Der eine hat eine der besten Jahreshälften hinter sich, der andere hält sich knapp über Wasser. Die Rede ist von den beiden US-Indizes S&P 500 und Dow Jones Industrial Average. Während der breit gestreute S&P 500 dieses Jahr um überdurchschnittliche 14,8 Prozent angestiegen ist, hält sich der aus nur 30 Titel bestehende Leitindex Dow Jones mit 3,8 Prozent knapp in der Gewinnzone.
Für den S&P 500 verlief die erste Jahreshälfte in geordneten und positiven Bahnen. Seit über 330 Tagen verzeichnet der Index keinen Intraday-Kursabschlag von mehr als 2 Prozent. Die höchste Kurskorrektur über mehrere Tage in diesem Jahr belief sich auf lediglich fünf Prozent. Gemäss Daten von Morningstar betragen durchschnittliche Marktkorrekturen etwa 14 Prozent pro Jahr. Diese stetigen Kursavancen machten der Technologiesektor mit der dazugehörigen Fantasie über die Künstliche Intelligenz sowie die Hoffnung auf zukünftige Zinssenkungen der Federal Reserve möglich.
Das erste Halbjahr war für den technologieärmeren Dow Jones deutlich schwieriger. Seit April schwankt der aus vorwiegend Finanz- und Gesundheitstiteln sowie diskretionärem Konsum bestehender Index zwischen einem Plus von 0,5 Prozent und 6,5 Prozent. Die halb so hohe Gewichtung der Technologie- und Kommunikationssektoren im Dow Jones im Vergleich zum S&P 500 machen sich bemerkbar. Der Technologie- und Kommunikationssektor haben in der ersten Jahreshälfte bereits um knapp 20 Prozent zugelegt und weisen die höchsten Zugewinne im S&P 500 auf.
Im S&P 500 sind die «Magnificent-7»-Aktien (Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia, Tesla) für 55 Prozent des Kursanstiegs verantwortlich. Tesla ist freilich kein Technologiewert, verzeichnet dieses Jahr aber auch einen Kursverlust von über 20 Prozent und zieht den «Magnificent-7»-Druchschnitt deutlich herunter.
Top und Flops im S&P 500
Überraschend sind die drei Versorger, die zu den besten zehn Kursentwicklungen im S&P 500 gehören. Gemäss den Analysten der Citibank profitieren Vistra Corporation, Constellation Energy und NRG Energy von einer stark ansteigenden Nachfrage nach Energie in den USA.
«Einige US-Versorger planen, in den nächsten Jahren 20 bis 50 Prozent der Gesamtinvestitionen in regulierte erneuerbare Energien und in die Stromübertragung zu investieren. Das Ausmass der Herausforderung ist enorm: Derzeit stehen mehr als 2’600 GW an Projekten in der Projektepipeline, das ist mehr als die Kapazität aller in Betrieb befindlichen Kraftwerke», so Citi Research.
Alle drei Unternehmen verfügen über mehrheitliche «Kauf»-Bewertungen, während Wall-Street-Analysten ihre Kursziele für die drei Firmen in den vergangenen zwölf Monaten zum Teil verdoppelten.
Super Micro Computer an der Spitze
Doch die höchste Kursperformance im S&P 500 gehört Super Micro Computer. Das Tech-Unternehmen entwickelt und produziert Servers und Speicher Lösungen. Die strategischen Partnerschaften und Nähe zu den KI-Chipherstellern wie Nvidia und die Fokussierung auf den KI-GPU-Server-Sektor machen es, gemäss Experten, zu einem führenden Unternehmen in der Rechenzentrumsbranche.
Die Aktien von Super Micro gelten jedoch als hochspekulative Wette. Von April 2023 bis März 2024 stieg der Aktienkurs von etwa 100 Dollar auf über 1’100 Dollar. Derzeit befinden sie sich bei 831 Dollar, was einem Rückschlag von 33 Prozent gegenüber dem Rekordhoch von Anfang März entspricht.
Unter den Flops finden sich zahlreiche namhafte Unternehmen. Der Chip-Hersteller Intel hat dieses Jahr knapp 40 Prozent seines Börsenwerts verloren. Gemäss Industrieexperten seien GPUs besser für den Betrieb der KI-Infrastruktur als CPUs geeignet. Intel hat mit der Produktion von CPUs gegenüber dem Konkurrenten Nvidia mit der Entwicklung von GPUs das Nachsehen. Analysten bewerten Intel deshalb nur noch mit einem «Hold».
Aber auch das Medienunternehmen Paramount Global, zu dem die Sender CBS, MTV oder Nickelodeon oder das Filmstudio Paramount gehören, verliert in diesem Jahr mehr als 30 Prozent der Börsenkapitalisierung.
Investorenlegende Warren Buffet gestand kürzlich an der Generalversammlung von Berkshire Hathaway, die komplette Paramount-Beteiliung verkauft zu haben. «Ich war zu 100 Prozent für die Paramount-Entscheidung verantwortlich», sagte Buffett und fügte hinzu: «Und wir haben alles verkauft und dabei eine Menge Geld verloren.»
Den grössten Verlust hingegen verzeichnen die Valoren von Sportartikelhersteller Lululemon. Das Unternehmen aus Kanada wurde bekannt mit seiner Yoga-Bekleidung. Die Wall-Street-Analysten bewerten das Unternehmen mehrheitlich mit einem «Buy»-Rating, wobei der als Wachstumsunternehmen geltende Konzern unter stark abschwächenden Wachstum leidet.
Top und Flops in Dow Jones
Im Dow Jones gesellt sich zur miesen Kursentwicklung von Intel der Flugzeugbauer Boeing. Nachdem vor Jahren Produktionsfehler beim 737-MAX nach zwei Abstürzen und einem Grounding der MAX-Flugzeugflotte den Kurs der Boeing Aktie nach unten verrauschen liess, kamen in den Folgejahren brisante Informationen zur Unternehmenskultur an die Öffentlichkeit. Von erheblichen Mängeln bei den Sicherheitsstandards und der Qualitätskontrolle sowie der Bestrafung von Mechanikern, die Fehler an den Flugzeugen festgestellt und auf diese aufmerksam machen wollten, war die Rede.
Der Aktienkurs von Boeing hat sich seit den 737-MAX Abstürzen nie mehr richtig erholt. Zwar bewerten die Wall-Street-Analysten den Flugzeugbauer weiterhin mit einem «Kaufen», doch haben die Analysten ihre Kursziele analog dem Kursverlauf seit Anfang Jahr kontinuierlich reduziert. Trotz der Kurskorrektur sieht der Analystenkonsens ein Kurspotenzial von nur 22 Prozent gegenüber dem aktuellen Kurs.
Auch die Valoren von Nike lassen dieses Jahr Federn. Mit einem Rückschlag von 13 Prozent liegen sie nur unweit von den McDonald’s-Aktien. Die Pandemiejahre waren für Nike wie auch McDonald’s ein goldenes Zeitalter. Beide Unternehmen kämpfen heuer mit stagnierenden Betriebsgewinnen - bei McDonald’s spielte der starke Anstieg der Inflation und Rohstoffkosten eine entscheidende Rolle. Bei Nike folgte auf den Boom der Pandemie-Einschränkungen der Konsum-Kater - die Unternehemnsumsätze stagnieren auf einem sehr hohen Niveau.
Beide Aktien sind trotz den jüngsten Kurskorrekturen weiterhin mit einer überdurchschnittlichen Bewertung unterwegs. Nike wird mit einem aktuellen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 23,9 bewertet. Dies liegt über dem fünfjährigen Durchschnitt von 20,8. McDonald’s befindet mit einem derzeitigen KGV von 20,3 näher am fünfjährigen Durchschnitt von 19,3.
Im Dow Jones gehört die Pole Position Walmart. Mit 30 Prozent legt der weltgrösste Einzelhändler aus Arkansas an eine bereits beachtliche Entwicklung seit Mai 2022 nach. Bekannt durch die Stabilität und das defensive Geschäftsmodell haben die Valoren von Walmart in den letzten fünf Jahren um mehr als 80 Prozent zugelegt. Selbst die Pandiemiejahre und der starke Anstieg der US-Konsumentenpreise konnten der Ertragskraft des Einzelhändlers nichts ausmachen. Gemäss Daten von Bloomberg zufolge verzeichnete Walmart keinen Rückgang des Betriebsgewinns seit 1988.
Es finden sich deshalb auch fast ausschliesslich Kaufbewertungen für das Unternehmen. Gleichzeitig gehen Wall-Street-Analysten aber davon aus, dass Walmart das Kurspotenzial von diesem Jahr mehrheitlich ausgeschöpft hat. Der Konsens liegt fünf Prozent über dem derzeitigen Kursniveau.
American Express, Goldman Sachs und JPMorganChase sind Gewinner
Zu den Gewinnern zählen auch die drei Finanzinstitute American Express, Goldman Sachs und JPMorganChase. Die drei Unternehmen profitieren von einem erhöhten Zinsniveau in den USA und einer ungebrochener Konsumlaune der US-Konsumenten.
Während die Sparquote in den USA in drei Runden von grosszügigen «Stimulus Checks» in den Jahren 2019 bis 2021 von knapp 10 Prozent auf teilweise über 33 Prozent anstieg, wird das damals Angesparte nun ausgegeben. Obwohl der Umsatz von American Express sich in den letzten fünf Jahren um knapp 40 Prozent erhöht hat, konnte das Bezahlunternehmen den Gewinn um nur 25 Prozent erhöhen. Doch die Bewertung des Unternehmens nahm besonders nach Abschluss der US-Regionalbankenkrise im vergangenen Jahr und dem hohen Wirtschaftswachstum der USA zu.
Die Regionalbankenkrise ermöglichte es JPMorgan zudem, Vermögenswerte zu günstigen Konditionen zu erwerben. Das gleichzeitige Anheben des Zinsniveaus der Fed führte bei den Banken zu einem zusätzlichen unerwarteten Gewinn. Die US-Grossbanken hebten die ihrerseits an Kunden weitergegebenen Zinssätze nur sehr langsam an. Gleichzeitig erhielten die Banken für ihre Einlagen bei der Fed deutlich mehr. JPMorgan konnte mithilfe der höheren Einnahmen und weiterhin tiefen Ausgaben den Reingewinn vom Geschäftsjahr 2020 bis 2023 fast verdoppeln.
In der zweiten Jahreshälfte werden zweifellos die Entwicklung des US-Wahlkampfs, der Zinspfad des Fed und der weiterhin heisslaufende US-Arbeitsmarkt die Aktienkurse beeinflussen. Wie lange der Bewertungausbau der KI-Titel und damit verbundenen Kursavancen andauern wird, wird sich ebenfalls in den nächsten sechs Monaten zeigen. Dei Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die Kursentwicklungen der zweiten Jahreshälfte vielfach von denen der ersten Jahreshälfte unterscheiden.