Es werde erwartet, dass das Aufsichtsgremium der Zentralbank bald einen Nachfolger für Jordan, der im September nach mehr als zwölf Jahren als Notenbankchef zurücktritt, nominieren werde.

Das Verfahren zur Nachbesetzung eines der am besten bezahlten Zentralbankposten - die Gesamtvergütung des SNB-Chefs belief sich vergangenes Jahr auf 1,3 Millionen Franken - sei fast abgeschlossen, die Gespräche mit den Bewerbern seien beendet, sagten zwei mit der Sache vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters.

Der Bankrat, der seinen Kandidaten der Regierung zur Genehmigung vorstellen muss, lehnte es ab, sich zum Suchprozess oder zu Gerüchten zu äussern.

Vize gilt als chancenreichster Anwärter

Als Favorit für den SNB-Spitzenposten gilt Vizepräsident Martin Schlegel. In einer Reuters-Umfrage erwarten 16 von 18 befragte Ökonomen, dass der 47-Jährige zum Präsidenten des SNB-Direktoriums ernannt wird. «Schlegel wird als Spitzenkandidat angesehen», sagte Stefan Gerlach, Chefökonom des Vermögensverwalters EFG International und ehemaliger Vizegouverneur der irischen Zentralbank. «Seine umfassende Kenntnisse der SNB und der Schweizer Finanzmärkte sind eindeutig von Vorteil.»

Der promovierte Volkswirt Schlegel, der als Zögling von Jordan gilt, arbeitet seit 2003 für die Zentralbank. Seit August 2022 sitzt er im dreiköpfigen Führungsgremium, das die geldpolitischen Entscheidungen trifft.

In Jordans bewegte Amtszeit fielen unter anderem der Kampf gegen einen zu starken Franken, Massnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie und der Untergang der Grossbank Credit Suisse. Analysten erwarten von seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin keine Änderung der Geldpolitik. Die SNB sieht Preisstabilität als ihren Kernauftrag an und definiert diese mit einer Inflation zwischen null und zwei Prozent. Zudem will sie grosse Wechselkursschwankungen des Frankens verhindern.

Doch der neue Präsident oder die neue Präsidentin wird es nicht leicht haben. So gilt es etwa, die hohen Zahlungen der Notenbank an die Geschäftsbanken - 7,4 Milliarden Franken im vergangenen Jahr - als Folge der wieder positiven Zinsen zu reduzieren. Zudem steht eine Entscheidung an, was mit der riesigen Bilanz der SNB geschehen soll, die der SNB in den letzten beiden Jahren zum Teil enorme Verluste einbrockte und zum Ausfall der Ausschüttung an Bund und Kantone führte - was politischen Zündstoff birgt.

Die Debatte um strengere Regeln für die Grossbank UBS und andere als systemrelevant eingestufte Institute, mit denen ein Debakel wie der Untergang der Credit Suisse verhindert werden soll, werden ebenfalls vom neuen Notenbankchef oder der neuen Notenbankchefin ausgehandelt werden müssen. «Es wird ein anspruchsvolles Erbe für denjenigen sein, der es antritt», sagte Sarah Lein, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Basel.

Frau im SNB-Direktorium gefordert

Sollte Schlegel an die SNB-Spitze befördert werden, würde im Direktorium eine Stelle frei. Und nach dem Ausscheiden von Andrea Maechler steht der Bankrat unter Druck, die Position mit einer Frau zu besetzten. Maechler, das bislang einzige weibliche Direktoriumsmitglied, war 2023 zurückgetreten, nachdem sie bei der Ernennung von Jordans Stellvertreter übergangen worden war. Als ihr Nachfolger nahm Anfang 2024 der von der Federal Reserve Bank of New York kommende Antoine Martin Einsitz im SNB-Führungsgremium.

Celine Widmer, Nationalratsabgeordnete der Sozialdemokraten, sagte, es sei Zeit für eine Frau an der Spitze der SNB. Für eine geeignete Kandidatin hält sie Beatrice Weder di Mauro - ein ehemaliges Mitglied im Gremium der Wirtschaftsberater der deutschen Regierung. «Unsere Nationalbank ist eine der mächtigsten Institutionen in der Schweiz», sagte Widmer. «Aus Sicht der Gleichstellung ist es absolut entscheidend, dass Frauen vertreten sind.» Widmer fügt hinzu, sie habe keine grossen Hoffnung, dass eine Frau zur SNB-Präsidentin ernannt werde. «Es wäre aber völlig inakzeptabel, wenn es keine Frauen im Direktorium gäbe.» Weder di Mauro lehnte eine Stellungnahme ab. 

(Reuters)