Wenn man Thomas Jordan etwas nicht vorwerfen kann in seiner über zwölfjährigen Amtszeit als Präsident der Schweizerischen Nationalbank, dann wäre es ein übermässiger Verzicht auf Überraschungen und Knalleffekte. Jordan, persönlich eher ein Mann der unaufgeregten Spezies, verantwortete nicht bloss eigenwillige SNB-Zinsentscheide, welche Marktteilnehmer regelmässig auf dem falschen Fuss erwischte. Sein "Gesellenstück" lieferte Jordan am 15. Januar 2015 ab, als die SNB Knall auf Fall die Kursuntergrenze zum Euro aufgab. Chaos brach aus an den Finanzmärkten.

Solche Handlungen haben der SNB den Ruf der Unberechenbarkeit und der Nonkonformität eingetragen. Nicht immer ist dies positiv konnotiert, vor allem im angelsächsischen Raum. Die "Financial Times" befand kürzlich durchaus mit britischem Understatement, die geldpolitischen Experimente der SNB fielen im internationalen Vergleich "besonders wild" aus.

Das darf nicht erstaunen: Denn anders als die Federal Reserve, die Europäische Zentralbank oder die Bank of England verzichtet die SNB weitgehend auf eine sogenannte "Forward Guidance". Sie äussert sich also weitgehend nicht zum künftigen Kurs der Geldpolitik. Damit will die SNB bei unerwünschten Kursänderungen des Frankens mit Markteingriffen maximale Wirkung erzielen. Sie macht dies vor allem mit Devisenmarktinterventionen.

Hunderte von Milliarden Franken wurden seit der Finanzkrise für Devisenkäufe ausgegeben, um den sich über die Jahre kontinuierlich aufwertenden Franken zu schwächen. Obwohl die Wirkung diese Massnahmen mittelfristig sehr oft wieder verpufft, mildern sie heftige Wechselkursbewegungen ab. Das hilft exportorientierten Schweizer Unternehmen jeweils, sich auf die neuen Begebenheiten einzustellen. Das ist ein Verdienst der Ära Jordan. Ein anderes: Die SNB steuerte mit ihren Instrumenten den Franken derart, dass die Inflation in der Schweiz viel schneller sank als anderswo.

Das Aufkaufen von Fremdwährungen wie Euro hatte und hat allerdings einen sehr hohen Preis: Die Bilanzsumme ist unter der SNB-Präsidentschaft von Thomas Jordan von 345 Milliarden Franken auf derzeit etwas über 800 Milliarden Franken angestiegen. Bei der Verteidigung der Kursuntergrenze 2011 bis 2015 stieg diese Summe zeitweise gar auf 1 Billion Franken.

Das sind gigantische Summen. Und es stiegen die Probleme und Risiken für die SNB: Die Begehrlichkeiten von allen Interessengruppen nahmen konstant zu. Man könne etwa die SNB-Gelder direkt an die Bürger verteilen, wird gefordert. Oder die AHV finanzieren oder einen Staatsfonds gründen nach dem Vorbild von Norwegen. Die SNB setzt sich so öffentlichem Druck aus, den sie nie wollte.

Eine Ausweitung der Bilanz bringt zudem erhebliche Bewertungsrisiken, da die Devisenanlagen (bei der SNB vor allem Aktien und Anleihen) von Marktbewegungen abhängig sind. Die Folge sind riesige Schwankungen bei Verlusten und Gewinnen. Dazu kommt: Die Eigenkapitalquote der SNB-Bilanz - vor der Finanzkrise über 50 Prozent - lag Ende 2023 bei gerade mal bei 8 Prozent. Die nächste Stufe wäre negatives Eigenkapital. Theoretisch könnten die Kantone dafür gerade stehen müssen - und damit die Steuerzahler.

Das Problem der Bilanz ist der SNB durchaus bewusst. Eine aufgeblähte Bilanz begrenzt die Möglichkeiten der eigenen Geldpolitik. "Bilanzausweitungen schränken stets den künftigen Handlungsspielraum der SNB ein, und zwar genau deshalb, weil damit die Latte für einen gewünschten weiteren Einsatz der Bilanz zu geldpolitischen Zwecken noch höher gesetzt wird", sagte der damalige SNB-Vizepräsident Jean-Pierre Danthine 2015 mit erstaunlicher Offenheit.

Das neu zusammengesetzte Direktorium der Nationalbank unter Martin Schlegel muss die Risiken und die Bilanz verringern - und dafür neue Wege denken. Eine Lösung wäre die Anbindung des Frankens an den Euro, wie dies Dänemark kennt. Dies wäre in der Schweiz aber aus politischen Gründen weder denk- noch wünschbar. Eine realistischere Lösung wäre das Modell Singapur: Ein regelmässig anpassbares Wechselkurszielband an einen Währungskorb.

Oder das neue Direktorium setzt auf vermehrtes "Laissez-Faire" bei der Frankenentwicklung und lässt den Markt spielen. Der Franken hat nominal gegen andere Währungen seit der Finanzkrise zwar massiv zugelegt. Inflationsbereinigt ist die Schweizer Währung gegenüber dem Euro in den letzten 20 Jahren kaum stärker geworden. Dem Franken mehr Freiheit geben und eine Aufwertung zulassen - ein Versuch wäre es zumindest wert.

Daniel Hügli
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