wichtigsten Schifffahrtszentren Asiens mit einer Vielzahl dort ansässiger Reedereien, Makler und Versicherer. Doch angesichts wachsender Spannungen zwischen den USA und China kehren einige Firmen Branchenkreisen zufolge der ehemaligen britischen Kronkolonie den Rücken.
Sie tun dies diskret und wohl auch nicht in Scharen, aber manche lassen ihre Frachter nicht länger unter der Flagge Hongkongs fahren oder verlagern ihren Betrieb zum Beispiel nach Singapur. Sie tun dies wegen drohender US-Sanktionen, wie sechs Branchenvertreter sagen. Im Fall eines Militärkonflikts beispielsweise über die Zukunft Taiwans fürchten sie auch eine Beschlagnahmung von Schiffen durch chinesische Behörden.
«Wir wollen nicht in eine Lage kommen, in der China anklopft und unsere Schiffe haben will, während uns die USA auf der anderen Seite ins Visier nehmen», sagt ein Manager, dem für die Recherche des sensiblen Themas Anonymität zugestanden wurde.
Insgesamt hat die Nachrichtenagentur Reuters mit zwei Dutzend Branchenvertretern mit Bezug zu Hongkong gesprochen, neben Schifffahrtsmanagern auch mit Versicherern und Juristen. Gezeigt hat sich eine wachsende Besorgnis, dass die Handelsschifffahrt in den Strudel US-chinesischer Konflikte geraten könnte.
Recht auf Schiffs-Beschlagnahmung aus Kolonialzeit?
Die Branche treibt neben drohenden US-Sanktionen vor allem die Sorge um, dass Handelsschiffe unter der Flagge Hongkongs von den chinesischen Behörden im Notfall beschlagnahmt werden können, um beispielsweise als Versorgungsschiffe der Marine zu dienen.
Ein Sprecher der Regierung von Hongkong betont, dass weder die Gesetze zum örtlichen Schiffsregister noch zu Notständen dies ermöglichten. Doch den Regelungen aus der Kolonialzeit zufolge hätten die Behörden durchaus diese Möglichkeit. Der Sprecher wollte sich nicht dazu äussern, ob diese im Notfall tatsächlich angewandt werden könnten. Die Regierung in Peking nahm gar nicht zu dem Thema Stellung.
Die Sorge vor einer chinesischen Invasion Taiwans und die wachsende Kontrolle der Kommunistischen Partei über Hongkong hat aber einem Insider zufolge beispielsweise die Reederei Taylor Maritime zur schrittweisen Abkehr von der Hafenstadt an der Südküste Chinas veranlasst.
Das 2014 in Hongkong gegründete Unternehmen hat dort inzwischen eine kleinere Präsenz und unterhält nun auch Büros unter anderem auf Guernsey und in Singapur. Seine Schiffe fahren vermehrt unter den Flaggen von Singapur und den Marshall-Inseln. Die in London börsennotierte Firma führt dies offiziell auf ihre Geschäftsstrategie zurück. Doch Taylor habe in Hongkong «wirklich Risiko-Minimierung betrieben», sagt der Insider.
Trendwende im Schiffsregister von Hongkong
Die in Hongkong ansässige Reederei Pacific Basin Shipping lässt ihre 110 Schüttgutfrachter traditionell unter der Flagge der Metropole fahren. Doch nun seien Notfallpläne für den Wechsel in ein anderes Register geschmiedet worden, sagen zwei Insider. Schiffe müssen aus rechtlichen Gründen in einem Land registriert sein, also unter dessen Flagge fahren. Hongkongs Register ist beliebt, seit 1997 wuchs es offiziellen Daten zufolge um rund 400 Prozent.
Nun aber gibt es nach Zahlen der Schifffahrtsdaten-Firma VesselsValue eine Trendwende: Stand Januar fuhren noch 2366 Hochseeschiffe unter der Flagge Hongkongs - acht Prozent weniger als 2021. Neben Dutzenden Schüttgutfrachtern wechselten 15 Tanker und sieben Container-Schiffe nach Singapur und zu den Marshall-Inseln.
Die Reeder-Vereinigung von Hongkong zeigt sich gelassen. Die Unternehmen hätten ihre Notfallpläne auf der Grundlage von Risikobewertungen in einem komplexen geopolitischen Umfeld angepasst, sagt Verbandschef Angad Banga. Bedenken wegen drohender Beschlagnahme kenne er nicht, und er sehe auch «keinen grossen Exodus oder Vertrauensverlust in Hongkong».
(Reuters/cash)