cash.ch: Richard Questt, wie beurteilen Sie die Antrittsrede von Präsident Donald Trump?
Richard Quest: Ich war ein wenig enttäuscht, dass Trump nicht damit begann, Präsident Joe Biden zu danken. Man hätte sagen können: 'Ich bin mit Ihrer Politik nicht einverstanden und ich bin mit dem, was Sie getan haben, nicht einverstanden. Aber ich kann Ihre vielen Jahre im Dienste dieses Landes anerkennen.' Und das hat Trump nicht getan. Ich fand das schade. Ansonsten war die Rede inhaltlich sehr detailliert. Aber schlussendlich ist es das, wofür die Amerikaner gestimmt haben und das, was die Amerikaner wollten. Und es ist in gewisser Weise, was der gesamte Populismus will, den man sieht. Das Problem mit dem Populismus ist, dass er in vielen Fällen zu weit nach rechts driftet. Eigentlich sagen die Bürger in Europa und Grossbritannien: 'Wir wollen das Haus nicht in die Luft jagen, aber wir wollen ernsthafte Veränderung.' Und das ist auch das, was Donald Trump gesagt hat.
Kann Trump liefern?
Er kann sicher nicht 100 Prozent liefern. Aber wenn er 30, 40 oder 50 Prozent liefert, werden die Leute schon zufrieden sein. Bereits wenn er ernsthaft zu liefern beginnt und es auch so deklariert, werden die Leute zufrieden sein. Es ist das Äquivalent zum kleinen Mann und der kleinen Frau, die rebellieren und sagen: 'Ihr habt uns jahrelang nicht zugehört. Ihr habt uns wie Pilze behandelt. Ihr habt uns erst ans Licht gebracht, als ihr uns brauchtet, aber ihr habt uns die restliche Zeit im Dunkeln gelassen und uns mit Scheisse überhäuft.'
Es ist der grosse Fehler der Demokraten, dass sie diese Wähler vernachlässigt haben.
Völlig. Die Demokraten haben auch den Ausdruck 'Latinax' verwendet für Latinos und Latinas. Den Ausdruck gibt es nicht, obwohl ich natürlich begreife, dass es dabei um Inklusivität geht. LGBTQ ist eine schwierige Debatte, auch für mich als Homosexuellen. Als schwuler Mann geniesse ich natürlich die Vorteile meiner Vorgänger, die vor 30 Jahren genauso dafür gekämpft haben wie die Verfechter der Transgender-Rechte jetzt. Man hätte sich gehofft, dass die politischen Führer geschickter gewesen wären darin, die Öffentlichkeit bei diesen Themen mitzunehmen. Aber man kann der Öffentlichkeit auch bei diesen Themen nicht sagen, dass sie falsch liegen - und das haben die Demokraten getan. Man darf also den Wählern nicht sagen: 'Oh nein, so solltet ihr nicht denken, ihr dummen Leute.' Darum ging es übrigens auch beim Brexit. Es kann sehr gefährlich werden, wenn solche Entwicklungen zu einem Trojanischen Pferd werden.
Was meinen Sie damit? Und was hat das mit Trump zu tun?
Wir wissen, was Trump tun wird und dass er es im Rahmen der verfassungsmässigen Anforderungen tun kann. Wir wissen, dass es einen Obersten Gerichtshof gibt, der ihn stoppen wird. Wenn wir den Fall auf Deutschland mit der extremen Rechten drehen oder auf Frankreich mit Marine Le Pen extrapolieren, wissen wir hingegen nicht, wie weit das gehen wird. In Ungarn unter Viktor Orban endet man beim Trojanischen Pferd: Legitime rechte Politik wird zum Rechtsaussen-Extremismus. Donald Trump hat Extremismus bislang nicht unterstützt. Und ich sage Ihnen noch etwas (ereifert sich). Europa ist einzigartig schlecht ausgerüstet und schlecht vorbereitet, um sich der Herausforderung Donald Trump zu stellen. Vollkommen.
Herrscht in Europa zu viel Selbstmitleid?
Haben Sie die Rede der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am WEF gehört? Sie sprach über Russland. Als hätte die Rede von Donald Trump nie stattgefunden. Die Europäer haben dermassen Angst, jemanden zu beleidigen. Sie vergessen, dass sie 350 Millionen Bewohner haben. Es ist ein riesiger Binnenmarkt. Die Wahrheit ist, dass sie nicht über die Mechanismen verfügen, um damit umzugehen. Es gibt einen Kommissionspräsidenten, einen Ratspräsidenten, wir haben einen Parlamentspräsidenten, wir haben das Subsidiaritätsprinzip, dann noch Victor Orban. Ich möchte hierzu Alexander Stubb zitieren, den Präsidenten von Finnland: Es gibt immer eine Krise, die zu Chaos führt, was dann zu einem suboptimalen Ergebnis führt.
Jetzt steigern Sie sich in etwas hinein...
Schauen Sie: Europa hat es jetzt im Grunde mit einem autokratischen US-Präsidenten zu tun, der eine einheitliche Regierung und einen Obersten Gerichtshof hat, der, wenn auch nicht gefügig, zumindest genauso denkt. Was haben wir in Europa? Wir streiten über alles. Jede Entscheidung muss an den Rat gehen. Wie soll es denn funktionieren, wenn es darum geht, Sanktionen als Vergeltung für Zölle zu verhängen? Unterschätzen Sie die Lage nicht. Frankreich ist politisch ein hoffnungsloser Fall. Deutschland ist politisch ein hoffnungsloser Fall. Es bleibt Donald Tusk in Polen, der ungefähr weiss, was er tun will. Aber er hat keine Unterstützung.
Zurück zu Trump: Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit vor acht Jahren suchen Unternehmensführer die Nähe zum Präsidenten. Besteht nicht die Gefahr, dass gewisse Firmen bevorzugt werden?
Nein. Viele Leute beschreiben das, was die CEOs nun bei Trump tun, als Kapitulation. Doch es ist auch gesunder Menschenverstand. Die Firmenchefs haben eine Verpflichtung gegenüber den Aktionären. Diese Firmenchefs haben zudem Hunderttausende von Mitarbeitern und Millionen von Kunden. Und Sie haben gesehen, wie diese Kunden und Mitarbeiter in den USA abgestimmt haben. Was ich hingegen für sehr gefährlich halte: Elon Musk wird ein Büro im Weissen Haus haben. Das ist falsch. Man hat hier langjährig geltende Regeln umgangen, die speziell dafür da sind, Interessenkonflikte zu verhindern. Wie kann es sein, dass der reichste Mann der Welt im selben Gebäude wie der mächtigste Mann der Welt arbeitet, rasch mal in das Büro des anderen platzen und alle möglichen Absprachen und Geschäfte machen kann, von denen niemand sonst eine Ahnung hat? Das ist falsch. Aber die Amerikaner scheinen sich nicht darum zu kümmern.
Es gibt ja die These, dass sich die beiden bald zerstreiten...
(unterbricht)... Das ist genau das, was man in Grossbritannien als 'Chattering Classes' bezeichnen würde. Also Denken von Eliten. 'Wird diese Bromance bald vorbei sein?' Das ist doch nur masturbatorisches Geschwätz. Es ist doch egal, ob und wann die Freundschaft vorbei ist oder nicht. Tatsache ist, dass sie stattfindet. Unangemessen ist einfach, dass jemanden wie Elon Musk dem Präsidenten so nahe steht. Musk, der seine Macht durch X ausübt, der einen grossen Hersteller von Elektrofahrzeugen besitzt und mit anderen Herstellern von Elektrofahrzeugen in den USA im Wettbewerb steht und schliesslich auch Milliardenverträge von der Nasa hat.
Trump mag starke und autoritäre Führer. Über die spezielle Beziehung zwischen Trump und Putin ranken sich allerlei Gerüchte und Spekulationen. Was ist da dran?
Das weiss niemand. Hat Putin Trump hereingelegt? Ebenso wenig. Michael Ignatieff hat kürzlich in der 'Financial Times' den ausgezeichneten Essay 'Canada, Trump and the New World Order' geschrieben. Er weist auf Shakespeares Satz hin, dass im Wahnsinn Methode steckt. Man muss also schauen, was die westliche Elite bei Trump als Wahnsinn ansieht. Trump will die Vorherrschaft über seine eigene Hegemonie, in Kanada, USA, Mexiko, Grönland, und sagt: Lasst mich hier einfach in Ruhe. Ich werde hier machen, was ich will. Hätten Sie jemals gedacht, dass Frankreich und Deutschland die Vereinigten Staaten daran erinnern müssten, dass Grönland unter den EU-Verteidigungspakt fällt?
Was werden Ihrer Meinung nach in einem Jahr die Hauptthemen des WEF sein?
Leben mit Trump. Wir werden eine Vorstellung von den Zöllen haben, von den geopolitischen Problemen und davon, ob Trumps Wirtschaftspolitik tatsächlich funktioniert oder ob sie zu grösseren Defiziten führt. Es ist kurzfristig überhaupt nicht schwierig, den Aktienmarkt auf Steroide zu setzen. Langfristig wird es eine Blase und eine Inflation geben, und alles wird zusammenbrechen.
Die Konflikte zwischen Trump und der Fed sind doch vorprogrammiert?
Ja, das kann passieren. Aber gleichzeitig wird der Markt steigen. Denn Trump wird die amerikanische Industrie wettbewerbsfähiger machen. Es wird eine Wachstumspolitik sein.
Etwas völlig anderes: Sie moderieren auf CNN auch Reisesendungen wie 'Business Traveller'. Was sind Ihre Lieblingsreiseziele und Top-Urlaubsorte?
Ich liebe Australien. Sydney, Bondi, eigentlich überall in Australien. Südfrankreich ist auch unschlagbar. Die Franzosen sind viel netter und charmanter, als die Leute glauben. Südfrankreich ist zwar lächerlich teuer. Aber ich fahre gerne an Orte, wo man bekommt, was versprochen wird. In Südfrankreich kriegen Sie Klasse und Eleganz. Auch die Türkei ist immer wieder eine wundervolle Erfahrung.
Südfrankreich, aber auch die USA. Man kann mittlerweile nicht mehr sagen, dass die Schweiz so viel teurer ist als andere Länder.
Uff, die Schweiz ist für mich preislich immer noch ein böser Schock. Das ist, wie wenn Sie eine Hypothek aufnehmen würden. Wobei: Gehen Sie mal nach Norwegen und bestellen Sie einen Kaffee.
Habe ich noch etwas vergessen in diesem Interview?
Ich denke, als Journalisten müssen wir unsere Empörung loswerden. Sie und ich sind ja schon seit langer Zeit Journalisten. Wir müssen zu den Grundlagen zurückkehren. Das heisst: Berichten Sie über die Geschichte, die vor Ihnen liegt. Man soll sich nicht darüber empören, wie schrecklich die Story sein mag. Die Geschichte ist zum Beispiel: Das amerikanische Volk hat so entschieden. Das sind die Auswirkungen dieser Entscheidung, wer wird dafür bezahlen? Das ist alles. Ich glaube, in unserer Berichterstattung ist kein Platz für... (denkt nach)
Versteckte Meinungen?
Genau, versteckte Meinungen. Davon gibt es in den europäischen Medien eine Menge. Besonders eine jüngere Generation von Journalisten versucht, Meinungen zu äussern. Den Lesern oder Zuschauern ist egal, was ihre Meinung ist. Man soll einfach hingehen und über die Story berichten. Aber man sollte Fragen stellen.