Entweder müsse Thyssenkrupp der Stahlsparte eine Finanzspritze mit auf den Weg geben oder einen Teil der Pensionslasten der Tochter behalten, erläuterten zwei mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters die Knackpunkte bei den Gesprächen. Thyssenkrupp und EPH lehnten eine Stellungnahme ab.

Der seit Juni amtierende Thyssenkrupp-Chef Miguel Lopez drückt aufs Tempo. Es gehe um ein Joint Venture, an dem Thyssenkrupp und Kretinskys Energie-Holding EPH je 50 Prozent halten, berichtete Lopez kürzlich auf der Bilanzpressekonferenz. "Die konkrete Ausgestaltung eines solchen Joint Ventures ist Gegenstand der aktuellen Verhandlungen." Diese sind auch deshalb kein leichtes Unterfangen, weil die Stahlproduktion zu den Wurzeln des über 200 Jahre alten Ruhr-Konzerns gehört, der neben Stahl auch Autoteile, Zementwerke oder U-Boote baut.

Das Stahlgeschäft ist extrem konjunkturanfällig. Hohe Energiekosten, die gestiegene Inflation und Konkurrenten aus Asien machen der Schwerindustrie zu schaffen. Thyssenkrupp Steel Europe hat in den letzten fünf Geschäftsjahren viermal einen operativen Verlust (Ebit) eingefahren. Um Sonderefekte bereinigt war dies einmal der Fall. Zugleich verschlingt die Sparte gut ein Drittel der gesamten Investitionen des Konzerns.

Wer trägt die Pensionslasten von 2,6 Milliarden Euro?

"Es hängt an einem finanziellen Zugeständnis", erläuterte eine mit der Situation vertraute Person. Ohne eine finanzielle Mitgift könne die Stahltochter einen negativen Unternehmenswert haben, die Schulden also die Vermögenswerte übersteigen. Teil des Problems sind die 2,6 Milliarden Euro an Pensionsverpflichtungen, die auf Thyssenkrupp Steel Europe lasten. Schon bei früheren Plänen für die Stahlsparte entpuppte sich dieser Batzen als Stolperstein - etwa bei dem gescheiterten Stahl-Joint-Venture mit Tata Steel Europe oder der geplatzten Übernahme durch Liberty Steel.

In den Verhandlungen mit Kretinsky gehe es auch um die Frage, welche Produktions-Kapazitäten künftig noch benötigt würden, sagte ein weiterer Insider. Bislang verfügt Thyssenkrupp Steel Europe über eine Gesamtkapazität von etwa elf Millionen Tonnen Stahl pro Jahr. Es gilt als wahrscheinlich, dass es mit der Umstellung auf eine grüne Stahl-Produktion weniger sein wird. Kretinsky könne anders als Thyssenkrupp die Verhandlungen locker angehen, sagten mit den Gesprächen vertraute Personen. Er sei der letzte ernstzunehmende Interessent und habe mehr Zeit. Zudem seien die Folgen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts für den Umbau auf eine klimaneutrale Produktion noch teilweise ungeklärt, etwa die Kosten für Investitionen zum Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft.

Plan B?

Thyssenkrupp-Chef Lopez setzt darauf, dass EPH in einem Joint Venture für sauberen Strom sorgt, den die Stahlsparte in Zukunft massenhaft benötigt: "Steel Europe wird absehbar einer der grössten Verbraucher von Grünstrom und grünem Wasserstoff sein." Die Hoffnungen beruhen auf Aussagen von EPH, mit milliardenschweren Investitionen die Erneuerbaren Energien auszubauen. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Im Portfolio von EPH sind die ostdeutschen Braunkohle-Konzerne Mibrag und Leag, die Kretinsky 2016 vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall übernommen hatte.

Die Strategie überzeugt nicht jeden. "Thyssenkrupp sollte den Stahl nicht um des Abgebens willen abgeben", betonte Baader-Bank-Analyst Christian Obst. Kretinsky habe seines Wissens keinen erkennbaren Track Record im Bereich Stahl oder Materials. Auch könne er bislang noch keine umfangreiche Expertise im Bereich Erneuerbare Energien vorweisen.

Bei aller Betonung von konstruktiven Gesprächen ist ein Scheitern der Verhandlungen von Lopez und Kretinsky nicht ausgeschlossen. Er habe für diesen Fall einen Plan B, versicherte Lopez kürzlich. Wie der aussieht, wollte Lopez vor Journalisten für sich behalten. In der Vergangenheit war ein Einstieg des Landes NRW und/oder des Bundes diskutiert worden. Das dürfte schwieriger geworden sein, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Bund 60 Milliarden Euro für Klimaschutzmassnahmen gestrichen hat. Nicht ausgeschlossen, dass erneut das Modell einer Deutschen Stahl AG mitsamt des Thyssenkrupp-Rivalen Salzgitter und den Stahlwerken im Saarland diskutiert wird. Die Niedersachsen haben allerdings bislang Thyssenkrupp stets dabei die kalte Schulter gezeigt.

(Reuters)