Im Sommer 2022 war René Benko bei Treffen mit seinen Investoren bester Dinge. Dass der europäische Immobilienmarkt schon begann, unter steigenden Zinsen und fallenden Bewertungen zu leiden, schien ihm und seinem Signa-Konglomerat nicht das Geringste anhaben zu können.

Frisch versorgt mit neuem Eigenkapital von Investoren wie dem reichsten Deutschen Klaus-Michael Kühne, prahlte Benko, er würde mit dieser «Kriegskasse» von dem gerade beginnenden Abschwung sogar profitieren. Weniger glückliche Konkurrenten würden Liegenschaften zum Schnäppchenpreis auf den Markt werfen müssen. Am Ende des Jahres schloss er seine bis dato grösste Übernahme ab: Das Londoner Luxuskaufhaus Selfridges.

Anderthalb Jahre später sind es Benkos Konkurrenten, die in den Trümmern seines einst 23 Milliarden Euro schweren Imperiums nach Schnäppchen buddeln. Der Ex-Milliardär ist zum grössten und schillerndsten Opfer der europäischen Immobilienkrise geworden. In seinem Heimatland lecken nicht nur Investoren und Banken ihre Wunden, auch politische Konsequenzen stehen im Raum. Zu locker waren wohl einige Vorschriften, zu nachgiebig deren Kontrolle, zu dreist ihre Missachtung.

Unabhängig von Gesetzen und Regeln bleibt jedoch die Frage offen, warum sich so viele professionelle, erfahrene und anspruchsvolle Investoren von Benko haben umgarnen lassen. «Alle roten Warnlampen, die in der traditionellen Literatur beschrieben werden — alle haben hier geblinkt», meint Anne d’Arcy, Leiterin des Instituts für Corporate Governance an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Tankstellenerbe Kovarik als erster grosser Investor

Geboren als Sohn einer Kindergärtnerin und eines Gemeindebediensteten in der Tiroler Hauptstadt Innsbruck, fing Benko schon während der Schulzeit an, Dachböden zu renovieren und dann zu verkaufen und schmiss deshalb schon vor der Matura (Abitur) hin. Der erste grosse Investor, den er 2001 mit Anfang 20 anwarb, war der Tankstellenerbe Karl Kovarik, mit dem er ein paar Jahre später den Grundstein für seine Edelsparte Signa Prime Selection legte und sein erstes grosses Objekt kaufte — das Innsbrucker Kaufhaus Tyrol.

Kovarik war nur der erste und bei weitem nicht der vermögendste der Unternehmer, Superreichen und zuletzt auch Staatsfonds-Manager, die Benko seit den frühen 2000er Jahren für sich einnehmen und als Investoren gewinnen konnte. In der Ära der niedrigen Zinssätze vor allem nach der Finanzkrise setzte der heute 46-jährige auf stetig steigende Immobilienpreise und baute ein Portfolio auf, in dem Beteiligungen am New Yorker Chrysler Building, am Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe und am Hotel Bauer in Venedig nur einige prominente Beispiele sind.

All dies basierte auf einer undurchsichtigen Unternehmensstruktur mit Hunderten von Tochter-, Zwischen- und Holdinggesellschaften, die bewusst nicht konsolidiert als Konzern Buch führten. Und auf einem riesigen Berg von Schulden.

Ignorieren von Warnzeichen

Trotz der Warnzeichen standen Milliardäre Schlange bei Benko. Sie setzten auf seine politischen Verbindungen, seinen Fokus auf vermeintlich krisensichere erstklassige Lagen, und auf seinen Ideenreichtum bei der Aufwertung grauer Bürozeilen zu glamourösen Luxustempeln. Damit nicht genug, bot Benko ihnen ausserdem Ausstiegsoptionen an, um die fehlende Börsennotierung seiner Firmen auszugleichen. Unter bestimmten Bedingungen, so versprach er, werde er die Anteile zurückkaufen und damit das Risiko begrenzen.

Inzwischen sind Anwälte und Insolvenzverwalter dabei, die Struktur des Signa-Konglomerats zu entwirren. Die von Benko zugesicherten Aktienrückkäufe haben sich als leere Versprechungen erwiesen; Aktionäre verbuchen statt üppiger Dividendenzahlungen nun millionenschwere Abschreibungen. Unbesicherte Kreditgeber werden wohl Jahre warten müssen, bis sie die versprochenen 30 Prozent der ausgeliehenen Kredite (vielleicht) zurückbekommen. Benko, der noch vor einem Jahr auf den Milliardärslisten von Bloomberg und Forbes stand, hat selbst Insolvenz angemeldet.

«Immobilienzyklen gehen immer irgendwann zu Ende», sagt Leonhard Dobusch, Professor an der Universität Innsbruck. «Aber 10 bis 15 Jahre lang verdienen die Leute viel Geld und entwickeln dann oft die Fantasie, dass sie früh genug aussteigen können.»

Dieser Artikel basiert auf Gesprächen mit mehr als einem Dutzend Managern, Beratern und Investoren, die in den letzten Monaten mit Signa zu tun hatten. Die meisten baten darum, nicht namentlich genannt zu werden. Sprecher und Insolvenzverwalter der Signa-Firmen lehnten eine Stellungnahme ab. Benko und seine Anwälte reagierten nicht auf Anfragen. Die im Artikel erwähnten Investoren lehnten eine Stellungnahme ab oder reagierten nicht auf Anfragen.

Erste Risse

Solange Benkos Firmen einen stetigen Strom von Dividenden lieferten, waren seine Investoren — wie der österreichische Baumagnat Hans Peter Haselsteiner und der französische Auto-Clan Peugeot — bereit, über seine ungewöhnlichen Praktiken hinwegzusehen. In privaten Gesprächen erklärten viele Investoren auch immer wieder, von Benko ausreichend mit Zahlen und Fakten versorgt zu werden, auch wenn diese nicht öffentlich vorlägen. Auch Benkos Gefängnisstrafe auf Bewährung aus dem Jahr 2012 schreckte sie nicht ab — er war damals für schuldig befunden worden, einen kroatischen Politiker um Hilfe gebeten zu haben, um eine Steuerfahndung beizulegen. Die Strafe ist inzwischen getilgt.

Einer der wenigen, die mit Benkos Buchführung nicht einverstanden waren und daraus auch Konsequenzen zogen, war im Jahr 2016 Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Dem Handelsblatt sagte er später, er sei ausgestiegen, weil Benko nicht in der Lage gewesen sei, Widersprüche in seinen Zahlen zu erklären. Ein Sprecher von Wiedeking lehnte eine Stellungnahme gegenüber Bloomberg ab.

Für Manfred Wiesner von MWP Asset Management war Signa auf einer «Kaskade von Schulden» aufgebaut. Benkos Vorgehen folgte dabei oft einem Muster: Er kaufte grosse und unterausgelastete Einzelhandelsimmobilien in Innenstädten auf, schraubte die Mieten dann in exorbitante Höhen — während er oft an den Mietern ebenfalls beteiligt war — und erhöhte die Bewertungen der Gebäube entsprechend. Damit stieg der Wert von Signa und seinem Portfolio immer weiter.

«Die Investoren wussten zwar, dass sie sich auf einen sehr riskanten wachstumsorientierten Ansatz eingelassen hatten», erklärt Dobusch. «Was sie aber nicht wussten, war, wie sehr Signa von der eigenen Intransparenz abhing.» Benko hatte ein gutes Gespür für sein Gegenüber und richtete seine Botschaften darauf aus. «Er musste in Einzelgesprächen überzeugen», so Dobusch. Daraus entwickelte sich eine Eigendynamik: «Wenn es zwei oder drei Jahre lang funktioniert, steigen immer mehr Leute ein.»

Ein wichtiges Argument war Benkos eigener persönlicher Erfolg und dessen Insignien wie Privatjets, Superyachten, Kunst von Picasso und Basquiat. In seinem Wiener Luxushotel Park Hyatt hielt Benko Hof beim sogenannten Törggelen, einer eher einfachen Südtiroler Erntedank-Jause bei jungem Wein, gerösteten Kastanien und Speck, die unter Benkos Ägide zum High-Society-Ereignis mutierte. Frühere und amtierende Bundeskanzler und Minister, Bürgermeister und Spitzenbanker, Krethi und Plethi kamen in Scharen.

Dank Bekanntheitsgrad mehr Gelder

Mit steigendem Bekanntheitsgrad kamen auch Gelder von Staatsfonds aus Saudi-Arabien, Hongkong und Abu Dhabi hinzu. «Signa verkaufte nicht viele Projekte, um die Wertsteigerung zu demonstrieren», so Wiesner. «Es ging immer darum, ‘neues Geld’ hereinzuholen.»

Schon vor dem Kollaps im letzten Jahr, so Dobusch, gab es Zweifel, ob das Geschäftsmodel dauerhaft war. «Es war sehr riskant, nicht nur wegen des Immobilienrisikos und der sehr aggressiven, schuldenfinanzierten Expansion, sondern auch, weil im Laufe der Jahre so viel Gewinn an die Aktionäre ausgeschüttet wurde», bemerkte er.

Im Herbst 2023 war es plötzlich zu spät. Die Zinssätze waren gestiegen, und Benko konnte seinen Schulden nicht mehr davonlaufen. Signa hatte im Vorjahr wegen der Abwertung von Immobilien 1,5 Milliarden Euro Verlust gemacht, und die Europäische Zentralbank drängte die Gläubigerbanken, Bewertungen kritisch zu hinterfragen und Risikovorsorgen zu bilden. Der Zugang zu neuen Bankkrediten war verschlossen. Benko musste 350 Millionen Euro neue Kredite von Family Offices aufnehmen, darunter auch von dem seiner eigenen Familie, und das zu immer ungünstigeren Bedingungen. Es reichte dennoch nicht. Eine von den Aktionären schon beschlossene Kapitalerhöhung in Höhe von 400 Millionen Euro zog sich über Monate hin und kam am Ende nicht mehr zustande.

Im Oktober trat die Krise offen zutage. Benko widerrief eine Kapitalzusage in Höhe von 150 Millionen Euro für seinen Online-Sporthändler Signa Sports United, die kurz danach den Signa-Insolvenzreigen eröffnete. Knappe zwei Jahr zuvor war sie noch mit einer Bewertung von 3,2 Milliarden Dollar an die New Yorker Börse gegangen. Wenig später wurden die Bauarbeiten an Signas Renommierprojekt Elbtower in Hamburg eingestellt, weil zu viele Rechnungen offen geblieben waren.

Unterstützung beginnt zu bröckeln

Auch die Unterstützung der Investoren begann vor den Augen der Öffentlichkeit zu bröckeln. Berater-Legende Roland Berger, seit vielen Jahren treuer Signa-Aktionär, richtete Benko im Handelsblatt aus, dass er nun gerne die Option zur Rückgabe seiner Anteile einlösen wolle. Unter vier Augen äusserten auch andere Aktionäre ihren Unmut. Als Rothschild & Co anfing, für Signa zu arbeiten, lagen auf dem Bankkonto der Signa Prime noch ganze 5 Millionen Euro in bar.

Am 8. November zwangen seine Aktionäre und Gesellschafter Benko, aus dem Beirat von Signa auszuscheiden — formal seine einzige Funktion in dem gesamten Konglomerat. Einige erklärten, dass sie ihm nicht mehr zutrauten, eine Wende herbeizuführen. Einfach so abschieben liess sich Benko aber nicht — immerhin hielt er immer noch die indirekte Kontrolle über die Signa-Unternehmen, und sein Wissen über die inneren Abläufe wurde als unverzichtbar für eine Sanierung angesehen.

Benko versuchte weiter fieberhaft, einen Überbrückungskredit von rund 600 Millionen Euro aufzutreiben. «Er ist desperat und kämpft um eine Haltung», sagte Haselsteiner im Januar über Benko in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender ORF.

In den letzten Monaten vor der Insolvenz versuchte Benko, Kredite von Spezialfonds für schwierige Fälle, wie Elliott Investment Management und Attestor zu bekommen. Doch auch diese Fonds, winkten angesichts von Signas überschuldeter Struktur ab und boten allenfalls Kredite mit Strafzinsen an. Benkos Drängeln auf schnelle Einigung wirkte dabei nicht unbedingt vertrauensbildend.

Ende 2023 war Schluss

Ende 2023 war endgültig Schluss. Alle drei grossen Sparten des Konglomerats — neben der Signa Prime noch der Bauträger Signa Development Selection und die zentrale Signa Holding — landeten in der Insolvenz. Die ersten Untersuchungen der Insolvenzverwalter warfen auch ein Schlaglicht auf fragwürdige Praktiken wie das Hin- und Herschieben von Mitteln zwischen den Firmen des Konglomerats.

Benkos Beratervertrag mit Signa war nur noch Makulatur und die Verwalter mussten ohne seine Hilfe ihren Weg durch den Irrgarten von Signa-internen Beteiligungen und Krediten finden. Allein die grafische Darstellung der Struktur, ächzte damals ein Insolvenzexperte, nehme 46 Seiten im XL-Format Din A3 in Anspruch.

Die Gläubiger blieben trotz Benkos scheinbarem Abgang misstrauisch. Schon bei der Kaufhauskette Galeria hatte man erleben können, wie Benko als Eigentümer eine Insolvenz zum eigenen Vorteil nutzte und die Gläubiger mit leeren Händen stehen liess — und das gleich zweimal. Nicht zuletzt die Bundesregierung musste deswegen 590 Millionen Euro an Krediten abschreiben.

Mitte März einigte man sich jedoch bei Signa Prime und Signa Development — den Firmen mit den grössten Besitztümern — auf ein sogenanntes Treuhänder-Sanierungsverfahren. Das soll sicherstellen, dass auch von einem etwaigen Mehrerlös bei der Verwertung der Immobilien nur die Gläubiger profitieren und nicht etwa Benko oder andere Aktionäre, die dennoch formal Eigentümer der Gesellschaften bleiben. «Dies war lediglich ein Votum gegen eine ungeordneten Liquidation — kein Ausdruck unserer Unterstützung», erklärten die Anleihegläubiger der Signa Development im Anschluss.

Ziel ist zunächst eine Quote von 30 Prozent für die unbesicherten Gläubiger. Haselsteiner und Attestor haben Development und Prime jeweils Massekredite zur Verfügung gestellt, um den Betrieb während der Abwicklung zu finanzieren. Ob mehr herauskommt als die 30 Prozent, steht freilich in den Sternen.

Österreichische Politik

Vor den österreichischen Wahlen in diesem Jahr, werden auch die politischen Parteien sich gegenseitig Nähe zu und Unterstützung von Benko und Signa vor. Peinlich für die oppositionellen Sozialdemokraten ist die jahrelange prominente Rolle des Altkanzlers Alfred Gusenbauer als Benko-Consigliere, der sich allerdings keinerlei Fehlverhalten vorwerfen lassen will. Aber auch ÖVP-Exkanzler Sebastian Kurz half Benko gegen Honorar als Vermittler bei der Geldbeschaffung. Fragwürdige Steuerbescheide stehen im Raum. Die grüne Justizministerin Alma Zadić will einige der Regeln zur Rechnungslegung verschärfen. Die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit noch in zahlreiche Richtungen.

Angesichts der Grösse und Komplexität von Signa wird sich die Aufklärung über Monate, wenn nicht Jahre hinziehen. «Unbeantwortete Fragen zu bedeutenden Transfers innerhalb der komplexen Gruppe und die Ungewissheit über den Zeitpunkt des Verkaufs von Vermögenswerten sind nur zwei der Probleme, mit denen die Gläubiger noch konfrontiert sind», sagt Tolu Alamutu, Analyst bei Bloomberg Intelligence. Nahost-Investoren wie der Abu-Dhabi-Staatsfonds Mubadala, und die Al Mirqab Capital aus Katar haben Schiedsgerichtsklagen gegen Signa eingereicht und fordern insgesamt mehr als 1 Milliarde Euro.

In der Kulturmetropole Wien wird unterdessen schon ein Theaterstück mit dem Titel «Aufstieg und Fall des Herrn René Benko» aufgeführt. Die Premiere war binnen weniger Stunden ausverkauft. Bei einem Rundgang durch Signas frühere Zentrale, das barocke Palais Harrach, roch es im Februar in Benkos Büro noch immer nach Zigarrenrauch. Auf seinem monumentalen Schreibtisch mit Marmorbeinen, der bei einer Auktion des Insolvenzverwalters von Signa-Inventar für 26.500 Euro versteigert wurde, lag noch ein Exemplar des Manager Magazin aus dem Jahr 2021. Auf dem Titel des Magazins wurde ein Artikel über die 500 reichsten Deutschen angekündigt, von denen einige bei Benko investiert hatten. Überschrift: «Im Rekord-Rausch der Milliarden».

(Bloomberg)