Die Schweiz ist seit langem attraktiv für wohlhabende Russen, angelockt durch Diskretion und lockere Finanzvorschriften. Genaue Zahlen sind schwierig zu bekommen, doch Daten der in Basel ansässigen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigen, dass Personen und Unternehmen aus Russland per September umgerechnet rund 11 Milliarden Dollar (10 Milliarden Euro) auf Schweizer Bankkonten geparkt hatten. In Grossbritannien lag weniger als die Hälfte davon - lediglich rund 5 Milliarden Dollar.

Russischer Reichtum in der Schweiz erheblich

Doch die Zahl unterschätzt das Ausmass des russischen Reichtums im Land erheblich: Wertpapierdepots, Investitionen und über Offshore-Gesellschaften gehaltene Vermögenswerte sind darin nicht enthalten. Privatbankiers der grössten Vermögensverwalter schätzen, dass reiche Russen mehr als 100 Milliarden Dollar im Land gebunkert haben, wobei eine Person die Zahl sogar auf 300 Milliarden Dollar schätzt - das entspricht fast 40 Prozent der Schweizer Wirtschaft. Sie baten dabei um Anonymität.

Ein Teil dieser Vermögenswerte wird nun eingefroren, nachdem der Bundesrat die Neutralität aufgegeben und die EU-Sanktionen gegen Hunderte von russischen Amtsträgern und Unternehmen, darunter auch Putin, übernommen hat. Vor mehr als zehn Jahren sah sich das Land bereits gezwungen, sein strenges Bankgeheimnis aufzuweichen, das der Schweiz geholfen hatte, das weltweit grösste Zentrum für private Offshore-Vermögen zu werden. Nun könnte das Land dazu beitragen, den Druck auf Moskau zu erhöhen.

Heftige Kritik für anfängliche Zurückhaltung

Der Bundesrat schwenkte am Montag auf den Kurs Brüssels ein und erklärte, sie werde die EU-Sanktionen mit sofortiger Wirkung umsetzen. Am Wochenende war der Bundesrat in Leitartikeln führender Schweizer Zeitungen sowie von anderen Regierungen heftig für ihre anfängliche Zurückhaltung kritisiert worden. Die EU hat sechs der reichsten Personen Russlands auf ihre Sanktionsliste gesetzt, darunter Alexei Mordaschow, Michail Fridman, Pjotr Awen, Alischer Usmanow, Gennadi Timtschenko und Alexander Ponomarenko.

Usmanow gehört zu den reichsten Einwohnern der Schweiz und hat ein Haus am Genfer See. Er besitzt einen grossen Anteil an USM, einer russischen Investmentgruppe, und kontrolliert die russische Zeitung Kommersant. Laut Bloomberg Billionaires Index verfügt er über ein Nettovermögen von rund 19,7 Milliarden Dollar.

Am Dienstag legte er sein Amt als Präsident des Internationalen Fechtverbands mit Sitz in Lausanne nieder und bezeichnete die gegen ihn verhängte EU-Sanktion als "unfair". Sie beruhe auf "falschen und diffamierenden Anschuldigungen".

Vekselberg reduziert seine Anteile an Schweizer Industrieunternehmen

Timtschenko, der nach Bloomberg-Schätzungen etwa 11 Milliarden Dollar schwer ist, hat ein Haus im gehobenen Genfer Stadtteil Cologny. Er kontrolliert die Volga Group, eine in Russland ansässige Investmentfirma mit Beteiligungen in den Bereichen Energie, Transport und Bauwesen, und kennt Putin seit den 1990er Jahren. Timtschenko ist Mitbegründer des Genfer Ölhandelsunternehmens Gunvor Group, verkaufte seine Anteile jedoch kurz vor der Verhängung von Sanktionen durch die USA wegen der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. 

Ein weiterer prominenter Russe mit engen Verbindungen zur Schweiz ist Viktor Vekselberg, ein leidenschaftlicher Sammler von Fabergé-Eiern mit einem geschätzten Vermögen von 17 Milliarden Dollar. Er wurde 2018 von den USA mit Sanktionen belegt. Er reduzierte seine Anteile an einer Reihe von Schweizer Industrieunternehmen, damit diese von Sanktionen verschont blieben.

Sprecher von Vekselberg and Timtschenko antworteten nicht auf Bitten um Stellungnahme.

Russische Einlagen in der Schweiz stiegen 2014 sprunghaft an

Auch abgesehen von diesen Superreichen ist die Häufigkeit, mit der Russisch in den Fünf-Sterne-Hotels und Uhrenboutiquen an der Zürcher Bahnhofstrasse und der Rue du Rhone in Genf zu hören ist, auffällig. Das gilt zwar genauso für London, München oder Wien, aber das Geld kam in der jüngeren Geschichte immer dann in die Schweiz, wenn Russland turbulente Zeiten durchmachte.

Als Europa und die USA nach der Besetzung der Krim im Jahr 2014 eine dritte Runde von Sanktionen gegen Russland verhängten, stiegen die russischen Einlagen in der Schweiz sprunghaft um mehr als 13 Prozent an, wie die BIZ-Zahlen zeigen. Nach einer Phase des Rückgangs kam es in den letzten zwei Jahren zu einem erneuten Anstieg der Einlagen, da sich die Beziehungen wieder verschlechterten.

80 Prozent der russischen Rohstoffe wird über die Schweiz gehandelt

Die Schweiz hat seit Jahren Sanktionen gegen Staaten wie Nordkorea und den Sudan verhängt, aber keine so weitreichenden. Der Bundesrat erklärte am Montag, "der beispiellose militärische Angriff Russlands auf ein souveränes europäisches Land" habe den Ausschlag gegeben, die bisherige Sanktionspraxis zu ändern.

Die Massnahmen des Bundesrats sehen darüber hinaus vor, den Schweizer Luftraum für alle Flugzeuge aus Russland zu sperren, einschliesslich der Privatjets, die seit langem die russische Elite ins Land und wieder heraus bringen.

Der einzige Wirtschaftszweig, der von den Sanktionen nicht betroffen ist, sind die vor allem in Genf und Zug ansässigen Ölhandelsunternehmen. Nach Schätzungen der russischen und der schweizerischen Regierung werden bis zu 80 Prozent der russischen Rohstoffe über die Schweiz gehandelt.

(Bloomberg)