cash.ch: An den Aktienmärkten scheint Ruhe eingekehrt. Verfestigt sich die Aufwärtstendenz? 

Karsten Junius: Wir gehen tatsächlich davon aus, dass sich die USA in einem 'Soft landing'-Szenario, das heisst einer sanften Konjunkturlandung, befindet. Das würde mit stetig langsam wachsenden Unternehmensgewinnen einhergehen. Werden die Erwartungen nicht überschossen, so können die Börsen langsam nach oben klettern.

Wo steht die Schweizer Börse Ende Jahr?  

Wir sehen für den Swiss Market Index SMI tatsächlich noch ein Aufwertungspotenzial bis auf 12'800 Punkte. Wir schätzen den Schweizer Aktienmarkt durchaus als attraktiv ein.

Wie sind die Perspektiven für das nächste Jahr?  

Wir gehen auch 2025 davon aus, dass es an den Börsen nach oben gehen wird. Die Treiber mögen vielleicht etwas anders sein. Ich glaube, dass wir in der Schweiz im nächsten Jahr mehr Gegenwind von Wechselkursen bekommen werden. Allerdings haben wir dann auch niedrige Zinsen überall in Europa und das könnte die Investitionen auch bei uns hier in der Schweiz etwas ankurbeln.

Der Schweizer Aktienmarkt hat historisch einen 'Total Return' um die 7 Prozent abgeliefert. Ist das realistisch oder gibt es da Gegenwind?

Bei den einzelnen Ländern und Sektoren muss man immer wieder beachten, dass die Aktienindizes unterschiedlich zusammengesetzt sind. In der Schweiz haben wir einen eher defensiven Aktienmarkt, der natürlich nicht so stark wie der US-Aktienmarkt von den technologischen Neuerungen wie Künstlicher Intelligenz profitiert. Deswegen erwarten wir auch eine höhere Volatilität bei US-Aktien als bei Schweizer Aktien. Aber grundsätzlich sollten Erträge in dieser Grössenordnung bei einem freundlichen Börsenumfeld drin liegen. 

Eine zentrale Frage ist, ob die erwarteten Zinssenkungen an der Börse bereits eingepreist sind?

Ich glaube, dass in den USA tatsächlich sehr viele Zinssenkungen bereits eingepreist wurden - mehr als 100 Basispunkte bis zum Jahresende. Das ist mehr als wir erwarten und benötigen, wenn es tatsächlich zur weichen Landung der Wirtschaft kommt. In der Schweiz sehe ich es aber genau andersherum. Da glaube ich, dass wir nicht nur im September eine Zinssenkung bekommen, sondern noch zwei weitere.

Da sind Sie aber sehr offensiv. Was sind die Gründe für diese Prognose?

Zunächst ist der inländische Preisdruck gering, wie die aktuelle Inflationsrate von 0,8 Prozent ohne Mieten zeigt. Zudem erwarten wir in den nächsten Quartalen einige Zinssenkungen bei der Fed und der EZB. Dadurch schmilzt die Zinsdifferenz zum Schweizer Franken zusammen. In der Vergangenheit hat dieses Zusammenschmelzen immer wieder dazu geführt, dass der Franken tendenziell erstarkt ist. Damit diese Aufwertung beim Franken nicht zu stark wird, dürfte die Nationalbank bis zum nächsten Sommer noch zwei weitere Zinssenkungen benötigen. Damit hätten wir in einem Jahr ein Leitzinsniveau von nur noch 0,5 Prozent.

Der Markt geht davon aus, dass bei einem Prozent Schluss ist? 

Das konjunkturneutrale Zinsniveau liegt in der Schweiz bei einem Prozent. Darauf kann ich mich mit vielen Anderen und der Nationalbank einigen, aber es gibt überhaupt keinen Grund, wieso wir ausgerechnet auf diesem Niveau verharren sollten. In Zukunft dürften die Inflationsrisiken in der Schweiz eher auf der unteren Seite liegen. Das würde dann eine expansive Geldpolitik mit Zinsniveaus von unter einem Prozent notwendig machen.

Reicht das, um die Frankenstärke einzudämmen?

Wir sind aktuell beim Schweizer Franken fair bis leicht überbewertet. Für mich bedeutet das, dass wir aufgrund der Inflationsdifferenzen mittelfristig eine leichte Aufwertung als realistisch erachten. Wenn es allerdings aufgrund der schmelzenden Zinsdifferenzen, der starken Zinssenkung in den USA und durch die EZB, zu Aufwertungsdruck kommen sollte, wird die SNB nur begrenzt dagegen halten können. Deshalb sollten wir bis zum Ende des nächsten Jahres noch mit Kurssteigerungen beim Franken rechnen.

Sind Devisenintervention eine Möglichkeit, um die Frankenaufwertung zu bremsen? 

In der aktuellen Situation glaube ich, dass die Nationalbank eher das Zinsinstrument einsetzen würde als Deviseninterventionen. Gerade wenn es geopolitisch nicht so rund läuft, wie wir uns das alle wünschen, könnte es in den nächsten Quartalen auch mal zu stärkerem Aufwertungsdruck kommen. Unser Kursziel für den Euro zum Franken liegt bei 92 Rappen Ende 2025. Da kann ich mir durchaus vorstellen, dass dann die Nationalbank mit Deviseninterventionen entgegenhalten wird, wenn wir unter diese Marke hinaus schiessen. 

Die Eurozone hat bei der Inflation das Problem mit Zweitrundeneffekten, die Schweiz keine. Wieso?

Wir können in der Schweiz beim Arbeitsmarkt und bei den Lohnverhandlungsrunden keine Zweitrundeneffekte beobachten. Im Euroraum sind diese aber durchaus sichtbar. Das liegt meiner Einschätzung nach weniger an der Geldpolitik selber, sondern mehr daran, wie der Arbeitsmarkt organisiert ist. Er ist halt eben nicht so flexibel, nicht so frei in den meisten europäischen Ländern, wie das hier in der Schweiz der Fall ist. Und damit haben wir viel häufiger eine Diskussion bei den Tarifverhandlungsrunden, dass Arbeitnehmer für den starken Inflationsanstieg kompensiert werden wollen. Hier wird mehr auf die einzelne Situation im Unternehmen geachtet und diskutiert, wie viel Lohnerhöhung sich ein Unternehmen oder eine Branche überhaupt leisten kann.

Deutschland scheint angeschlagen, Frankreich hat keine neue Regierung. Wie problematisch ist die Situation in der Eurozone?

Ich bin aktuell sehr froh, in der Schweiz zu sein und mich von der schlechten Stimmung und all den Strukturproblemen, die wir im Euro-Raum haben, nicht so stark beeinzuflussen. Im Euroraum sind viele wirtschaftliche, strukturelle Probleme nicht gelöst, und da bräuchten wir entschiedeneres, klareres, schnelleres Handeln, damit sich das verändert.

Das heisst aber auch, dass der Euro zum Franken gar nicht erst ansteigen kann?

Der Euroraum kann sich keine starke Währung leisten. Das sehen wir auch in der Rückwärtsbetrachtung. In der langen Frist hat der Franken auch eine reale Aufwertung verkraften können, während der Euro in der langen Frist eine reale Abwertung hinnehmen musste. Das ist für die Kaufkraft der Bevölkerung im Euro-Raum nachteilig.

Thomas Daniel Marti
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