Volkswagen droht einem Dokument zufolge in Indien möglicherweise eine Milliardenstrafe wegen Steuerhinterziehung. Das Unternehmen habe seit 2012 insgesamt knapp 1,4 Milliarden Dollar zu wenig an Einfuhrzöllen gezahlt, heisst es in einem 95-seitigen Dokument der indischen Zollbehörden mit Datum vom 30. September, in das Reuters Einblick erhalten hat. VW habe bewusst gegen Zollvorschriften verstossen, indem die Teile für die in Indien zusammengebauten Fahrzeuge mit unterschiedlichen Sendungen geschickt wurden. Auf diese Weise habe VW für sich in Anspruch genommen, dass der niedrigere Zollsatz für Einzelteile gelte, statt eines höheren Zollsatzes für fertige Bausätze. Bei der Logistik handle es sich um einen Trick, um die Ware einzuführen, ohne die dafür geltenden Zölle zu zahlen, heisst es in dem Dokument.
VW betreibt in Indien zwei Werke, in denen Modelle von Skoda, Audi und VW gebaut werden. Die Federführung für das Geschäft in dem asiatischen Land liegt bei Skoda. Das Unternehmen erklärte dazu, es sei eine «verantwortliche Organisation, die sich an alle globalen und lokalen Gesetze vollständig hält». «Wir untersuchen die Notiz und erweitern unsere umfängliche Kooperation mit den Behörden.» In dem Dokument wird VW aufgefordert, binnen 30 Tagen zu antworten. Das Unternehmen äusserte sich nicht dazu, ob es seine Antwort übermittelt hat. Das indische Finanzministerium und die Zollbehörden antworteten zunächst nicht auf eine Reuters-Anfrage.
Im Kern geht es um die Frage, ob VW in Indien ganze Bausätze importiert, die dann vor Ort endmontiert werden. Diese Praxis wird in der Branche als «Completely Knocked Down»-Produktion (CKD) bezeichnet. Nach den indischen Vorschriften fällt in diesem Fall ein Zollsatz von 30 bis 35 Prozent an. Für einzelne Autoteile dagegen liegt der Zollsatz zwischen fünf und 15 Prozent. Den Unterlagen zufolge soll sich VW dazu erklären, warum angesichts der mutmasslichen Steuerhinterziehung auf eine Strafzahlung verzichtet werden soll. Sollte das Unternehmen für schuldig befunden werden, droht ihm einem Insider zufolge eine Strafe von bis zu 2,8 Milliarden Dollar.
Die indischen Behörden haben bereits 2022 bei Durchsuchungen Unterlagen zu den Teile-Importen und E-Mails von Spitzenmanagern beschlagnahmt. Im vergangenen Jahr sei der zuständige Indien-Chef Piyush Arora aufgefordert worden, warum die Teile, die für den Bau eines Autos benötigt werden, nicht zusammen nach Indien geliefert würden, hiess es in den Unterlagen. Er sei jedoch nicht in der Lage gewesen, diese Frage zu beantworten. Arora antwortete zunächst nicht auf die Bitte um Stellungnahme.
In den Unterlagen wird die Logistik bei Volkswagen genau unter die Lupe genommen. So habe die Indien-Tochter regelmässig Sammelbestellungen von Autos über eine interne Software aufgegeben, welche das Unternehmen mit seinen Zulieferern in Tschechien, Deutschland, Mexiko und anderen Ländern verbinde. Die Software habe die Bestellung dann in die Einzelteile aufgebrochen, je nach Modell sind das 700 bis 1500 Komponenten. Die Teile selbst seien in verschiedenen Containern im Abstand von mehreren Tagen mit eigenen Lieferscheinen losgeschickt worden und später in etwa gleichzeitig an indischen Häfen eingetroffen. «Es scheint so, als ob das getan wurde, um die niedrigeren Zölle für Einzelteile zu zahlen», hiess es in der Unterlage. Damit habe VW die Zollbehörden bewusst getäuscht. VW habe den Behörden gegenüber geltend gemacht, dass es diesen Weg aus Effizienzgründen gehe. «Die Logistik ist ein sehr kleiner und der unwichtigste Schritt im gesamten Prozess ... (Skoda-Volkswagen India) ist kein Logistikunternehmen», hiess es dazu in dem Dokument.
Im Februar hatte Volkswagen eine Zusammenarbeit mit dem indischen Autobauer Mahindra vereinbart. Demnach liefern die Wolfsburger verschiedene Komponenten der Fahrzeugplattform MEB an Mahindra. Finanzchef Arno Antlitz sagte im Mai, der indische Automarkt stelle eine klare Chance für den Konzern dar. Derzeit spielt VW dort jedoch nur eine kleine Rolle.
(Reuters)