cash.ch: Wie sieht denn ein typischer Arbeitstag bei Ihnen auf dem Amt aus?
Philipp Roth: Bei uns prüft eine Einschätzerin beziehungsweise ein Einschätzer im Durchschnitt zwischen fünf und zehn Veranlagungen am Tag. Zuerst prüfen wir, ob auf den ersten Blick irgendetwas auffällig ist. Ist etwas anders als erwartet oder ergibt sich ein Unterschied zum Vorjahr, geht es in die Detailprüfung. Die Einschätzerin oder der Einschätzer schaut zwar grundsätzlich jede Seite und jedes beiliegende Dokument an, wendet aber auch einen gesunden Pragmatismus an. Man macht auch Abgleiche, beispielsweise mit einem Ex-Partner. Oder man muss vielleicht einmal nachfragen und Darlehen abgleichen.
Welche Steuererklärungen werden vom Kanton bearbeitet oder geprüft?
In der Stadt Aarau kontrollieren wir praktisch alle rund 15'000 Steuererklärungen pro Jahr selber. Vom kantonalen Steuerkommissär bekommen wir fachliche Unterstützung mit Weisungen, Änderungen, Gerichtspraxen, die wir beachten müssen. Zusätzlich haben wir die Möglichkeit, einige Spezialfälle an den Kanton abgeben zu dürfen. Bei kleineren Gemeinden prüft der Steuerkommissär schwerpunktmässig die Selbstständigen, da das Know-how auf der Gemeinde oft nicht vorhanden ist.
Werden Steuererklärungen mittlerweile eher digital eingereicht oder auf Papier?
In der Stadt Aarau gehen jeweils knapp weniger als 50 Prozent der Steuererklärungen elektronisch ein. So bleiben immer noch Berge an physisch vorliegenden Steuererklärungen, die wir zuerst noch in Handarbeit vorsortieren. Danach werden diese zentral gescannt.
Werden immer noch Steuererklärungen von Hand ausgefüllt?
Bei uns werden schätzungsweise rund 10 Prozent der Steuererklärungen noch vollständig von Hand ausgefüllt. Da können dann schonmal Summenfehler drin sein oder wir kämpfen mit unleserlicher Schrift. Das sind sicher Nachteile gegenüber den digital ausgefüllten Exemplaren. Die von Hand ausgefüllten Steuererklärungen verursachen einen Mehraufwand.
Wie haben sich die Anforderungen an die Steuererklärung in den letzten Jahren verändert?
Es ist eine komplexe Materie, die nicht einfacher wird. Es gibt Gesetzesänderungen, die man im Kopf haben muss oder Familienkonstellationen, die immer anspruchsvoller werden. Wie ist es in dieser Konstellation mit den Kinderabzügen, mit den Alimenten, mit den Tarifen? Auch Krypto-Themen, in die sich die Menschen immer stärker vertiefen, aber sich über steuerliche Konsequenzen keine Gedanken machen. Gerade diese Themen sind auch für uns herausfordernd.
Was empfehlen Sie Privatpersonen, damit sie ihre Steuererklärung möglichst effizient und unkompliziert ausfüllen?
Die Hauptschwierigkeit besteht darin, alle notwendigen Dokumente bereit zu halten beziehungsweise aufzufinden. Daher rate ich, alle relevanten Dokumente direkt bei Erhalt in einen physischen oder elektronischen Ordner abzulegen und sauber zu sammeln. Weiter empfehle ich, die Steuererklärung mit dem vom Kanton zur Verfügung gestellten EDV-Programm auszufüllen.
Viele beschäftigen sich nicht gerne mit der Thematik Steuern. Lohnt sich ein Steuerberater?
Für viele sind Steuern etwas Persönliches. Deshalb scheuen sie sich, jemanden zu fragen oder Hilfe beizuziehen. Aber wenn sich jemand nicht gerne damit beschäftigt und sich nicht in die Materie eindenken will, lohnt sich der Gang zur Steuerberatung. In den allermeisten Fällen machen wir wirklich gute Erfahrungen mit den Treuhänderinnen und Treuhändern. Gerade bei Selbstständigen, die sich nebst der Geschäftstätigkeit nicht noch mit Buchhaltung und Steuern beschäftigen möchten. Es lässt sich nicht grundsätzlich sagen, ab wann oder unter welchen Umständen sich die Steuerberatung lohnt.
Haben Sie viele Fälle von Personen, die die Steuern nicht zahlen können?
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Personen ihre Steuerrechnung nicht bezahlen. Es gibt jene, welche die Thematik zu wenig ernst nehmen oder solche, die von der Quellensteuer zur Normalbesteuerung übertreten und sich nicht gewohnt sind, dass einmal im Jahr eine Rechnung kommt. Dann gibt es auch Personen, die nicht zahlen wollen oder aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht können. Die Steuerrechnung ist ein grosser Ausgabenposten im privaten Budget. Nicht bezahlte Steuern können rasch zur Schuldenfalle werden.
Wie kann diese Schuldenfalle vermieden werden?
Ich empfehle, den Steuerbetrag anteilsmässig ins monatliche Budget einzurechnen und beispielsweise auf ein separates Bank- oder Postkonto zu überweisen. Auch monatliche Ratenzahlungen von noch nicht zur Zahlung fälligen Steuern an die Wohngemeinde sind möglich. Ratenzahlungen von bereits fälligen Steuerrechnungen sind mit der Wohngemeinde abzusprechen. Als grober Richtwert für die Höhe der Steuerrechnung gilt die Empfehlung, vorsorglich einen Monatslohn einzurechnen. Das kann bei einem Doppelverdiener-Ehepaar oder bei gutverdienenden Einzelpersonen auch weit mehr sein. Bei jemanden mit tieferem Einkommen beträgt die jährliche Steuerlast hingegen in der Regel keinen ganzen Monatslohn. Es hängt aber auch von der Höhe des Steuerfusses der Wohngemeinde ab.
Philipp Roth ist seit 2021 Leiter Sektion Steuern der Stadt Aarau. Zuvor war er für längere Zeit beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen PwC im Bereich Steuerberatung für Privatpersonen tätig. Er verfügt über ein Masterstudium in Accounting and Finance sowie eine Ausbildung zum eidg. Dipl. Steuerexperten.
Was sind die häufigsten unabsichtlichen Fehler, die Sie feststellen?
Versehentliche Tippfehler. Man gibt beim Lohn statt 100'000 Franken nur 10'000 Franken ein, das kann sehr schnell passieren. Oder, dass das System beim Scannen aufgrund unleserlicher Handschrift falsche Werte übernimmt. Also ganz simple Fehler. Es kommt aber auch vor, dass Personen Vermögenswerte im Ausland nicht angeben, weil sie nicht wissen oder nicht wissen wollen, dass ein Haus ausserhalb der Schweiz für die hiesige Steuererklärung relevant ist. Manche geben den Bruttolohn anstelle des Nettolohns an oder ziehen bei den Krankheitskosten die Versicherungsprämien ab. Ausserdem fallen gerade im Liegenschaftsbereich die Abzüge manchmal sehr kreativ aus. Solche Dinge korrigieren wir.
Wie mache ich denn möglichst wenig Fehler beim Ausfüllen der Steuererklärung?
Eine gute, aber häufig nicht genutzte Möglichkeit zur Vermeidung von Fehlern bietet der Abgleich der Zahlen mit der Steuererklärung oder der Veranlagung des Vorjahrs. So werden allfällige Differenzen gleich ersichtlich und Fehler zu den eigenen Ungunsten vermieden.
Was sind die häufigsten Gründe für Steuerprüfungen? Wie bereitet man sich darauf vor, wenn man in diesen Fall eintritt?
Wir stellen grundsätzlich niemanden unter Generalverdacht. Bei Selbstständigen kommt eine vertiefte Prüfung aber eher vor. Bei komplexen oder unklaren Jahresrechnungen, in denen nicht ersichtlich ist, was verbucht wurde, sind wir natürlich an den Details interessiert. Oder wenn jemand sehr komplexe Verhältnisse aufweist, beispielsweise verschiedenste Liegenschaften besitzt, das eigene Unternehmen umstrukturiert oder offensichtlich optimieren möchte – in solchen Fällen schauen wir sicher genauer hin.
Aktionärswertschriftendepots zu prüfen ist im Normalfall relativ aufwendig. Gehen Sie da genau gleich in die Tiefe?
Ein Wertschriftenverzeichnis einer steuerpflichtige Person, die Aktien besitzt, wird von der Wertschriftenprüfungsabteilung des Kantons geprüft. Da werden dann auch Unternehmensbewertungen für nicht-kotierte Gesellschaften erstellt. Ansonsten läuft die Prüfung des Wertschriftenverzeichnis nach demselben Ansatz wie die Prüfung der restlichen Positionen bei der Gemeinde.
Haben Sie Tipps für aktive Aktienhändler in Bezug auf die Steuerdeklaration?
Es hilft natürlich, wenn man für die Steuern die konsolidierten Zahlen hat und nicht einzelne Transaktionen notieren und prüfen muss. Daher empfehle ich, wenn es nicht nur zwei, drei Transaktionen sind, dass man bei der Bank einen Steuerauszug bestellt. Der kostet je nach dem etwas, aber die Abrechnung ist so sauber gemacht.
Auf die 15'000 Fälle: Wieviele Fälle von Steuerhinterziehung haben Sie pro Jahr?
Das kann ich so nicht quantifizieren. Gibt jemand eine Kleinigkeit nicht an, handelt es sich im engeren Sinn eigentlich schon um eine Steuerhinterziehung. Wir haben aber auch ein bis zwei grössere Fälle monatlich, wo Sachverhalte auftauchen, beispielsweise im Zusammenhang mit Erbschaften, bei denen Nachkommen noch Bankkonten im Ausland oder Geld im Keller gefunden haben. Wir sind uns bewusst, dass es sich bei einem Grossteil der Steuerpflichtigen um Laien auf diesem Gebiet handelt und haben deshalb auch Verständnis, wenn jemand mal aus Versehen ein Mieterkautionskonto nicht angibt. Im Fall der Fälle kann man das Gespräch mit uns suchen oder bei den Bemerkungen zur Steuererklärung etwas notieren. Das gilt beispielsweise auch, wenn man über Kryptowährungen verfügt und nicht genau weiss, wie das anzugeben ist.
Hatten Sie schon Fälle von dreisten Steuertricksereien?
Das kommt schon vor, dabei handelt es sich aber wirklich um Ausnahmen. Da geht es dann beispielsweise um gefälschte Poststempel im Zusammenhang mit Einsprachefristen. Oder um mehrere plötzlich auftauchende und stark voneinander abweichende Lohnausweise. Auch bei Personen, die sich selbst anstellen, also Inhaber der betreffenden Firmen sind und ihren Lohnausweis selbst unterschreiben, liegt unser Augenmerk.
Es wird gesagt, im Kanton Aargau seien Beamte wahnsinnig pingelig bei den Steuererklärungen im Vergleich zu Zürich...
Ja, das wird uns manchmal vorgeworfen. Wir arbeiten sicher sehr exakt. Während wir uns heute noch jeden Fall einzeln anschauen, gibt es Bestrebungen, künftig Teile des Prozesses zu automatisieren und damit effizienter zu gestalten. Bereits heute wenden wir jedoch Augenmass an, gerade bei unspektakulären Fällen, in denen ein geringes Risiko besteht – also bei gleichem Lohn wie im Vorjahr, kein Vermögen, keine Schulden.
Sie haben ein paar Mal gesagt, dass Sie die Leute nicht böswillig verfolgen und zur Hilfe stehen. Sie sind die steuereintreibende Organisation, aber eigentlich auch Dienstleister für die Steuerpflichtigen?
Das trifft es relativ gut auf den Punkt. «Beratung» in diesem Sinne machen wir sicherlich nicht. Wenn ein offensichtlicher Abzug fehlt, gewähren wir den auch. Aber wenn jemand immer in die 3. Säule eingezahlt hat und plötzlich ist weder ein Eintrag noch ein Nachweis da, dann gewähren wir den entsprechenden Abzug nicht und fragen auch nicht bei der betreffenden Person nach. Schliesslich handelt es sich bei der Steuererklärung um eine Selbstdeklaration. Aber klar: Wir sind nicht die «Bösen». Es macht uns definitiv keine Freude, wenn wir mehr versteuern können, weil jemand etwas vergessen hat.