cash.ch: Herr Straubhaar, anfang des Jahres schrieben Sie in einer Kolumne, dass der Wertzuwachs beim Bitcoin "zeigt, dass offenbar die Skala der menschlichen Dummheit genauso wenige Grenzen kennt wie der Bitcoin-Kurs". Sind alle Bitcoin-Investierten dumm?
Thomas Straubhaar: Nun ja, das Wort 'dumm' hat etwas normatives, von wegen der eine ist dumm und der andere ist klug. Es ist natürlich ein anmassendes Wort. Ich will damit sagen, es kann nicht vernünftig sein, auf eine Entwicklung aufzuspringen, deren Richtung völlig unbestimmt ist. Es ist wie beim Schneeballsystem: Der Bitcoin lebt davon – und in diesem Sinne ist das Wort 'dumm' schon nicht zufällig gewählt –, dass immer noch jemand weiteres bereit ist, Ihnen ihre Anteile abzukaufen. Und ein bekanntes Sprichwort prognostiziert ja, dass die Letzten eben die Hunde beissen.
Für Sie ist es also ein reines Schneeballsystem.
Ja, der Bitcoin ist deshalb ein Schneeballsystem, weil bei privaten Kryptowährungen nur zwei Dinge sicher sind: erstens, dass bei einem Crash die letzten Mitreisenden die grossen Verlierer sein werden. Und dass zweitens jene unbekannten Hintermänner die grossen Profiteure sind, die den Bitcoin in Umlauf bringen. Sie streichen sich den Gewinn des Geldschürfens ein.
Tun Sie damit nicht jenen Leuten Unrecht, die in Kryptowährungen keine reinen Zockerprodukte sehen sondern vielmehr die Zukunft des Geldsystems? Bitcoin wird als dezentraler, unvermehrbarer Wert geschätzt, auf den keine Notenbanken einwirken können. Das ist doch etwas wert.
Nein. Das bin ich absolut anderer Meinung. Es gab in der Bibel die Bundeslade, bei der niemand wusste, was eigentlich genau damit gemeint war und was drin ist. Sie war unabhängig und unvermehrbar und sie fand fanatische Anhänger, die daran glaubten und sogar Kreuzzüge für sie geführt haben. Ihr 'sagenhafter' Wert ergab sich einzig und allein aus dem Glauben, dass andere auch dran glauben und sonst war da rein gar nichts von Werthaltigkeit. Das nenne ich einen Schneeballeffekt. Sie generieren allein aus dem Glauben an etwas einen imaginären, rein spirituellen Wert, den sie dann anderen teuer verkaufen.
Hinter Bitcoin steht allerdings eine sehr grosse Community, die mittlerweile mehr als zehn Jahre als alt ist und sich selbst als durchaus aufgeklärt bezeichnen würde. Deren Glaube an die Kryptowährung ist ungebrochen.
Der Bitcoin ist in seiner heutigen Form reine Glaubenssache. Wenn gewisse Leute wirklich daran glauben, könnten sie – etwas auf die Spitze getrieben – auch sagen: Wir lassen den ganzen Zauber einer enorm energieintensiven Produktion von Bitcoin doch einfach sein. Stattdessen errichten wir im Internet auf einer elektronischen Handelsplattform eine Bundeslade und dann können alle, die daran glauben, elektronische Anteile an der Bundeslade kaufen und weiterverkaufen oder auf die Wertentwicklung der Bundeslade Wetten abschliessen. Bei meiner Kritik am Bitcoin ist mir ein Punkt sehr wichtig: Ich bin überzeugt, dass Kryptowährungen und die Blockchain-Technologie eine immer wichtigere Rolle spielen werden. Wir werden bald "E-Money" haben. Unverzichtbare Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Staaten oder Notenbanken dahinter stehen, die aktiv garantieren, dass die Spielregeln eingehalten werden.
Gold hat allerdings auch nur einen Wert, weil eine bestimmte Anzahl von Menschen ihm einen Wert zugestehen. Der industrielle Nutzen rechtfertigt keine 1800 Dollar für eine Unze Gold. Wieso soll das bei Bitcoin nicht auch funktionieren?
Ich sag nicht, dass es bei Bitcoin nicht auch funktionieren kann. Das tut es ja offensichtlich, aktuell sehen wir ja wieder den Tatbeweis mit den steigenden Kursen. Ich sage aber, langfristig wird das nicht Bestand haben. Als nachhaltige Wertanlage ist es in einem langfristig ausgerichteten Portfolio ein absolutes No-Go. Bitcoins bieten genau das Gegenteil von Stabilität und Sicherheit. Bitcoin-Befürworter werfen den Notenbanken vor, dass sie Schwankungen und Inflation produzierten und keine Wertbeständigkeit sichern könnten, gleichzeitig schwankt nichts so stark wie Bitcoin. Daher sind sie auch als Transaktionsmittel nicht geeignet.
Warum aber ist dann Gold kein 'No-Go'?
Gold hat zumindest einen gewissen inneren Wert, den ich Bitcoin komplett absprechen würde. Zudem hat Gold eine historisch gewachsene Reputation, die eine Werthaltigkeit des Edelmetalls zwar nicht garantieren. Sie bestätigt aber, dass sich Gold über viele Jahrhunderte als werthaltige Sache erwiesen hat.
Was aktuell an Wert verliert, ist Geld. Die Preise springen aktuell sprunghaft an wie lange nicht mehr. Die Notenbanken beschwichtigen und sagen, die Inflation sei vorübergehend. Glauben Sie das auch?
Ich bin auch der Meinung, dass wir uns in der Schweiz nicht dieselben Inflationssorgen machen müssen wie in der ersten Hälfte der 1970er-, der 1980er- und auch der 1990er Jahre. Wir werden kein Jahrzehnt mit Inflationsraten von 3 bis 4 Prozent – so wie es in diesem Jahr wohl in Deutschland der Fall sein wird – sehen. Andererseits ist es eine mickrige Entschuldigung der Notenbanken, die Teuerung einfach auf Einmaleffekte zurückzuführen und zu sagen, es sei alles halb so schlimm. Im Klartext verlieren trotzdem viele Sparerinnen und Sparer im Euroraum in diesem Jahr real an Vermögen.
Werden wir uns mittelfristig trotzdem bei dem Inflationsziel der Notenbanken von nahe zwei Prozent wiederfinden?
In der Tendenz bleibe ich zuversichtlich, dass die Notenbanken es schaffen, die Inflationsraten in die Nähe von zwei Prozent zu bringen – diesmal einfach von oben kommend. Das heisst, wir werden noch ein oder zwei Jahre mit eher etwas mehr und nicht weniger als zwei Prozent Inflation rechnen müssen – denn es werden wieder Einmaleffekte wirken, wenn dann auch wohl andere als 2021. Auch die Löhne werden hochgehen, um die Teuerung aufzufangen. Zudem haben die Staaten durchaus grosses Interesse an eher höheren Inflationsraten, um ihre Schuldenberge sowohl durch den realen Wertverlust nominaler Schulden als auch durch die kalte Progression bei den Steuern abbauen zu können.
Ist eine höhere Inflation verkraftbar?
Mit Blick auf fehlende Alternativen ist das schon verkraftbar. Inflation wird zur 'Corona-Steuer'. Wir bezahlen über die Inflation eine nicht durch Parlament abgesegnete Steuer in Form von zwei bis drei Prozent Erosion der Kaufkraft auf unsere Vermögen. Das ist politökonomisch vielleicht sogar eine sehr elegante Art und Weise des Schuldenabbaus. Sie müssen niemandem etwas aktiv wegnehmen, es ist keine direkte Steuererhöhung. Inflation ist eine flächendeckende alle gleichermassen treffende aber eher regressiv wirkende Steuer, die besonders die Haushalte mit geringem Einkommen stark belastet.
Wird es zu einer lang anhaltenden starken Inflation kommen?
Die Globalisierung wird zurückkehren, wenn auch mit neuem und anderem Gesicht. Die Digitalisierung wird als Nachfolgerin der Globalisierung dafür sorgen, dass weder Preise beliebig auf Konsumenten weitergegeben, noch Lohnforderungen beliebig hochgeschraubt werden können. Beides wären unverzichtbare Voraussetzungen für eine aus dem Ruder laufende, lang anhaltende Inflation.
Vor Corona schienen die Notenbanken fast schon verzweifelt, weil trotz all der Geldflut einfach keine Inflation eintreten wollte. Hat sich dieses Problem also bis auf Weiteres erledigt?
Nun ja, ich würde in der Tat sagen, dass es nun gerade zur Trendwende kommt. Es wurden derart riesige Geldmengen reingepumpt und die Investitionsprogramme, die ja immer erst nach einem gewissen Zeitabstand wirken, werden sich jetzt erst in den Preisstatistiken niederzuschlagen beginnen – das kann man dann auch wieder als neuen und anderen Einmaleffekt herunterspielen, ändert aber nichts am inflationären Druck. Der konjunkturelle 'Wumms' hat eine Verzögerung. Er sorgt für die nächsten zwei oder drei Jahre für ein stabiles Wachstum. Gleichzeitig dürften die Löhne steigen. Damit geht Inflationsdruck einher.
Steigt die Inflation, erhöht sich der Druck auf die Notenbanken, mit den Zinsen nachzuziehen. Bei der hohen Staatsverschuldung wäre das aber hochproblematisch. Bleiben die Zinsen schon allein deswegen auf lange Zeit tief?
Jein. In den USA ist ersichtlich, dass im Fed-Gremium mittlerweile eine Patt-Situation erreicht sein dürfte in Bezug auf die Frage einer Zinserhöhung. Sicher ist, dass eine Zinserhöhung zuerst in den USA erfolgen wird, wahrscheinlich im nächsten Jahr. Wenn die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Zinsen vorher erhöhte, würde der Franken noch weiter aufwerten. In Europa wird man ebenfalls so lange es geht, die Zinsen tief halten. Für die europäischen Exporte ist das gut, wenn die USA vorangehen und mit Zinserhöhungen ihren Dollar teurer machen.
Der SNB bleiben also weiterhin die Hände gebunden.
Die Schweiz befindet sich diesbezüglich in einer undankbaren Position. Eigentlich spricht vieles dafür, die Zinsen auch hierzulande anzuheben. Die Wirtschaft wird sich gut entwickeln, die Krise ist relativ gut überwunden worden und Inflation wird auch hier langsam zu einem Thema. Auf der anderen Seit wird der Franken wieder stärker und stärker.
Solange die Europäische Zentralbank (EZB) die Füsse still hält, tut dies auch die SNB.
Vermutlich. Wenn ich allerdings davon ausgehe, dass die USA 2022 die Zinsen anhebt und die EZB macht weiterhin nichts, weiss ich nicht, ob die SNB dann das ganze Jahr 2022 untätig bleibt. Dass sie es irgendwie versuchen wird, sich zumindest wieder Richtung einem Nullzins zu bewegen, würde ich nicht gänzlich ausschliessen wollen.
Wir haben also langfristig eine moderate, aber doch höhere Inflation, gleichzeitig eine wachsende Wirtschaft. Währenddessen lassen Zinsanhebungen in Europa noch auf sich warten. Ist dies das berühmte Goldlöckchen-Szenario für die Aktienmärkte?
Ja, und das sieht man ja auch.
Wird das so weitergehen?
Ich erkenne momentan keine Faktoren, die dagegen sprechen. Das Umfeld lässt keine Alternativen zu. Die einen werden Bitcoin kaufen, die anderen Aktien (lacht). Ich persönlich schlafe mit Aktien ruhiger als mit Bitcoin – aus den zuvor genannten Gründen.
Fliegen uns die gut laufenden Börsen bald mal um die Ohren?
Irgendwann, klar. Auch der Aktienmarkt ist ja eine Art Schneeballsystem, einfach mit stabileren und stärkeren Leitlinien, innerhalb denen die Schneebälle weitergereicht werden. Aber letzten Endes sprechen wir einer Nestlé-Aktie ja auch nur einen Wert zu, weil wir glauben, dass andere dies auch tun. Sobald mehrere Leute finden, dass wir bei den Bewertungen einen kritischen Punkt erreicht hätten, kann es ganz schnell nach unten gehen. Das wird uns wieder bevorstehen, es gibt keinen linearen Aufwärtsverlauf von Aktienkursen. Allerdings zeigt sich im säkularen Vergleich, also über das ganze letzte Jahrhundert, dass Aktien zwar mit höheren Risiken einhergehen, aber eben auch eine höhere Rendite als Obligationen abwarfen.
Thema Pandemie: Sie haben kürzlich davor gewarnt, dass die Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Spaltungstendenzen in der Gesellschaft verstärkten. Was läuft schief?
Wie bei jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Wer sein Geld mit dem Vermögen verdient, hat immens zugelegt, wer es mit Arbeit erwirtschaftet, hatte mit gewaltigen Problemen zu kämpfen. Die Schwächsten wurden am härtesten getroffen. Wer finanzkräftiger ist, kann bei einer Krise reagieren und gegebenenfalls ausweichen. Schwächere können das in der Regel nicht. Deswegen nimmt die Polarisierung in jeder Krise zu. Der Wohlhabende schickt seine Kinder in die Privatschule, kann zuhause Home-Office machen und es sich leisten, in Isolation mit moderner IK-Technologie weiterzuarbeiten. Die Busfahrerin oder der Postbote haben viel schlechtere Chancen, auf so eine Krise zu reagieren. Serviceangestellte verlieren ihren Job, Friseursalons sind dann einfach zu, Ende aus.
Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer. Trotzdem: Hätte man etwas anders machen müssen?
Auf jeden Fall. Hätten wir zum Beispiel ein Grundeinkommen gehabt, hätten wir uns die Notübungen der finanziellen Schnellschüsse, die ad hoc über Nacht und ohne Strategie beschlossen wurden, sparen können. Die Hauptmasse der finanziellen Massnahmen zur Bekämpfung der Folgen des Coronavirus – sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland – waren genau meine Forderungen, die ich per Grundeinkommen genau so handhaben würde – aber eben nicht ad hoc aus der Not geboren, sondern als strategisch vorausschauende Präventionspolitik
Zum Beispiel?
Nehmen Sie etwa die nicht rückzahlbaren Kredite, die mehr oder weniger bedingungslos und unbürokratisch erteilt wurden. Sie entsprechen genau der Philosophie des Grundeinkommens, also dass Menschen nicht gewisse Bedingungen erfüllen müssen, um Unterstützung zu erhalten. Der einzige Unterschied ist, dass man es in der Coronakrise 'ex post' getan hat. Zuerst kam die Krise, dann hat man reagiert. Doch wenn man davon ausgeht, dass es immer wieder Krisen geben wird, ist es klüger, ex ante, also im Vornherein, ein strategisches Instrument zu haben, das Menschen gegen systemische Risiken versichert. Corona war ein Augenöffner, was das bedingungslose Grundeinkommen angeht.
[Im cash-Video-Interview erklärt Thomas Straubhaar, wie das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden soll.]
In der Schweiz wurden über weite Strecken weitaus weniger restriktive Regeln zur Bekämpfung des Coronavirus erlassen als etwa in Deutschland. Wie bewerten Sie die Schweizer Corona-Politik?
Deutlich besser als die deutsche. Ich bin da noch immer relativ stark schweizerisch sozialisiert und geprägt und finde den Weg der Selbstverantwortung genau richtig. Letzten Endes müssen sich die Menschen bei Risiken aller Art selber bewusst sein, in welcher Art und Weise sie Risiken eingehen wollen oder nicht. Da fand ich die Handhabung und Ausrichtung auf Eigenverantwortung in der Schweiz von Anfang gut. Es war klar, dass es in der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen liegt, sich selber zu schützen. Wer sich nicht impfen lassen will, der darf dann auch nicht auf die Unterstützung der anderen zählen.
In Deutschland reibt man sich teilweise die Augen über den 'laxen' Umgang der Schweizer mit der Pandemie. Haben Sie die Deutschen schon vom Schweizer Weg überzeugen können?
Ich habe es versucht und bin ziemlich kläglich gescheitert. Die Prügel, die ich dafür bekommen habe, waren ähnlich gross, wie wenn ich Bitcoin kritisiere (lacht). Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied. Die Kritiker aus der Bitcoin-Szene zweifeln an meinen intellektuellen Fähigkeiten. Das ist nicht schön, aber damit kann ich leben. Bei der Corona-Diskussion wird hingegen nicht mein Intellekt, sondern meine moralischen Fähigkeiten infrage gestellt. Da wurde ich in Ecken gestellt, wo ich nicht stehen will und auch nicht stehe.
Thomas Straubhaar (* 1957), ist Professor der Universität Hamburg für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen. Von 1999– 2014 hat er das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut HWWI und dessen Vorgängerinstitut HWWA geleitet. Er war Gastprofessor an der UNAM und ITAM in Mexico City (2015 und 2016) und Research Fellow der Transatlantic Academy in Washington DC (2010-2017). Professor Straubhaar gehört dem Kuratorium der Friedrich- Naumann-Stiftung für die Freiheit an.
Thomas Straubhaar: Grundeinkommen jetzt! Nur so ist die Marktwirtschaft zu retten NZZ Libro, Basel, 2021. 288 S., 15 x 22 cm, Broschur. € (D) 23.– / Fr. 25.– (UVP) / ISBN 978-3-907291-52-8