cash.ch: Der Zusammenbruch des Signa-Konzerns von René Benko schlägt immer noch Wellen auf dem Immobilienmarkt. Wie ordnen Sie die Lage ein?

Claudio Saputelli: Einerseits wird man immer von neuem überrascht und andererseits gewarnt. Das Risiko steigernder Zinsen wurde über Jahre hinweg schlichtweg ausgeblendet. Dann braucht es entsprechend wenig, bis das Kartenhaus zusammenfällt. 

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich…

Wir sehen oft das gleiche Muster, wenn ein zu hohes Risiko eingegangen wird. Aber in dieser Dimension ist es für ein kleineres Land wie Österreich eher einmalig. Was hier allerdings zu denken gibt, ist die heikle Verflechtung und somit Interessenskonflikte zwischen Politik und Wirtschaft.

Der kriselnde US-Gewerbeimmobilienmarkt ist erneut in den Fokus der Anleger gerückt. Insbesondere Büroimmobilien stehen durch den anhaltenden Trend zum Arbeiten von zu Hause unter Druck. Alarmismus?

Seit die beiden US-Banken Silicon Valley und Signature Bank im März 2023 aufgrund von Verlusten auf Staatsschuldenbeständen kollabierten, wird das Thema rund um US-Immobilien immer wieder aufgegriffen. Jüngst musste auch die Deutsche Pfandbriefbank auf US-Büroimmobilien Abschreibungen vornehmen. US-Büroimmobilien machen aber ‹nur› rund 15 Prozent des sonst soliden kommerziellen US-Markts aus. Zudem gibt es auch in den USA bei den Qualitätsliegenschaften kaum Leerstand. Wir sehen daher keine latente Gefahr für die konjunkturelle Entwicklung. Umso mehr, weil das Ganze sich über die nächsten Monate graduell mit den sinkenden Zinsen wieder entschärfen dürfte.

Im vergangenen Jahr stiegen die Immobilienpreise trotz höherer Zinsen weiter. Wie hat sich die Nachfrage und das Angebot auf dem Markt für Wohneigentum in den letzten Monaten in der Schweiz entwickelt?

Die Eigenheimpreise legten im 4. Quartal 2023 gemäss 'UBS Composite Index' um 0,9 Prozent zu, die höchste Quartalsveränderungsrate im vergangenen Jahr. Im Vorjahresvergleich resultierte daraus eine Verteuerung der Eigenheime um 2,9 Prozent. Die Preisentwicklung im Endquartal 2023 war durch einen starken Anstieg der Preise für Eigentumswohnungen getrieben, die 1,2 Prozent zulegten und das Jahr 3,4 Prozent über den Vorjahreswerten schlossen. Die Einfamilienhäuser verteuerten sich im Quartalsvergleich um 'nur' 0,6 Prozent und im Vorjahresvergleich um 2,4 Prozent. 

Welche Faktoren dominieren das Angebot und die Nachfrage?

Hinsichtlich der Nachfrage nach Eigenheimen ist die Zahl der Suchabonnemente in den letzten beiden Jahren um rund 50 Prozent eingebrochen. In den letzten Monaten wurde allerdings im Zuge sinkender Zinserwartungen die Talsohle bei den Suchabonnementen durchschritten. Die Gründe für das geringere Interesse liegen in den höheren Finanzierungskosten, die Kaufen im Vergleich zu Mieten wieder teurer gemacht haben. Auch die Nachfrage nach Neuinvestitionen in Buy-to-let (kaufen, um zu vermieten) hat deutlich nachgelassen. Demgegenüber hat auch das Angebot an Eigenheimen nach mehreren Jahren mit sinkendem Trend wieder leicht zugenommen, wobei sich der Anstieg jüngst wieder deutlich abgeflacht hat. Aktuell steht allerdings die Knappheit bei Mietwohnungen im Mittelpunkt der Diskussion. Hierzu sind noch kaum Signale einer Entspannung auszumachen.   

Warum harzt es beim Angebot? Haben wir den Wohnungsmarkt ‹totreguliert›?

Dass es zyklisch zu diesem Einbruch beim Angebot gekommen ist, hat auch damit zu tun, dass unglücklicherweise mehrere Ereignisse gleichzeitig eintraten. Mit den hohen Leerständen vor der Pandemie in vielen Regionen der Schweiz lohnten sich die Investitionen immer weniger. Wegen der Pandemie nahmen dann die Baukosten massiv zu und die Planbarkeit war nicht mehr gegeben. Dies bremste die Bautätigkeit weiter. Dann stiegen auch noch die Finanzierungskosten. Verschärfend kam hinzu, dass viele Regulierungen die Bewilligungsverfahren zusätzlich verlangsamt haben. 

Was bedeutet dies für die Entwicklung an der Preisfront in den kommenden Monaten?

Die Preise werden weiter steigen, wenngleich in abgeschwächter Form. Bei Eigenheimen erwarten wir für 2024 nur noch ein Preiswachstum von 0,8 Prozent. 

Inflationsbedingt ein Realverlust also…

Genau, ein leichter Verlust. Aber die Eigenheimpreise haben sich in den letzten Jahren meistens immer stärker als die Inflation entwickelt. Sicher auch während der Pandemie, wo international eine regelrechte Euphorie herrschte. Mit den global steigenden Zinsen kamen die Eigenheimpreise in vielen Ländern aber stark unter Druck. In der Schweiz vermochten sich die Preise allerdings stets im positiven Bereich zu halten. Dies gründet auch darin, dass hierzulande die Schmerzgrenze mit dem Zinsanstieg nicht erreicht wurde.

Die Wohneigentumspreise zu Haushaltseinkommen beziehungsweise zu Konsumentenpreisen kletterten zuletzt weiter und verzeichneten neue Höchststände. Ist dies nicht problematisch?

Haushaltseinkommen und Konsumentenpreise sind in der Schweiz stark korreliert, weshalb sich beide Verhältnisse in den letzten Jahren parallel entwickelt haben. Die Schere zwischen den Eigenheimpreisen und den Haushaltseinkommen hat sich zunehmend geöffnet, weil das Haushaltsbudget in den Tiefzinsphasen für die Finanzierung des Eigenheims vergleichsweise wenig belastet wurde. Die Haushaltseinkommen stellten dabei nur für die Tragbarkeitsrechnung beim Kauf eines Objekts eine entscheidende Hürde dar, jedoch nicht für den späteren finanziellen Unterhalt. Der Höchststand des Verhältnisses Eigenheimpreise zu Haushaltseinkommen lässt sich somit mit den über Jahre nachhaltig gesunkenen Finanzierungskosten erklären. 

Die Einwohnerzahl der Schweiz dürfte bis Mitte der 2030er-Jahre um eine weitere Million ansteigen. Für die Haushalte bedingt das erstmals seit 70 Jahren wohl eine Einschränkung des Wohnkonsums, denn kumuliert fehlen bis dann mindestens 150'000 Wohnungen. Was bedeutet dies für die Häuser- und Mietpreise?

Die Mieten dürften in den nächsten Jahren aufgrund einer sich zuspitzenden Verknappung schneller steigen als die Einkommen. Die Angebotsmieten könnten bis Mitte der 2030er-Jahre real insgesamt um 25 bis 30 Prozent zulegen. Im Gegensatz zu den letzten 70 Jahren dürfte die Mietpreisentwicklung an Zentrumslagen stärker ausfallen als in der Peripherie. 

Gibt es für Immobilieninvestoren in diesem Umfeld auch Risiken?

Im aktuellen Umfeld besteht das substanzielle Risiko, dass bei Verschlechterung der Wohnsituation vieler Haushalte die regulatorische Keule geschwungen wird, was die Bautätigkeit weiter beeinträchtigen würde. Die Entwicklung in Basel geht bereits in diese Richtung. Auch bei Wohnimmobilienpreisen ist zu erwarten, dass diese bei insgesamt moderater Zinsentwicklung stärker steigen werden als die Einkommen. 

Was können Sie auf dem Markt für Hypothekarkredite beobachten?

Das Wachstum der Hypothekarkredite hat sich bei höheren Zinsen deutlich verlangsamt – insbesondere bei privaten Haushalten. Während das Volumen der Hypothekarkredite von privaten Haushalten noch Mitte 2022 mit über 3 Prozent pro Jahr stieg, lag die Wachstumsrate per Ende 2023 nur noch bei 1,7 Prozent. So tief war der Zuwachs letztes Mal 1997. Die Schwächephase hat sich im Dezember 2023 gar akzentuiert, als Haushalte ihre Verschuldung im Monatsvergleich gar reduziert hatten. 

Die Hypozinsen sind in den letzten Monaten wieder deutlich zurückgekommen. Was ist Ihr Szenario bis zum Jahresende?

Die Langfristhypotheken dürften im Jahresverlauf leicht günstiger werden. Die Zinsen von Geldmarkthypotheken werden hingegen bis Mitte Jahr stabil bleiben. Mit den erwarteten Zinssenkungen der Schweizerischen Nationalbank dürften sie allerdings bis Ende Jahr wieder deutlich günstiger werden. 

Entscheidend bei der Saron-Hypothek ist das geldpolitische Agieren der Schweizerischen Nationalbank SNB. Was kann man dort erwarten?

Um eine Aufwertung des Schweizer Frankens zu verhindern, dürfte die SNB im Juni 2024 eine erste Leitzinssenkung um 25 Basispunkte vornehmen. Wir rechnen anschliessend noch mit zwei weiteren Zinssenkungen im September und Dezember, sofern die hiesige Inflation nicht unerwartet wieder abhebt. Somit würde der SNB-Leitzins Ende Jahr bei 1 Prozent liegen.

Mit den sinkenden Zinsen wird das Eigentum im Vergleich mit der Miete wieder attraktiver…

Ja, wir erwarten, dass die laufenden Kosten für Eigentum wieder fallen und sich somit an die Mieten annähern. 

Welche Strategie sollten Eigentumsbesitzer bei einem Neuabschluss einer Hypothek fahren? Festhypothek oder Saron?

Wir gehen derzeit davon aus, dass eine Staffelung aus einer Drei-Jahres-Festhypothek mit anschliessender Geldmarkthypothek die günstigste Finanzierungsvariante über eine Laufzeit von zehn Jahren bildet. Der Zinskostenvorteil dieser Variante beträgt rund zehn Prozent der kumulierten Zinszahlungen einer Zehn-Jahres-Festhypothek. Die Wahl der optimalen Hypothekarfinanzierung hängt allerdings auch von der Risikofähigkeit und -bereitschaft der Hypothekarnehmerin oder des Hypothekarnehmers ab.

Was sind die grössten Fehler, die Wohneigentümer beim Thema Hypotheken machen können?

Grosse Fehler kann man heutzutage kaum mehr machen, da man in Sachen Hypotheken von den Kreditgebern sehr gut beraten wird. Dennoch lassen sich die wichtigsten Fehler wie folgt zusammenfassen: falscher Kreditgeber (suboptimales Pricing), falscher Rahmenvertag (nachteilige Richtlinien) und falsches Produkt (ungünstige Laufzeiten). Entsprechend ist es wichtig, dass man sich im Vorfeld eines Abschlusses auf allen drei Ebenen gut informiert. 

Mehr nicht?

Es fällt immer wieder auf, wie stark die Hypothekarnehmer an ihren Kundenberatern festhalten. Als Konsequenz holt man selten andere Offerten ein. Zudem trauen sich viele nicht, die Bank zu wechseln. Eine Hypothek ist aber ein Standardprodukt par excellence, der Anbieter ist hier in der Regel weniger relevant.

Welcher ist der grösste Trend auf dem Markt für Eigenheime, den man auf dem Radar haben sollte?

Gemäss einer im November 2023 erschienenen Studie von PwC und dem Urban Land Institute (ULI) zum europäischen Immobiliensektor glauben 80 Prozent der befragten Immobilienfachleute, dass ESG-Themen bis 2050 die grössten Auswirkungen auf den Immobilienmarkt haben werden. Auch wenn bei diesen Einschätzungen mehr Geschäftsflächen im Fokus standen, gilt auch für Eigenheime, dass an Nachhaltigkeitsthemen niemand vorbeikommen wird. 

Claudio Saputelli ist Chief Investment Officer Global Real Estate bei der UBS. Er arbeitet seit 2007 bei der Grossbank und ist Initiator und Verantwortlicher unter anderem des UBS Swiss Real Estate Bubble Index sowie anderer regelmässig erscheinenden Immobilienstudien. 

Claudio Saputelli studierte Volkswirtschaft an der Universität Zürich sowie Bewegungswissenschaften und Sport an der ETH Zürich. Davor arbeitete er mehrere Jahre als Wirtschaftsinformatiker und Softwareentwickler bei Zurich Financial Services.

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