Ein Dollar kostet derzeit etwas mehr als 0,85 Franken. Innerhalb von drei Monaten hat sich der Franken um 4 Prozent aufgewertet, es waren zwischenzeitlich rund 6 Prozent. Das Allzeittief vom letzten Dezember bei 0,8332 Franken pro Dollar rückt erneut in greifbare Nähe. Besonders bedeutsam für die Schweizer Bevölkerung und für ie Wirtschaft ist jedoch die negative Entwicklung des Euros gegenüber dem Schweizer Franken – auch hier nähert sich der Kurs dem Allzeittief von 0,9211 Franken pro Euro. Derzeit zahlt man 0,9370 Franken pro Euro.

«Die Einleitung des Leitzinsensenkungsprozesses in den USA, der Eurozone und anderen wichtigen Ländern, das niedrigere Inflationsniveau in der Schweiz im Vergleich zu anderen Regionen, die insgesamt bessere konjunkturelle Lage in der Schweiz im Vergleich zu vielen europäischen Nationen sowie die zunehmenden geopolitischen Risiken sind wichtige Treiber der in den letzten Monaten erfolgten Aufwertung des Schweizer Frankens», sagt Anastassios Frangulidis, Chefstratege von Pictet Asset Management. Damit spricht der Pictet-Chefstratege drei Faktoren an, die dem Franken historisch und aktuell Auftrieb verleihen:

1. Rolle als sicherer Hafen: Der Schweizer Franken profitiert stets dann, wenn geopolitische Unwägbarkeiten für Schlagzeilen sorgen. Ein aktuelles Beispiel ist die Eskalation im Nahen Osten. Die Angst vor einer Ausweitung der Konflikte treibt Anleger in sichere Häfen, zu denen neben den grossen Staatsanleihenmärkten wie den USA oder Deutschland auch der Schweizer Franken zählt.

2. Strukturelle Kaufkraftsteigerung: Aufgrund der relativ niedrigen Preissteigerung nimmt die Kaufkraft des Schweizer Frankens strukturell zu. So lag die Inflationsrate in den USA im August bei 2,5 Prozent, in der Eurozone bei 2,2 Prozent und in der Schweiz bei nur 1,1 Prozent - im September fällt sie mit 0,8 Prozent auf den tiefsten Stand seit mehr als drei Jahren.  Auch während der «Hochinflationsphase» von Mitte 2022 bis Anfang 2023 blieb die Inflation in der Schweiz mit einem Höchstwert von 3,5 Prozent deutlich unter der der USA (9,1 Prozent) und der Eurozone (10,6 Prozent). «Der Euro und der US-Dollar müssen ihren Inflationsnachteil gegenüber dem Schweizer Franken über die Zeit durch eine Abwertung ‹bezahlen›», argumentiert Harald Preissler, Anlageexperte bei Bantleon.

3. Veränderung der Zinsdifferenz: Der weltweite Zinssenkungszyklus hat an Fahrt aufgenommen, wobei die Spielräume der Europäische Zentralbank (EZB) und insbesondere der US-Notenbank (Fed) aufgrund der höheren Ausgangsniveaus deutlich grösser sind als die der die Schweizerische Nationalbank (SNB). Durch diesen Entwicklungen verlieren der Euro und der Dollar an Attraktivität (der Zinsvorteil schmilzt), was den Schweizer Franken aufwerten lässt.

Divergierende Meinungen - zumindest auf kurze Frist

Devisenmarktprognosen sind aber mit besonders grosser Unsicherheit behaftet, da zahlreiche divergierende Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Dennoch lässt sich anhand makroökonomischer Analysen und der geldpolitischen Ausrichtung der jeweiligen Zentralbanken eine Marschrichtung erkennen, und dies gilt insbesondere für den Schweizer Franken.

Dabei hat die SNB in der Vergangenheit wiederholt klargemacht, dass eine starke reale Aufwertung des Frankens die deflationären Kräfte stärken würde. Daher sei sie bereit, an den Kapitalmärkten zu intervenieren, um den Franken zu schwächen. «Diese Politik wird auch unter der neuen Führung von Martin Schlegel Bestand haben», zeigt sich Frangulidis überzeugt.

Dieser Meinung ist auch Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, und fügt an: «Mit der Aussicht auf niedrigere Leitzinsen dürfte sie verhindern, dass sich die Zinsdifferenzen zum Euro und US-Dollar bei weiteren Zinssenkungen der EZB und der Fed zu stark einengen.» Niedrige Zinsniveaus in der Schweiz machen den Franken unattraktiver und verhindern eine stärkere Aufwertung. Er sieht den Euro bis zum Jahresende bei einem Niveau um 0.94 Franken.

Florian Germanier, Ökonom bei der Grossbank UBS, erwartet hingegen eine Stärkung des Frankens. Zum Jahresende sieht er den Dollar bei 0,83 Franken und auf Sicht von 12 Monaten bei 0,80 Franken. Dies liegt daran, dass die Fed ihre Leitzinsen voraussichtlich deutlich stärker senken wird als die SNB, wodurch der Zinsvorsprung des Dollars schmilzt. 

Auch die EZB dürfte die Zinsen stärker senken als die SNB. «Gleichzeitig ist der Schweizer Franken aber schon leicht überbewertet gegenüber dem Euro, wohingegen der US-Dollar überbewertet ist gegenüber dem Franken. Wir erwarten zudem ein leicht höheres Wachstum in der Eurozone im Jahr 2025, was den Euro stützen dürfte. Insgesamt sehen wir daher einen leicht niedrigeren Eurokurs», so Germanier. Die Prognose der UBS für den Eurokurs liegt bei 0,93 Franken zum Jahresende und auf Sicht von zwölf Monaten.

Gerät das Jahrestief bei 0,92 Franken pro Euro ins Visier?

Mittlerweile gehen die Märkte jedoch davon aus, dass die EZB bei praktisch jeder Ratssitzung - also alle sechs Wochen - die Zinsen senken wird. Diese Annahme ist bereits in den Märkten eingepreist. «Aus unserer Sicht ist diese Erwartung zu aggressiv. Trotzdem erwarten wir keinen stärkeren Euro, da wir die Zinssenkungserwartungen für die SNB ebenfalls für übertrieben halten. An den Märkten wird für den September 2025 sogar ein SNB-Leitzins von unter 0,5 Prozent eingepreist. Davon gehen wir nicht aus,» sagt Domagoj Arapovic, Makroökonom bei Raiffeisen. Er prognostiziert daher einen stabilen Eurokurs von 0,94 Franken sowohl in drei als auch in zwölf Monaten, während er auf Jahressicht eine leichte Aufwertung des Dollars auf 0,87 Franken erwartet.

In der kurzen Frist bilden die Lage im Nahen Osten, die Notenbankenentscheidungen der nächsten Monate und die Präsidentschaftswahlen in den USA die entscheidenden Katalysatoren: Mit Blick auf den Euro steht am 17. Oktober die nächste Sitzung des EZB-Rates an. Aufgrund der positiven Inflationsdaten und der schwachen konjunkturellen Frühindikatoren gilt eine erneute Zinssenkung um 25 Basispunkte als sicher. Das «Risiko» besteht allerdings in einer Senkung um 50 Basispunkte oder in einem klaren Bekenntnis der EZB, das Tempo der monetären Lockerungen zu erhöhen.

«Mit einem höheren Tempo der EZB wäre ein Bruch der 0,93 Franken-Marke gegenüber dem Euro vorprogrammiert, und das Jahrestief bei 0,92 Franken gerät ins Visier der Marktteilnehmer. Sollte auch diese Marke unterschritten werden, erwarten wir die Wiederaufnahme von Interventionen seitens der SNB», sagt Preissler von Bantleon. Mit Blick auf die Zeit danach, insbesondere ab Frühjahr 2025, rechnet der Ökonom mit einer konjunkturellen Erholung in der Eurozone, in deren Folge der Schweizer Franken wieder auf über 0,95 Franken pro Euro abwerten sollte. Gegenüber dem Dollar rechnet er bis Ende 2024 mit einem Kurs von 0,83, und in 12 Monaten sieht er eine Bewertung von 0,88 Franken.

Interventionspolitik bleibt wohl grosse Unbekannte

Erst wenn die Zentralbanken weltweit ihren Zinssenkungszyklus abgeschlossen haben und ihre Leitzinsen unverändert halten, dürften andere Faktoren in den Vordergrund rücken: Wachstumstrends, längerfristig insbesondere Inflationsdifferenzen sowie die Frage nach der globalen Verschuldung und möglichen Alternativen zur Reservewährung Dollar. Eine grosse Unbekannte in der gesamten Prognosetätigkeit bleibt jedoch die Interventionspolitik der SNB: Bei welchem Eurokurs wird sie mit Devisenkäufen eingreifen? Unterhalb von 0,92 Franken pro Euro, wie von Preissler angenommen?

Die SNB wird sich jedoch einer anhaltenden Aufwertung des Frankens entgegenstellen. Entsprechende Statements waren sowohl vom ausgeschiedenen SNB-Präsidenten Jordan als auch von seinem frisch inthronisierten Nachfolger Schlegel zu vernehmen, was bereits Eingangs von Frangulidis angedeutet wurde. Eine zu starke Aufwertung erhöht das Risiko einer deflationären Entwicklung, getrieben durch sinkende Importpreise, und erschwert zugleich der Exportwirtschaft das Geschäft.

Die UBS schliesst situative Währungsinterventionen nicht aus. «Wir denken jedoch, dass systematisches Kaufen von Fremdwährungen seitens der SNB erst ein Thema wird, wenn der Spielraum für weitere Zinssenkungen der SNB eingeschränkt ist», sagt Germanier. Zurzeit sind Zinssenkungen das bevorzugte Instrument der SNB, um die Aufwertung des Frankens zu begrenzen und ein Unterschreiten der Inflationsziele zu verhindern. Der Ökonom erwartet, dass die SNB den Leitzins im Dezember und im März 2025 jeweils um 25 Basispunkte senken wird.

Theoretisch würde dies den Schweizer Franken schwächen. Da die Zinssenkungen jedoch bereits vom Markt erwartet werden und gleichzeitig andere Zentralbanken ihre Zinsen voraussichtlich stärker senken dürften, bedeutet dies eher einen stärkeren Franken. Sollte sich die ökonomische oder politische Lage ausserhalb der Schweiz verschlechtern, wird der Franken in seiner Funktion als «sicherer Hafen» stärker gefragt sein. Mittelfristig und langfristig dürfte der Trend in den Inflationsdifferenzen entscheidend sein.

«Die SNB steht ohnehin vor einer schwierigen Balance. Sie will keinen starken Franken, aber sie möchte idealerweise auch keine Negativzinsen und keine weiteren grossen Devisenmarktinterventionen», sagt Arapovic von Raiffeisen. Aus heutiger Sicht scheint es fast, als wäre das Schicksal des Frankens langfristig festgelegt.

ManuelBoeck
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