Primitive selbstgebaute Sprengsätze, falsche Kosmetik-Tuben, Massagekissen und Sexspielzeuge, ein Russe mit dem Decknamen «Warrior», ein Codewort: «Mary». Dies sind einige der Elemente eines mutmasslich von Russland gesteuerten Sabotageplans, der im vergangenen Sommer zur Detonation von drei Paketen in Kurierdepots in Grossbritannien, Deutschland und Polen führte.

In den Paketen waren Kissen enthalten, die mit versteckten selbstgebauten Brandsätzen präpariert waren, wie eine mit den polnischen Ermittlungen vertraute Person erzählt. Die Brandsätze bestanden demnach aus einer Mischung von Chemikalien, darunter hochreaktives Magnesium, die durch programmierte Zünder zur Explosion gebracht wurden. Hierfür wurden billige chinesische Elektronikgeräte umfunktioniert, die normalerweise zum Aufspüren verlorener Schlüssel dienen. Die Wirkung wurde durch Tuben verstärkt, die wie Kosmetika aussahen, tatsächlich aber ein Gel aus brennbaren Verbindungen wie Nitromethan enthielten.

«Das Verfahren in diesem Fall betrifft kriminelle Aktivitäten, die vom russischen GRU inspiriert wurden», sagt der Insider und bezieht sich auf Moskaus militärischen Auslandsgeheimdienst. Reuters berichtet erstmals über Details des mutmasslichen Plots. Die Erkenntnisse basieren auf den Aussagen der Person mit Kenntnis der Ermittlungen in Polen sowie auf Gesprächen mit mehr als einem Dutzend europäischer Sicherheitsbeamter. Die Ergebnisse geben einen seltenen Einblick, wie russische Sabotageaktionen in der Praxis ablaufen.

Europäische Sicherheitskreise machten die Paketbrände im Oktober öffentlich. Sie beschrieben sie als Teil eines «hybriden Krieges», den Russland führt, um die Ukraine-Unterstützer zu destabilisieren. Dazu gehören Taktiken wie Brandstiftung und Cyberangriffe. Die Pakete, die in Lagerhäusern Feuer fingen, aber niemanden verletzten, waren den Angaben zufolge ein Test für einen künftigen russischen Plan. Dabei sollten ähnliche Pakete in Frachtflügen in die USA und nach Kanada in der Luft gezündet werden.

«Wir wissen nichts darüber»

Der Kreml weist die Anschuldigung zurück, Russland habe mit den Bränden zu tun. «Wir wissen nichts darüber», sagte Sprecher Dmitri Peskow zu Reuters. «Wir schliessen nicht aus, dass dies nur weitere Falschmeldungen oder ein Ausdruck blinder Russophobie sind.» Der russische Auslandsgeheimdienst GRU reagierte nicht auf eine Anfrage nach einer Stellungnahme.

Die Paketdetonationen ereigneten sich am 19., 20. und 21. Juli 2024 in der britischen Stadt Birmingham, im DHL-Frachtzentrum in Leipzig und nahe der polnischen Hauptstadt Warschau. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums in Berlin wollte sich zu dem Fall in Leipzig nicht äussern und verwies auf die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft. «Unabhängig von diesem Fall ist die Gefahr durch Sabotageakte durch russische staatliche Stellen hoch», ergänzt sie aber. «Es besteht derzeit eine erhöhte Gefährdung in Bezug auf Sabotageaktivitäten beziehungsweise Vorbereitungshandlungen in Deutschland. Unsere Sicherheitsbehörden sind entsprechend wachsam.»

Zwei EU-Sicherheitsbeamte mit Kenntnissen über die mutmasslichen Angriffe sagten, die polnische Zelle sei typisch für die Methoden des russischen Geheimdienstes. Russische Führungsoffiziere rekrutierten oft lokale Kriminelle, um ihre Pläne auszuführen. Sie gäben ihnen grundlegende Anweisungen und zahlten den Beteiligten bis zu einigen tausend Euro pro Auftrag.

Die in dem Fall beschriebenen Zutaten und Zünder sind in Geschäften erhältlich, die Produkte wie Düngemittel und Pyrotechnik verkaufen, erklärt Jaroslaw Stelmach. Der Spezialist für Bombenentschärfungen leitet eine Beratungsfirma, die unter anderem auf die Sicherheit öffentlicher Gebäude spezialisiert ist. Die meist primitiven Vorrichtungen könnten zwar nur kleine Brände verursachen, seien aber schwer zu erkennen. «Dies ist eine äusserst billige, sehr effektive und hochgradig anonyme Methode zur Herstellung von Sprengvorrichtungen», sagt Stelmach.

«Warrior» gab Anweisungen über Telegram

Die polnische Staatsanwaltschaft stützt ihren Fall auf Aussagen von mindestens fünf mutmasslichen Mitgliedern der angeblichen Sabotagezelle sowie auf vertrauliche Erkenntnisse der Sicherheitsdienste, wie die Person mit den Kenntnissen der Ermittlungen berichtet. Ein viertes Paket sei in einem Warshauer Depot sicher gestellt worden. Es sei nicht explodiert, wodurch der Inhalt genau untersucht werden konnte.

Die polnischen Ermittler schreiben einem Ukrainer namens Wladyslaw D., der im südlichen Polen lebte, eine Schlüsselrolle bei dem europäischen Testlauf zu, wie der Insider berichtet. Die Staatsanwaltschaft nehme an, dass dieser auf Anweisung handelte, die er über den Messangerdienst Telegram von einem GRU-Führungsoffizier erhielt, den er nur als «Warrior» kannte. Am 18. Juli fuhr Wladyslaw den Erkenntnissen zufolge mit einem Kleinwagen von seinem Wohnort Katowice über die Grenze in die litauische Stadt Kaunas. Dort holte er mehr als ein Dutzend Gegenstände aus dem Kofferraum eines geparkten Autos.

Der 27-Jährige fuhr weiter in die litauische Hauptstadt Vilnius, wo er vier Pakete verpackte. Jedes enthielt ein Kissen sowie Kosmetik-Tuben und Sexspielzeuge. Bevor er sie versiegelte, drückte er zwei Knöpfe, um die programmierten Zündmechanismen zu aktivieren. Es handelte sich um Geräte, bei denen Benutzer Auslösezeiten von wenigen Sekunden bis zu Monaten im Voraus einstellen konnten. Am 19. Juli übergab er die Pakete einem Mann in einem Park in Vilnius, der das Codewort «Mary» benutzte, erzählt der Insider weiter. Die Pakete wurden noch am selben Tag aus der Stadt verschickt.

Wladyslaw wurde Anfang August in Polen festgenommen und wegen terroristischer Handlungen im Auftrag des russischen Geheimdienstes angeklagt. Im Januar verlängerte ein Warschauer Gericht seine Untersuchungshaft nahe der Hauptstadt bis Mai, während die Ermittlungen weiterlaufen. Reuters konnte Wladyslaw in der Haft nicht kontaktieren. Sein vom Gericht bestellter Anwalt erklärte, er könne aufgrund mangelnder Kenntnis der Ermittlungsdetails keine Stellungnahme abgeben, da sich das Verfahren noch in einem frühen Stadium befinde.

Die Staatsanwaltschaft teilte Reuters mit, dass der Verdächtige die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, darunter die Arbeit für einen ausländischen Geheimdienst, bestreitet und «umfangreiche Erklärungen» für seine Handlungen abgegeben habe. Diese könne die Behörde aufgrund der Vertraulichkeit der Ermittlungen nicht offenlegen.

Testlauf nach Ottawa und Washington

Bei seiner Befragung nach der Festnahme habe Wladyslaw den Ermittlern gesagt, er sei von einem Freund mit «Warrior» bekannt gemacht worden, und sie hätten nur über Telegram kommuniziert, so schildert der mit den Ermittlungen vertraute Insider den Verlauf. Die polnischen Staatsanwälte beschuldigen einen weiteren Mann, den 44-jährigen Alexander B., Teil derselben polnischen Zelle wie Wladyslaw zu sein. Seine Aufgabe bestand den Vorwürfen zufolge darin, den Weg für Angriffe auf nordamerikanische Frachtflugzeuge vorzubereiten.

Er organisierte den Versand von Paketen mit Turnschuhen und Kleidung von Warschau nach Washington und Ottawa, um Informationen über Paketverarbeitungsmethoden und -zeiten zu sammeln. Dann setzte er sich nach Bosnien ab, wo ihm polnische Ermittler auf die Spur kamen. Der beantragten Auslieferung des russischen Staatsbürgers aus Rostow am Don nach Polen kamen die bosnischen Behörden im Februar nach. Reuters konnte ihn in der Haft nicht kontaktieren oder einen für ihn tätigen Anwalt erreichen. Nach Angaben von polnischen Ermittlern hat er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, darunter die Arbeit für einen ausländischen Geheimdienst, bestritten.

(Reuters/cash)