Die Börsen steigen, während sich die Konjunktur abkühlt. Kann das gut gehen, fragen sich wohl viele Anlegerinnen und Anleger. Die Schweizer Börse, gemessen am Swiss Market Index (SMI), handelt nur 200 Punkte unter ihrem Jahreshoch. Ohne den Bremsfaktor Nestlé wäre der Kursanstieg noch stärker. Der S&P 500 und der Dow Jones Index notieren sogar auf Allzeithochs. Auch die Signale der Notenbanken sind unverkennbar.

Kursentwicklung des SMI.

«Der Markt ist zu optimistisch», sagt Jeffrey Hochegger, Anlagestratege bei der Raiffeisen Schweiz, auf Anfrage von cash.ch. Die US-Notenbank Fed hat unlängst als letzte grosse Notenbank die Zinswende eingeleitet und damit ihren Fokus von der Inflationsbekämpfung hin zur Stützung der Wirtschaft verlagert. Dies hat die Hoffnung der Anleger auf eine sanfte Landung der Wirtschaft zwar gestärkt, unterstreicht laut Hochegger aber auch eine gewisse Fragilität der Konjunktur.

Gegenwind bei der Nachfrage musste am Montag bereits Bossard erfahren: Gegenüber dem Vorjahresquartal reduzierte sich der Umsatz um 3,8 Prozent, was nicht den Erwartungen der Analysten entsprach. An der Börse reagierte der Titel mit einem Verlust von acht Prozent, was die Frage aufwirft, ob auch andere Unternehmen anfällig für Börsenrücksetzer sind.

Grosse Unsicherheit bezüglich Konjunktur

Es herrscht grosse Unsicherheit, ob ein «Soft Landing» wirklich gelingt, da verschiedene Indikatoren teils ein anderes Bild zeichnen. Dies dürfte für Volatilität sorgen, bis sich eine klare Richtung herauskristallisiert. Klar ist auch, dass sich die Weltregionen sehr unterschiedlich entwickeln: Die USA mit abnehmender Stärke, Europa stagnierend oder leicht erholend auf tieferem Niveau, Asien uneinheitlich sowie mit China als «Bremsklotz».

«Wir sehen auch, dass einige Unternehmen in ihren Ausblicken etwas Hoffnung eingebaut hatten, dass sich die Trends in der zweiten Jahreshälfte 2024 verbessern würden, vor allem im Industriebereich. Dies hat sich bisher jedoch eher nicht bewahrheitet und birgt das Potenzial für Enttäuschungen, wie beispielsweise bei Bossard,» so Arben Hasanaj, Swiss Equity Analyst bei Vontobel.

Cyrill Marugg, Fachleiter Investment Research bei der BLKB, hält die Konsensschätzungen zum BIP-Wachstum für 2024 mehrheitlich für realistisch, zumal das Jahr weit fortgeschritten ist und die makroökonomischen Daten – insbesondere in den USA – laufend besser waren als erwartet. «Dies liess im Jahresverlauf eine kontinuierliche Erhöhung der Konsensschätzungen zu.»

Obwohl eine weiche Landung der Weltkonjunktur das wahrscheinlichste Szenario darstellt, sieht Marugg im Einzelnen Enttäuschungspotenzial bei Unternehmen. Auch wenn der BLKB-Experte bei Bachem langfristig dank der GLP-1-Chancen zuversichtlich ist, sieht er weiterhin gewisse Umsetzungsrisiken im Zusammenhang mit der Kapazitätserweiterung in Bubendorf und dem zunehmenden Konkurrenzkampf. Der nächste relevante Termin ist allerdings erst der Kapitalmarkttag im November, da keine Q3-Zahlen veröffentlicht werden.

«Die Gefahr ist gross, dass der neue Nestlé-CEO die Ziele senkt, unter anderem wegen höherer Input-Kosten für Kaffee und Kakao sowie grösserer Ausgaben für Marketing», sagt Beat Pfiffner, Analyst bei der Schwyzer Kantonalbank. Ob dies noch stark auf dem Kurs lasten werde, sei nicht gesagt, denn viele Investoren würden bereits damit rechnen. Die Markterwartung für das organische Umsatzwachstum 2024 liegt mit +2,8 Prozent bereits unter der Nestlé-Guidance von «mindestens 3 Prozent».

Kursentwicklung der Aktien von Nestlé.

Automobilsektor und Technologie im Fokus

Aufgrund der Probleme im Automobilsektor haben die Autozulieferer aktuell eine schwierige Zeit. Komax beispielsweise erwirtschaftet rund drei Viertel des Umsatzes im Automobilbereich. Die Zahlen dürften daher schwach ausfallen. Laut Hochegger von Raiffeisen gilt es jedoch zu beachten, dass die Aktien bisher rund 40 Prozent im Jahr 2024 eingebüsst haben, was ein bereits schwaches 2023 fortsetzt. Georg Fischer ist weniger exponiert, da lediglich rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes aus dem Automobilsektor stammen. Dennoch belastet die Abhängigkeit von den Autobauern die Stimmung.

Für den Uhrenkonzern Swatch Group und den Luxusgüterhersteller Richemont ist China ein zentraler Absatzmarkt. «Der schwächelnde Konsum im Reich der Mitte trifft diese Unternehmen unmittelbar, weshalb mit Blick auf die Q3-Zahlen Enttäuschungspotenzial besteht», warnt Hochegger. Aber auch hier gilt: Die Aktien der Swatch Group haben allein in diesem Jahr rund 20 Prozent ihres Wertes eingebüsst und nehmen so einiges vorweg. Richemont konzentriert sich dagegen auf das Höchstpreissegment, welches weniger konjunkturanfällig ist.

Grundsätzlich kann zudem gesagt werden, dass die Aufwertung des Schweizer Franken zum Dollar im dritten Quartal für Unternehmen, die einen grösseren Dollar-Umsatzanteil erwirtschaften und in Franken rapportieren, einen gewissen Gegenwind darstellen wird. Ein anderes Thema sind Technologie-Titel. Gerade das Megathema Künstliche Intelligenz hat hohe Erwartungen und Fantasien geweckt, die anfällig für Ernüchterung sind.

«Bei den Technologiewerten könnten wir uns bei Comet aufgrund der scheinbar langsamer als erhofft voranschreitenden Erholung bei Memory-Chips vorstellen, dass das Q3 verhalten ausfällt und eventuell sogar die Guidance für 2024 angepasst werden muss», so Marugg von der BLKB. Dies würde jedoch nur eine zeitliche Verschiebung darstellen, da Comet von der erwarteten Erholung des Sektors profitieren dürfte. Zudem scheint eine gewisse Vorsicht im jüngsten Kursrückgang bereits eingepreist.

Kursentwicklung der Aktien von Comet.

Pfiffner sieht Comet, das am Freitag den Umsatz für das dritte Quartal präsentieren wird, im Gegenwind: «Der Markt für NAND-Speicherchips erholt sich langsamer als erwartet. Deshalb dürften die Chiphersteller zurückhaltend sein mit Investitionen in neue Produktionsanlagen, was das Geschäft von Comet bremst.» Deshalb könnte der Ausblick für 2024 gesenkt werden. Die mittelfristigen Aussichten seien jedoch gut, unter anderem dank vielversprechender neuer Produkte.

Bei u-blox fällt ins Gewicht, dass die Nachfrage in der Automobilbranche schwach bleibt und die Industrieproduktion weiterhin gedämpft ist. Dies dürfte zu einem vorsichtigen Q4-Ausblick führen und möglicherweise enttäuschen.

Von Clariant bis OC Oerlikon

Clariant könnte im Gegenwind stehen, da sich die konjunkturellen Frühindikatoren zuletzt abgeschwächt haben, insbesondere in Europa, dem wichtigsten Markt des Spezialchemiekonzerns. Bei Adecco sind neben den konjunkturellen Frühindikatoren auch die flauen Temporär-Arbeitsmarktdaten negativ zu werten. Bei Kühne+Nagel könnten die in letzter Zeit stark gesunkenen Seefracht-Raten einen dämpfenden Einfluss auf die Profitabilität der Seefracht-Dienstleistungen haben. Seefracht ist bei Kühne+Nagel der wichtigste Gewinnpfeiler.

Neben u-blox, Clariant und Geberit sieht Hasanaj von Vontobel Enttäuschungspotenzial auch bei Bucher und OC Oerlikon Industries. Bei Bucher bleibt der Markt für Landmaschinen sehr träge, was schon bekannt ist. Auch sei kaum eine Erholung in anderen industriellen Endmärkten (Hydraulics) sichtbar. Bei OC Oerlikon besteht eine Schwäche in diversen Endmärkten wie Automobil, Industrie und Textil.

Ein Kursrückgang nach Veröffentlichung von Unternehmenszahlen kann zwei Ursachen haben: Einerseits gibt es Unternehmen, deren Aktienkurs und Bewertung die konjunkturelle Nachfrageschwäche noch nicht vollständig widerspiegeln. Andererseits könnten Investoren geneigt sein, bei Outperformern Gewinne mitzunehmen. Beispiele hierfür sind Lonza und ABB. So hatte ABB im zweiten Quartal Umsatz, Gewinn und Profitabilität gesteigert, dennoch wurden die Aktien an der Börse abgestraft.

Gute Ausgangslage für Novartis oder SIG Group

Eine Vielzahl von Schweizer Unternehmen wird jedoch die Erwartungen erfüllen und keine grossen Kursschwankungen verursachen. Dazu gehören Novartis und Roche. Novartis hatte anlässlich der Halbjahreszahlen den Ausblick angehoben. Daraus lässt sich ableiten, dass das Unternehmen über eine ausreichende Visibilität verfügt. Auch das Geschäft der Versicherer Zurich und Swiss Re sei weniger zyklisch. Hinzu kommt, dass sie über attraktive Dividenden verfügen, die in einem Umfeld sinkender Zinsen zunehmend interessant werden. Blickt man schon auf das Weihnachtsgeschäft, könnte laut Hochegger von Raiffeisen auch Logitech überraschen.

Marugg von der BLKB sieht Barry Callebaut in einer guten Ausgangslage. Der Schokoladenkonzern sollte die Guidance für das Geschäftsjahr per Ende September erfüllen. Für das Volumen bedeutet dies ein Nullwachstum, was insbesondere mit dem hohen Kakaopreis zu tun hat. Der bereinigte EBIT des Schokoladenproduzenten könnte dank des laufenden Kostensparprogramms sogar etwas höher als im Vorjahr ausfallen und damit positiv überraschen.

Keine Sorgen sollten laut Hasanaj auch AMS Osram, Burckhardt Compression, Huber + Suhner, Schindler, SIG Group, PSP Swiss Property und Swisscom bereiten. Trotz Preisdruck im Consumer- und Corporate-Bereich dürfte der Telekommunikationskonzern ein robustes Q3-Zahlenset erreichen und die Ziele für 2024 bestätigen. Und obwohl auch AMS Osram von einer schwachen Autonachfrage betroffen ist, dürfte der zurückgewonnene Ambient-Light-Sensor im iPhone 16 für ein Ergebnis im Rahmen der Erwartungen sorgen.

ManuelBoeck
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