cash.ch: Der Schweizer Immobilienmarkt wird massgeblich durch die Geldpolitik der Schweizer Nationalbank beeinflusst. Warum sind jetzt viele überrascht, dass die Wohnkosten in die Höhe gehen? 

Donato Scognamiglio: Ich glaube heute sollte niemand mehr überrascht sein, dass Geld nicht mehr gratis ist. In den letzten 14 Jahren sind die Zinsen nur gesunken, doch nun sollte jeder mitbekommen haben, dass die Pandemie und der Krieg in der Ukraine zu Inflation und steigenden Zinsen geführt haben. Die SNB bekämpft die Inflation durch Zinserhöhungen. Zur Freude der Preisstabilität der Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen zum Leid der Hypothekarschuldner und Mieter, welche tiefer in die Tasche greifen müssen.

Was wird gemeinhin beim Thema Eigenheim missverstanden?

Wer in einer Tiefzinsphase eine Hypothek aufnimmt, müsste eigentlich damit rechnen, dass nach dieser Phase wieder ein Zeitabschnitt folgt, während dessen die Zinsen wieder steigen. Ich würde in diesem Zusammenhang allerdings nicht von einem Missverständnis reden. Künftige Hausbesitzer informieren sich in der Regel sehr gut. 

Steigende Zinsen haben den Immobilienmarkt in Schweden oder Grossbritannien in Schieflage gebracht. Warum bleibt die Schweiz diesbezüglich eine Insel der Glückseligen?

Der Eigenheim-Markt ist sehr robust und resilient. Obwohl die Verschuldung der Privathaushalte Rekordhöhen erreicht hat, ist das Ausfallrisiko eher gering, da die gute Wirtschaftslage für Vollbeschäftigung gesorgt hat. Dafür verantwortlich sind auch die Tragbarkeitsrichtlinien der Banken, die dafür sorgen, dass sich niemand über die Massen verschuldet oder durch einen plötzlichen Zinsanstieg in eine Schieflage geraten würde. 

Eine Preiskorrektur ist in der Schweiz nicht realistisch...

Uns ist es tatsächlich sehr lange Zeit gut gegangen, während die Nachbarländer oft im Krisenmodus waren. Das heisst allerdings nicht, dass wir für ewig gegen Krisen gefeit sind. Und bei Anlageobjekten hat die Korrektur stattgefunden, insbesondere bei den an der Börse bezahlten Preisen für indirekte Immobilienanlagen. 

Wie haben sich das Angebot und die Nachfrage auf dem Schweizer Markt für Wohnimmobilien angesichts steigender Zinsen in den letzten Monaten denn entwickelt?

Die Nachfrage nach privatem Wohneigentum und Mehrfamilienhäusern ist robust, was sich in den positiven Wachstumszahlen des letzten Quartals ausdrückt. Einfamilienhäuser gibt es noch zu wenig auf dem Markt, weil in der Vergangenheit auf jeder bebaubaren Parzelle Mehrfamilienhäuser errichtet wurden. Einfamilienhäuser mit Umschwung sind eigentlich ein Anachronismus in einer Zeit, in der viele Gemeinden die Verdichtung vorantreiben möchten. Andererseits sind sie immer noch der Stoff, aus dem die klassischen Wohnträume bestehen. 

Das Thema 'Wohnungsnot' macht wieder die Runde. Ist es wirklich so schlimm, wie vielfach berichtet wird?

Tatsächlich wird es nach jetzigen Berechnungen ein Manko an Wohnungen geben für die zugewanderten Menschen, die neu auf den Wohnungsmarkt dazukommen in den nächsten Jahren. Dieses Phänomen würde ich eher als Wohnungsmangel bezeichnen. Wohnungsnot entsteht eher in den Städten wie Genf oder Zürich, wo neue Wohnungen blitzschnell weggehen wie warme Semmeln, wenn sie überhaupt ausgeschrieben werden. Aber dieses Phänomen ist nicht neu. 

Wer kann sich die hohen Preise überhaupt noch leisten?

Doppelverdiener oder Arbeitnehmer mit Kaderlöhnen. Manche Liegenschaften beispielsweise in Genf oder am Zürichsee sind inzwischen so teuer, dass sogar ein Bundesrat Mühe hätte mit der Tragbarkeit. Zu den Verlierern gehören meistens junge Familien ohne Zustupf aus dem Elternhaus. 

Wie werden sich die Preise für Schweizer Wohnimmobilien in den kommenden Monaten entwickeln?

Die Preise für privates Wohneigentum und Mehrfamilienhäuser dürften sich in den nächsten Monaten eher seitwärts entwickeln. 

Nochmals Zinsen: Mit welchen Hypothekarzinsen müssen Schweizer Eigenheimbesitzer in der Zukunft rechnen?

Das ist jetzt ein bisschen wie in die Kristallkugel gucken, denn dies hängt vor allem davon ab, wann die Schweizerische Nationalbank bei ihren Zinserhöhungen eine Pause einlegt. 

Was ist Ihre Einschätzung?

Mit dem erneuten Anstieg des Leitzinses vom 22. Juni hält die Schweizerische Nationalbank an ihrer straffen Geldpolitik fest, um die Inflation einzudämmen. Das ist nun bereits der fünfte Zinsschritt in Folge. Zwar ist die Inflation im Juni erstmals unter die 2-Prozent-Grenze gerutscht. Doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh. Denn die Leitzinserhöhungen haben indirekt den Referenzzinssatz erhöht. Das erlaubt den Vermietern, die Mietzinse dieses Jahr zu erhöhen, was sich dann auch auf den Landesindex der Konsumentenpreise auswirkt (als Basis der Inflation). 

Die SNB bleibt unter Handlungsdruck...

Es wird erwartet, dass die SNB ihren Leitzins im September ein letztes Mal auf 2 Prozent erhöhen wird. Auf die langfristigen Hypothekarzinsen wird dieser Zinsschritt mit grösster Wahrscheinlichkeit keinen grossen Einfluss haben, da die Anleihemärkte bereits die Änderung der Leitzinsprognose für September antizipieren. 

Kommen aktuell nicht viele Haushalte bereits jetzt an ihre Schmerzgrenzen und müssen sparen?

Wer eine günstige Hypothek während der Tiefzinsperiode abgeschlossen hat, muss jetzt effektiv tiefer in die Tasche greifen, wenn er seine Hypothek erneuert. Obwohl die Tragbarkeit mit einem Zins von 5 Prozent berechnet wird, wird dies bei einigen zu Mehrkosten führen, die sie vielleicht gar nicht budgetiert haben. Wir glauben allerdings nicht, dass jetzt vermehrt Eigentümer ihr Eigenheim verkaufen, denn solch eine Investition ist in der Schweiz meistens ein Generationenprojekt. 

Freie Mietwohnungen werden knapp - vor allem in den Städten. Handelt es sich hier um einen langfristigen Trend?

Leider ja. In den Städten wird das Angebot immer kleiner sein als die Nachfrage. Jede freie Parzelle ist sehr begehrt. Mehr Wohnraum könnte entstehen, wenn die Verdichtung konsequent vorangetrieben würde. Leider wird eine Verdichtung oder eine günstigere Bauweise durch die aktuellen Baugesetze nicht gefördert. Eher im Gegenteil. 

Mit welcher Mietzinsentwicklung müssen die Haushalte in den nächsten Jahren rechnen?

Dies ist abhängig von der Zinsentwicklung (Referenzzinssatz) und Teuerung, wenn wir von den Bestandesmieten sprechen. Da diese verzögert reagieren, dürfte es noch weitere Anhebungen geben. Die Angebotsmieten - in Inseraten ausgeschrieben und relevant für jene, die eine Wohnung suchen - dürften ebenfalls weiter steigen, da die Wohnraumnachfrage rascher wächst als das Angebot. Es wird zwar viel gebaut - 45'000-50'000 Wohneinheiten pro Jahr -, doch die Nettozuwanderung dürfte 2023 wieder rekordverdächtig hoch ausfallen, denn die Schweiz bleibt ein sehr attraktives Land für Zuwanderer aus dem europäischen Raum. 

Auch hier: Wie lange ist der Mietkostenanstieg für die Haushaltsbudgets noch verkraftbar? Wo liegt die Schmerzgrenze?

Für einige Mieter kommen die Mietzinserhöhungen sehr ungelegen, denn sie haben durch die steigende Inflation bereits gelitten. Die 'Schmerzgrenze' liegt immer noch bei 30 Prozent des Einkommens. 

Donato Scognamiglio ist Verwaltungsratspräsident und Mitinhaber der Immobilienberatungsfirma IAZI in Zürich sowie Dozent und Titularprofessor an der Universität Bern.

Donato Scognamiglio beantwortete die Fragen schriftlich.

ManuelBoeck
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