cash:ch: Wie hat sich die Raumfahrtindustrie in den letzten Jahren verändert, so dass sie jetzt als Zukunftsmarkt angesehen wird?
Rolando Grandi: Die grosse Veränderung war, was als Übergang vom Space 1.0 zum Space 2.0 bezeichnet wird. Die alten Militär- und Verteidigungsunternehmen, die in den letzten 70 Jahren diese Wirtschaft entwickelt und dominiert haben befinden sich mehr und mehr auf dem Abstellgleis. Denn sie treiben die Innovation in einem langsameren Tempo voran und sind teurer als die nächste Generation von Unternehmen. Die Disruption und Innovation kommen neu von privaten Unternehmen, die in der Regel von Gründern geführt werden. Jeder denkt dabei in erster Linie an Elon Musk mit SpaceX oder Jeff Bezos mit Blue Origin. Doch es gibt auch weniger bekannte wie William Marshall mit Planet Labs oder Peter Beck mit Rocket Lab. Allen gemein ist die Vision, die Industrie in einem schnellen Tempo voranzubringen und den Weltraum erschwinglicher zu machen.
Welche Technologien ermöglicht diese Revolution?
Space 2.0 nutzt viele der neuen Technologien, die in anderen Bereichen der Wirtschaft entwickelt werden. Cloud Computing, künstliche Intelligenz, Robotik oder 3D-Druck gehören dazu. Kurz gesagt ist die Revolution Space 2.0: Neue Unternehmen, die mit Innovation, Kostensenkung und der Nutzung neuer Technologien, die Raumfahrtbranche voranbringen.
Die Kosten waren ja lange das Hauptproblem, warum der Weltraum nicht mehr genutzt wurde. Jetzt wird teilweise wie bei SpaceX der Booster wiederverwendet…
Vor 20 Jahren lag der Preis, um ein Kilogramm in den Weltraum zu senden, bei 25'000 Dollar. Heute bezahlt man 2500 Dollar. Und in zehn Jahren wird der Preis bei einem Zehntel des heutigen Preises liegen.
Und was ist das nächste grosse Ding? Die Reise zum Mars?
Auf jeden Fall. Ebenso interessant ist, dass die Internationale Raumstation ISS bis zum Ende des Jahrzehnts ausser Betrieb genommen werden soll. Während die Russen die eine Seite der ISS übernehmen, werden die westlichen Mächte ihren Teil an private Unternehmen übergeben. Zum Beispiel an Blue Origin, damit diese ihre eigenen privaten Stationen bauen können. Und was machen die NASA und die anderen westlichen Staaten, sie fliegen bis 2025 zum Mond. Die neue Mondstation Lunar Orbital Platform-Gateway Diesmal soll um den Mond kreisen und die Reise zum Mars ermöglichen. Während sich also die Technologie weiterentwickelt und die Kosten immer weiter sinken, steigt das strategische Interesse an der Raumfahrt. Wir können beobachten, wie sich die Grenze von der niedrigen Erdumlaufbahn in Richtung Mond und Mars erweitern. Und dann auch darüber hinaus.
Wird sich mit den neuen Möglichkeiten die Militarisierung des Weltalls nicht weiter beschleunigen?
Natürlich drängt die NASA zusammen mit einigen Militär- und Verteidigungsunternehmen darauf, zum Mars zu fliegen. Das gleiche hat aber auch SpaceX, ein kommerziell orientiertes Unternehmen, vor. Dieses will dort ein eigenes Ökosystem aufbauen. Beide Arten von Akteuren werden in diesem Wettlauf ins All sehr präsent sein.
Was bedeutet diese Entwicklung für das Wachstum des Marktes?
2020 belief sich die Grösse des Gesamtmarktes auf 400 Milliarden Dollar. Bis im Jahr 2045 wird geschätzt, dass sich diese Zahl auf 2,7 Billionen Dollar vergrössert. Und wir gehen auch davon aus, dass es weitere positive Auswirkungen geben wird, da andere Industriezweige von der Raumfahrttechnologie profitieren werden, was den adressierbaren Markt des Raumfahrt-Ökosystems auf noch höhere Zahlen bringt.
Mit Blue Origin von Jeff Bezos, SpaceX von Elon Musk oder Virgin Galactic von Richard Branson bieten private Unternehmen nun touristische Dienstleistungen in den Weltraum an. Bleibt das nicht schlussendlich ein Spass für die ganz Reichen oder wird sich das in Zukunft auch die breite Masse leisten können?
Die Hauptidee ist, die Kosten zu senken. Dies erreicht man durch mehr Starts, optimierte Systeme und Innovation. Ja, heute kostet ein Ticket ins All mit einer Aufenthaltsdauer von 10 Minuten zwischen 100'000 und 250'000 Dollar. Aber in den nächsten Jahren dürfte diese Zahl weiter sinken. Und vermutlich werden wir zukünftig Billiganbieter haben, die jeden für eine 10-minütige Reise in den Weltraum befördert. Und es geht auch um den Weltraumtransport an sich. SpaceX denkt heute darüber nach, eine Reise von Paris nach Tokio in 30 Minuten zu ermöglichen. Wenn wir den Blickwinkel erweitern, geht es daher um den Transport und darum, wie wir dank der Raumfahrttechnologie von Punkt A nach Punkt B gelangen können.
Werden Sie eines Tages die Erde vom Weltraum aus sehen?
Ja, ich bin 100 Prozentig sicher. Ich würde es sehr gerne machen. Denn ich glaube, es wird eine der unglaublichsten Erfahrungen sein, die ich in meinem Leben machen werde.
Warum sind Sie so sicher?
Das Ökosystem beschleunigt sich mit exponentieller Geschwindigkeit. Und wir Menschen können nicht exponentiell denken, wir denken linear. Ich denke also, dass wir in Bezug auf den Weltraum mehr positive als negative Überraschungen erleben werden.
In welchen anderen Bereichen werden sich in Zukunft völlig neue Möglichkeiten eröffnen? Bergbau? Fabrikation?
Ja, sicherlich auch. Aber es geht nicht nur um den Weltraum. Die Weltraumtechnologie ist auch dazu da, das Leben auf der Erde zu verbessern. Wir können schlussendlich mehr Bilder von der Erde machen und uns mit Dateninformationen versorgen. Diese können dann dank künstlicher Intelligenz umgewandelt werden und die Transportlogistik verbessern, was wiederum Treibstoff einspart. In der Landwirtschaft kann aufgrund der besseren Wettervorhersage die Ernte verbessert werden. Und wenn wir über den Klimawandel nachdenken, stammen mehr als die Hälfte der verwendeten Indikatoren aus dem Weltraum.
Welches private Raumfahrtunternehmen ist der Technologieführer und warum?
SpaceX ist führend bei Raketenstarts und dem Senden von Ressourcen in den Weltraum.
Eine Investition ist bei SpaceX an der Börse aber nicht möglich…
Ja, SpaceX ist noch nicht börsennotiert. Aber es gibt Alternativen. Führend auf dem Gebiet der Erdbeobachtung ist beispielsweise Planet Labs. Diese verfügen über 200 Satelliten, die um die Erde kreisen und mehr als 3 Millionen Bilder pro Tag zurücksenden. Für ihre Kunden übersetzt das Unternehmen mithilfe von Algorithmen diese Daten in Erkenntnisse.
Raumfahrtaktien wie Astra Space haben in diesem Jahr bis zu 62 Prozent ihres Wertes verloren. Warum sollte man in diesem Marktumfeld trotzdem investieren?
Das Marktumfeld ist nicht nur für Weltraumunternehmen schwierig, sondern für alle Unternehmen, die schnell wachsen, viel innovieren und oftmals noch kein Geld verdienen. Das heisst aber nicht, dass sie in der Zukunft nicht rentabel sein werden.
Welches ist neben Planet Labs eine interessante und vielversprechende Aktie, die Anlegerinnen und Anleger auf dem Radar haben müssen?
Wir haben etwa 30 Aktien im Portfolio, von denen wir überzeugt sind. Denn jedes Unternehmen ist auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert und in ihrem Sektor führend. Wo wir sehr positiv gestimmt sind, ist bei Rocket Lab. Das Unternehmen liegt beim Transport von Gütern in den Weltraum nur knapp hinter SpaceX. Zudem wird Rocket Lab in den nächsten zwei Jahren eine Rakete der nächsten Generation in Produktion bringen werden, die Neutron heissen wird. Diese wird, unserer Meinung nach, das Unternehmen revolutionieren, weil sie eine höhere Kapazität hat. Das bedeutet, dass man mehr Kilogramm in den Weltraum schicken kann und höhere Einnahmen erzielt. Sowie kann die Rakete vollständig wiederverwendet werden. Neutron wird Rocket Lab in eine sehr starke Position auf dem Markt für kleine Trägerraketen bringen, der derzeit einer der am schnellsten wachsenden Märkte im Raumfahrt-Ökosystem ist.
Wo sehen Sie auch noch Chancen?
Wir halten auch Maxar Technologies für eine vielversprechende Aktie. Maxar Technologies ist seit über 60 Jahren ein Pionier in der Satellitenherstellung und setzt seine Innovationen fort, um seinen Kunden in bis zu 70 Ländern zuverlässige Satellitenplattformen und Präzisionsroboter zur Verfügung zu stellen. Heute verfügt das Unternehmen über eine der fortschrittlichsten Konstellationen kommerzieller Imaging-Satelliten der Welt.
Spürt ein Unternehmen wie Maxar Technologies nicht auch den konjunkturellen Gegenwind?
Maxar Technologies hat angekündigt, seine Prognosen für 2022 aufrechtzuerhalten, das heisst ein jährliches Umsatzwachstum zwischen 6 Prozent und 13 Prozent. Dieses Wachstum soll insbesondere durch die Entwicklung des Geschäftsbereichs Earth Intelligence vorangetrieben werden, der Satellitenbilder, meteorologische und kartografische Daten sammelt, die dann für Kunden analysiert werden. Das Management strebt in den nächsten drei Quartalen einen zusätzlichen Umsatz von 80 bis 110 Millionen Dollar aus dem Bereich Earth Intelligence an. Da 26 der 50 von der UNO ermittelten Indikatoren für die Überwachung des Klimawandels inzwischen durch Satellitenbilder bereitgestellt werden, scheint uns dieser Bereich gute Wachstumsaussichten zu haben.
Rolando Grandi stammt ursprünglich aus Bolivien und studierte an der IAE School of Business in Lyon. Er arbeitet seit 2017 für den Asset Manager La Financière de l'Echiquier (LFDE) in Paris, wo er den Fonds «Echiquier Space» leitet.