Im November 2021 kostete eine Aktie von Sonova knapp 400 Franken. Fast zwei Jahre später, im Oktober 2023, lag der Kurs bei der Hälfte. Diese Volatilität stellt viele Anlegerinnen und Anleger auf eine harte Probe, auch wenn der langfristige Trend nach himmelwärts zeigt – 2024 ging es um 12 Prozent auf gut 300 Franken nach oben.
Um die Kursentwicklung von Sonova zu verstehen, sollten drei Faktoren berücksichtigt werden: Erstens operiert der Hörgerätehersteller in einem «regulierten» Markt. Die Markteintrittsbarrieren sind aufgrund der medizinischen Zulassungsprozeduren und der zahlreichen Patente hoch, wie Sibylle Bischofberger, Analystin bei Vontobel, gegenüber cash.ch betont. Man könnte von einem oligopolistischen Markt sprechen, in dem Sonova agiert.
Zweitens bringt Sonova alle zwei Jahre neue Hörgeräte auf den Markt, was zur Kannibalisierung der eigenen älteren Produkte führt und Chancen, bietet der Konkurrenz Marktanteile abzugewinnen. Dabei setzt sich nicht unbedingt das beste Produkt durch, sondern jenes, das von den Akustikern empfohlen wird. Die Präferenzen der Akustiker spiegeln sich direkt in der Umsatzentwicklung wider.
Im Geschäftsjahr 2022/2023 (per Ende März 2023) wuchs Sonova um 11,1 Prozent, nach einem Vorjahreswachstum von 29,3 Prozent. Im Geschäftsjahr 2023/2024 sank der Umsatz jedoch um 3 Prozent. «Das Produkt, das vor zwei Jahren eingeführt wurde, war eines der besten im Markt, aber zu teuer», erklärt Bischofberger gegenüber cash.ch die Umsatzentwicklung.
Sonova hat Marktanteile in den letzten Jahren verloren. Aber trotzdem: In den USA zeigt sich laut den Daten des Veteranenministeriums Sonovas starke Marktstellung mit einem Marktanteil von 50,3 Prozent. Die dänische William Demant Holding kommt auf 18,4 Prozent. Die Stäfner sind weltweit die Nummer eins im Markt und bieten seit langem die besten Hörgeräte für stark schwerhörige Personen.
Altersheim Europa als Umsatzhochburg
Drittens bewegt sich Sonova in einem Wachstumsmarkt. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit 430 Millionen Menschen von Hörverlust betroffen, und diese Zahl könnte bis 2050 auf 700 Millionen – also einer von zehn Menschen – ansteigen. Dieser Trend ist aufgrund der alternden Bevölkerung strukturell bedingt.
Dass Hörgeräte vor allem im Alter nachgefragt werden, erklärt auch den relativ geringen Umsatzanteil in Asien von knapp 12 Prozent. Das Altersheim Europa (50 Prozent) und die USA (31 Prozent) dominieren den Markt. Zudem unterscheiden sich die Gesundheitssysteme und die Vergütungen für Gesundheitsprodukte je nach Land erheblich.
«Im Gegensatz zu anderen Medizintechnik-Kategorien wie beispielsweise Dentalimplantate sind Hörgeräte speziell in China massiv unterrepräsentiert», sagt Daniel Jelovcan, Analyst bei der ZKB, auf Anfrage von cash.ch. Im Vergleich zu Zahnarztpraxen, die es zahlreich gibt, ist die Gruppe der Akustiker sehr klein.
Technologiesprung
Für Sonova hängt die Kursentwicklung aber unmittelbar von den Produkten ab. Anfang August wurden zwei neue Hörgeräte-Plattformen vorgestellt, was den jüngsten Auftrieb am Aktienmarkt erklärt: die Phonak Audéo Infinio und die Phonak Audéo Sphere Infinio. Letztere nutzt Künstliche Intelligenz (KI) in Echtzeit zum besseren Sprachverstehen im Lärm.
«Die neue Plattform, an der Sonova fünf Jahre gearbeitet hat, ist unserer Meinung nach sehr innovativ. Die Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses (SNR) ist nahezu phänomenal, und in meiner 25-jährigen Karriere als Sonova-Analyst habe ich selten eine so grosse Verbesserung gesehen», so Jelovcan. Die von anderen Analysten proklamierte Batterie-Problematik sieht der ZKB-Analyst als nicht gravierend.
Nach einem Umsatzrückgang von 3 Prozent im Geschäftsjahr 2023/2024 rechnet der Bloomberg-Konsens mit Wachstumsraten von 7 Prozent in den Geschäftsjahren 2024/2025 und 2025/2026. Diese Wachstumsraten sind aufgrund der neuen Produktlancierungen durchaus realistisch. Allein die höheren Preise der neuen Geräte dürften diese Entwicklung sichern.
Bischofberger von Vontobel spricht von einem Technologiesprung: «Sonova ist der Konkurrenz wahrscheinlich zwei bis drei Jahre voraus.» Wie das Produkt bei den Akustikern ankommt, werden frühestens die Halbjahreszahlen im November zeigen. Auch die monatlich veröffentlichten Daten des US-Ministeriums für Veteranenangelegenheiten können derzeit keine Hinweise bieten, da neue Produkte jeweils im November und Mai ins Programm aufgenommen werden.
Sonova mit Kurspotenzial
Sonova bietet zudem konstant hohe adjustierte EBITDA-Margen (26,7 Prozent für 2023/2024) und hohe Renditen auf das eingesetzte Kapital (ROIC). Falls mit Innovationen Marktanteile gewonnen und Skaleneffekte erzielt werden, könnten sich hier noch weitere Verbesserungen ergeben. «Da Sonova im Vergleich zu den Konkurrenten am meisten in Forschung und Entwicklung investiert, ist das Unternehmen auf dem richtigen Weg», so Jelovcan.
Viele Anleger schrecken möglicherweise vor dem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 28 zurück. Die Bewertung nimmt wohl bereits viel Positives vorweg, und die Prämie von Sonova beträgt rund 35 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der Konkurrenten Demant und GN Store Nord. Letzterer wird laut dem ZKB-Analysten sehr günstig bewertet, da die schwache Audiosparte nur wenig mit Sonova überlappt.
Doch Sonova war noch nie günstig bewertet, was an der Branche und der Marktstellung liegt. Die Analysten sind neutral bis positiv eingestellt - Acht «Buys», Elf «Holds», drei «Sells» -, wobei Aufstufungen aufgrund der neuen Produkte wahrscheinlich sind. Wenn sich die Hoffnung vieler Anleger erfüllt und Sonova mit den neuen Produkten Marktanteile von Konkurrenten wie Demant zurückgewinnt, könnten weitere Kursgewinne in den nächsten Monaten möglich sein.
Daran ändert wohl auch die Produktpräsentation - Hörgerätefunktionen für die kabellosen Kopfhörer AirPods Pro 2 - von Apple vom Montagabend nichts, das die Aktien der Hörgeräteherstellers am Dienstag unter Druck setzen. Durch ein bevorstehendes Software-Update könnten die Kopfhörer in ein personalisiertes Hörgerät «umgewandelt» werden.
Apple wird dadurch laut Händlern den Markt vor allem im Segment für Patienten mit einem milden Hörverlust erweitern. Denn schlussendlich kann Apple im Moment gar nicht die gleichen technischen Fähigkeiten wie bei einem speziell entwickeltes Hörgerät anbieten, das bei einem mittleren bis schweren Hörverlust notwendig ist. Dafür sind die Markteintrittsbarrieren dank Patenten wohl zu hoch.