Nach dem stürmischen Jahresauftakt an den Aktienmärkten sehen sich die Händler mit einer Reihe von Risiken konfrontiert die von Konjunkturängsten über Zinsunsicherheiten bis hin zu Wahlängsten reichen. Die aber wichtigste Variable für den weiteren Verlauf der Aktienmärkte kehrt diese Woche ins Rampenlicht zurück: die Unternehmensgewinne. 

Der S&P 500 Index ist im Jahr 2024 um rund 20 Prozent gestiegen und hat seine Marktkapitalisierung um mehr als 8 Billionen Dollar erhöht. Die Gewinne wurden grösstenteils von der Erwartung einer lockeren Geldpolitik und robusten Gewinnaussichten getragen. 

Doch das Blatt könnte sich nun wenden. Analysten haben ihre Erwartungen für die Ergebnisse des dritten Quartals zurückgeschraubt. Den von Bloomberg zusammengestellten Daten zufolge werden die Unternehmen im S&P 500 voraussichtlich einen Anstieg der Quartalsgewinne um 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. Das ist ein Rückgang gegenüber den Prognosen von 7,9 Prozent von Mitte Juli und würde den Bloomberg-Daten zufolge den schwächsten Anstieg seit vier Quartalen bedeuten. 

«Die Gewinnsaison wird dieses Mal wichtiger sein als sonst», sagte Adam Parker, Gründer von Trivariate Research. «Wir brauchen konkrete Daten von den Unternehmen.» 

Vor allem wollen die Anleger wissen, ob die Unternehmen ihre Ausgaben aufschieben, ob sich die Nachfrage verlangsamt hat und ob sich die Kunden aufgrund der geopolitischen Risiken und der makroökonomischen Unsicherheit anders verhalten, so Parker. «Gerade weil in der Welt so viel los ist, werden die Unternehmensgewinne und die Prognosen jetzt besonders wichtig sein», meint er. 

Die Ergebnispublikationen der grosskapitalisierten Unternehmen beginnen diese Woche mit den Resultaten von Delta Air Lines am Donnerstag und JPMorgan und Wells Fargo am Freitag. «Die Berichtssaison ist normalerweise positiv für Aktien», sagte Binky Chadha, Chefstratege für US-Aktien und globale Aktien bei der Deutsche Bank. «Aber die starke Rallye und die überdurchschnittliche Positionierung zu Beginn (dieser Gewinnsaison) sprechen für eine gedämpfte Marktreaktion.» 

Hindernisse gibt es zuhauf 

Die Hindernisse, mit denen die Anleger derzeit konfrontiert sind, sind kein Geheimnis. In nur einem Monat stehen die US-Präsidentschaftswahlen an, bei denen sich die Demokratin Kamala Harris und der Republikaner Donald Trump ein enges, erbittertes Rennen liefern. 

Die US-Notenbank hat gerade erst mit der Senkung der Zinssätze begonnen, und obwohl man optimistisch über den Konjunkturverlauf und der Erzielung einer weichen Landung ist, bleibt die Frage, wie schnell die Zentralbanker die Kreditkosten senken werden. Ein sich verschärfender Konflikt im Nahen Osten lässt auf der Gegenseite die Sorge aufkommen, dass die Inflation erneut ansteigen könnte. Der Preis für West Texas Intermediate-Öl ist in der vergangenen Woche um 9 Prozent gestiegen - der grösste wöchentliche Anstieg seit über einem Jahr. 

«Unterm Strich sind die Revisionen und Prognosen schwach, was auf anhaltende Sorgen über die Wirtschaft hinweist und eine gewisse Wahljahr-Saisonalität widerspiegelt», so Dennis DeBusschere von 22V Research. «Das trägt dazu bei, dass die Berichtssaison zu einem weiteren Ereignis wird, das Unsicherheiten beseitigt.» Erschwerend kommt hinzu, dass grosse institutionelle Anleger derzeit wenig Kaufkraft haben und die saisonalen Markttrends schwach sind. 

Die Positionierung in trendfolgenden systematischen Fonds ist jetzt abwärts gerichtet, und die Positionierung auf dem Optionsmarkt zeigt, dass die Händler möglicherweise nicht bereit sind, Kursrückgänge zu kaufen. Commodity Trading Advisors (CTAs) werden nach Angaben der Goldman Sachs Gruppe voraussichtlich US-Aktien verkaufen, selbst wenn der Markt im nächsten Monat unverändert bleibt. Und Volatilitätskontrollfonds, die bei sinkender Volatilität Aktien kaufen, können ihr Engagement nicht noch weiter erhöhen. 

Auch die Geschichte scheint sich auf die Seite der Pessimisten zu schlagen. Wenn immer der S&P 500 in den ersten neun Monaten des Jahres 20 Prozent zulegte, verzeichnete er in 70 Prozent der Fälle einen negativen Oktober, wie die von Bespoke Investment Research zusammengestellten Daten seit 1945 zeigen. In diesem Jahr legte der Index bis September um 21 Prozent zu. 

Die Messlatte sinkt 

Dennoch gibt es Grund zum Optimismus, insbesondere eine niedrigere Messlatte für Gewinnprognosen, die den Unternehmen mehr Spielraum lässt, die Erwartungen zu übertreffen. «Die Schätzungen waren etwas zu optimistisch, und jetzt gehen sie auf ein realistischeres Niveau zurück», sagte Ellen Hazen, Chefmarktstrategin bei F.L. Putnam Investment Management. «Es wird definitiv einfacher sein, die Gewinne zu übertreffen, weil die Schätzungen jetzt niedriger sind.» 

In der Tat gibt es viele Daten, die darauf hindeuten, dass die US-Unternehmen grundsätzlich widerstandsfähig bleiben. Laut Bloomberg dürfte ein stärkerer Gewinnzyklus die hartnäckig schwachen Wirtschaftssignale weiterhin ausgleichen, so dass sich die Waage für Aktien in eine positive Richtung neigt. Selbst bei den angeschlagenen Small-Cap-Aktien, die in diesem Jahr hinter ihren Large-Cap-Pendants zurückgeblieben sind, wird mit einer Verbesserung der Margen gerechnet, schrieben Bloomberg-Analysten. 

Der Arbeitsmarktbericht vom Freitag, der einen unerwarteten Rückgang der Arbeitslosenquote zeigte, zerstreute einige Sorgen über einen sich angeblich verschlechternden Arbeitsmarkt. 

Ein weiterer Faktor ist der Lockerungszyklus der Fed, der sich in der Vergangenheit als Segen für US-Aktien erwiesen hat. Seit 1971 verzeichnete der S&P 500 in Zeiten, in denen die Zentralbank die Zinsen senkte, eine jährliche Rendite von 15 Prozent. 

Diese Gewinne waren sogar noch stärker, wenn die Zinssenkungszyklen in rezessionsfreie Perioden fielen. In diesen Fällen verzeichneten Large Caps eine durchschnittliche jährliche Rendite von 25 Prozent gegenüber 11 Prozent in Rezessionszeiten, während Small Caps in rezessionsfreien Zeiten 20 Prozent und 17 Prozent in Rezessionszeiten zulegten. 

«Ich denke, dass die Fed bis zum Jahresende einen grösseren Einfluss auf die Märkte haben wird, es sei denn, die Erträge sind eine grosse Enttäuschung», so Tom Essaye, Gründer und Präsident von Sevens Report Research.

(Bloomberg)