Im Jahr 2013 waren mehrere Dutzend Schweizer Wirtschaftsvertreter nach Peking gereist, um der Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen der Eidgenossenschaft und China beizuwohnen und mit Champagner auf den Erfolg anzustossen. Im darauf folgenden Jahr wurde das Freihandelsabkommen umgesetzt und in einem Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC als richtungsweisende Vereinbarung gepriesen. Eine Vereinbarung, die «die internationale Handelslandschaft neu gestaltet» und sogar zu einer «Reindustrialisierung der Schweiz» beitragen könnte.

Zehn Jahre später ist eine Aktualisierung des Abkommens fällig, doch die Euphorie ist verflogen. Dies spiegelt das veränderte geopolitische Umfeld wider, das von der Konkurrenz zwischen den USA und China geprägt ist. Manche bezweifeln inzwischen, dass die Gespräche überhaupt zu einem Ergebnis führen werden.

Die Sorge um das Schicksal des Handelsabkommens ist ein Zeichen dafür, wie die Schweiz zwischen rivalisierenden Weltmächten in Bedrängnis gerät. Damit wird nicht nur die traditionelle Ausnahmestellung der Neutralität in Frage gestellt, sondern auch der wirtschaftliche Alleingang der Schweiz. Die USA versuchen derweil, China den Zugang zu
Spitzentechnologie zu erschweren, und auch die Europäische Union orientiert sich stärker an Washington. Schweizer Unternehmen laufen Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten.

Der Industriegigant ABB wurde Anfang des Jahres von den USA unter die Lupe genommen, als das Unternehmen bei der Lieferung von Kränen für US-Häfen mit chinesischen Staatsunternehmen zusammenarbeitete. Ein Ausschuss des US-Kongresses sah potenzielle Cybersicherheitsrisiken, Bedrohungen durch ausländische Geheimdienste und Schwachstellen in der Lieferkette. ABB sagte, man habe auf die Anfragen des Ausschusses «mit Sorgfalt» geantwortet. Die Schweizer Pharmaindustrie und die mit ihr verbundene Biotech-Branche blicken deshalb nervös auf die Gesetzesvorschläge in den USA, die ihre Zusammenarbeit mit China einschränken könnten.

«Es besteht das ungute Gefühl, dass ein potenzieller Konflikt auch Schweizer Firmen treffen könnte», sagt Jean- Philippe Kohl, stellvertretender Direktor von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. «Besonders heikel sind die geopolitischen Spannungen für die Firmen, die Hightech-Produkte herstellen», so Kohl. «Vor fünf bis zehn Jahren waren solche Sorgen noch kein Thema.»

Während andere im Geschäft mit dem Reich der Mitte auf De-Risking setzen, hat die Schweiz die EU und die USA beim Exportwachstum nach China überholt. Seit Inkrafttreten des Handelsabkommens sind die Ausfuhren von Schweizer Produkten um drei Viertel gestiegen, während die EU im gleichen Zeitraum nur um 54 Prozent und die USA um 20 Prozent zulegten. Dies geht aus Daten des Schweizer Zolls hervor. «Dass die USA eines Tages sagt, dass wir diesen Transfer von Technologien unterbinden müssen, ist eine Urangst vieler Firmen», sagte Kohl. Es wäre «eine Katastrophe», wenn sie sich zwischen den USA und China entscheiden müssten. «Sich aus China zurückzuziehen, wäre unmöglich und käme einer gleich», sagte er.

Mittelweg offenbar nicht einfach

Die Schweizer Regierung ist bestrebt, gute Beziehungen zu China zu pflegen. Doch sie sieht sich zunehmend mit innenpolitischem Widerstand konfrontiert, der durch Berichte über chinesische Einmischung noch zusätzlich angeheizt wird. Der Schweizerische Nachrichtendienst erklärte in seinem jüngsten Jahresbericht, es sei «sehr wahrscheinlich, dass die chinesischen Nachrichtendienste im Vergleich zu den russischen in höherem Ausmass nicht-diplomatische Tarnungen nutzen». Demnach tarnen sich ihre Mitarbeiter häufig als Wissenschaftler, Journalisten oder Geschäftsleute. Die chinesische Botschaft in Bern wies solche Behauptungen zurück und erklärte per E-Mail, dass derartige Berichte darauf abzielten, China zu verleumden.

«Die Schweiz lebt weiterhin in der überholten Mentalität, dass sie ihre eigene Aussenpolitik gestalten und einen Mittelweg finden kann, bei dem der wirtschaftliche Bereich nicht von politischen oder geopolitischen Fragen beeinflusst wird», meint Simona Grano, China-Expertin an der Universität Zürich. Dieser Ansatz erscheint zunehmend unhaltbar, da die USA ihre Exportkontrollen gegen China ausweiten und Verbündete für Technologieverbote wie bei der Chipherstellung gewinnen wollen. Die schweizerische Pharmaindustrie, die mit 157 Milliarden Dollar fast die Hälfte der Exporte des Landes ausmacht, könnte schon bald im Mittelpunkt stehen. Das überparteiliche Bioscure-Gesetz, das derzeit den Kongress durchläuft, sieht ein Verbot der Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit chinesischen Biotechnologiefirmen aus Gründen der nationalen Sicherheit vor.

Während die USA nach wie vor der wichtigste Exportmarkt für Schweizer Pharmaunternehmen sind, haben chinesische Firmen in der gesamten Lieferkette eine Schlüsselrolle eingenommen. Diese Verflechtung ist für einige US-Abgeordnete ein Grund zur Sorge. Die grösste Sorgen von Schweizer Unternehmen in sensiblen Branchen sei vor allem, «ob ihre Geschäfte mit chinesischen Kunden und insbesondere staatlichen Unternehmen Auswirkungen auf ihr US-Geschäft haben könnten», meint Alain Graf, leitender Berater und China-Experte bei Switzerland Global Enterprise. Dies erschwert auch die Überarbeitung des Freihandelsabkommens mit China. Jeder neu ausgehandelte Text würde im Rahmen des direktdemokratischen Systems des Landes wahrscheinlich einer Volksabstimmung unterzogen werden.

Für Peking hat die Überarbeitung des Abkommens eine grössere politische Bedeutung in einer Zeit, die es als zunehmenden Protektionismus gegen China ansieht. In einem kürzlich erschienenen Artikel der staatlich kontrollierten Global Times hiess es, die verstärkte Zusammenarbeit mit der Schweiz sei «ein Paradebeispiel dafür, wie Europa Handelskonflikte vermeiden und sich auf eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit konzentrieren kann.»

Bei seiner Unterzeichnung sahen viele das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China als Vorläufer eines Handelsabkommens zwischen China und der EU. «Aber dann haben sich die Dinge geändert und jetzt geht die Schweiz ihren eigenen Weg», sagt Peter Bachmann, ehemaliger Geschäftsführer der Schweizerisch-Chinesischen Handelskammer.  Die EU und China schlossen 2020 ein umfassendes Investitionsabkommen ab, das jedoch aufgrund der verschärften Sanktionen im Zusammenhang mit Xinjiang auf Eis gelegt wurde. Die Realität sei nun, dass die Schweiz das Freihandelsabkommen nötiger brauche als China, sagte Bachmann. «Die Schweiz hat sich oft auf Anpassung und Geschäftemachen konzentriert, was bisher gut funktioniert hat», sagte er. «Aber jetzt werden andere Werte wichtig.»

(Bloomberg)