Der Abverkauf am Bondmarkt hat die Renditen zehnjähriger US-Treasuries (Staatsanleihen) am Montag auf ein 16-Jahres-Hoch von 4,35 Prozent getrieben. Angesichts der anhaltend robusten Konjunktur stellen sich die Anleger darauf ein, dass die Zinsen auch nach dem Ende der Fed-Straffung hoch bleiben.
Problematisch für Aktien ab 5 Prozent Bondrendite
Trotz Rekordstand bei den Renditen meinen die Strategen der Bank of America Merrill Lynch, dass sich Anlegerinnen und Anleger vorerst keine Sorgen um Aktien machen müssen. Erst wenn die Renditen der US-Treasury-Bonds 5 Prozent erreichen, würden Anleihen attraktiver als Aktienanlagen werden.
Ein wesentlicher Faktor ist, dass die höheren Refinanzierungssätze noch nicht bei den Unternehmen angekommen sind, weil die US-Unternehmen in den Jahren 2020-2022 günstig an langfristiges Kapital gekommen sind. Gemäss einer Analyse von Goldman Sachs wird der Refinanzierungsbedarf in den nächsten zwei Jahren historisch niedrig bleiben – nur etwa 16 Prozent der Unternehmensschulden werden in den nächsten zwei Jahren fällig.
Der Stratege Jan Hatzius von Goldman Sachs hält mit Blick auf die langfristig höheren Zinsen fest, dass die Unternehmen später einen grösseren Teil des Umsatzes für die Deckung höherer Zinsaufwendungen aufwenden müssen. In der Vergangenheit habe sich aber gezeigt, dass die Unternehmen mit verschiedenen Gegenmassnahmen darauf reagieren können. "Wir stellen fest, dass Unternehmen für jeden zusätzlichen Dollar an Zinsaufwendungen ihre Investitionsausgaben um 10 Cent und die Arbeitskosten um 20 Cent senken."
Derzeit ist noch offen, ob die Auswirkungen der höheren Zinsen auf die Wirtschaft entweder geringer oder grösser als üblich ausfallen könnten. Einerseits sind die Barmittelbestände historisch hoch, was dazu beitragen könnte, den Einbruch abzufedern. Andererseits hat die Zahl der unrentablen Unternehmen weiter zugenommen.
"In früheren Untersuchungen haben wir herausgefunden, dass unrentable Unternehmen ihre Investitionen und Beschäftigung überproportional kürzen, wenn sie mit Margendruck konfrontiert sind", erläutert Hatzius.
Aktiennachzügler und Qualitätsaktien auf der Kaufliste
Unterstützung für den Bullenmarkt gibt es nicht nur von Bank of America Merrill Lynch, sondern auch von Mark Haefele, Chief Investment Officer von UBS Global Wealth Management. Die Erwartungen der Anleger an den langfristigen neutralen Zinssatz in den USA sind im vergangenen Monat gestiegen. Da das Wirtschaftswachstum auf oder über dem Trend bleibt, hat das nachlassende Rezessionsrisiko in den USA die zyklischen Aussichten für Aktien direkt verbessert und indirekt die Erwartungen an die langfristigen makroökonomischen Aussichten erhöht.
"In unserem taktischen Basisszenario empfehlen wir weiterhin Aktiennachzügler als beste Möglichkeit, sich für eine sanfte Landung zu positionieren. Diese würden einen weiteren Auftrieb erhalten, da der säkulare Bullenmarkt immer wahrscheinlicher wird", schreibt Haefele in seinem Report am Dienstag.
Kurzfristig, respektive für den Rest des Sommers, könnten die Märkte aber angespannt bleiben, da die Anleger nach Anzeichen dafür Ausschau halten, dass die Befürchtungen einer erneuten Inflationsbeschleunigung gerechtfertigt sind, und darüber spekulieren, wie die Fed auf solche Nachrichten reagieren wird.
Der weltweit grösste Vermögensverwalter Blackrock zeigt sich ebenfalls beeindruckt, wie widerstandsfähig die Märkte auf die höheren langfristigen Obligationenrenditen reagieren. Und dies obwohl die Berichtssaison in den USA gemäss Jean Boivin, Leiter des BlackRock Investment Institute, durchzogen ausfiel.
Eine konkrete Empfehlung gibt Boivin Investierenden dabei mit auf den Weg: "Wertpapierauswahl, Fachwissen und Analysefähigkeiten sind derzeit noch wichtiger, um eine Rendite über dem Benchmark zu erzielen." Er empfiehlt, die zahlreichen Chancen bei unterbewerteten Unternehmen aufgrund möglicher Marktfehlbewertungen zu nutzen. "Wir mögen Qualität sowohl bei Aktien als auch bei kurzlaufenden, festverzinslichen Wertpapieren."
Ein Blick auf den Small Cap Index Russell 2000 zeigt dabei exemplarisch, wieso Stock-Picking an Bedeutung hinzugewinnt: Mehr als die Hälfte der 2000 im Index vertretenen Unternehmen fährt derzeit einen Verlust ein.