Wer das letzte Jahrzehnt in den Emerging Market (EM) investiert war, hat gefühlt eine Menge Geld in Form verpasster Performance liegen lassen. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Ein Blick auf die Kursentwicklung der jeweiligen Märkte zeigt ein differenziertes Bild.  

Besonders drei Märkte haben im Zehn-Jahres-Vergleich gut abgeschnitten. Der BSE100 Index in Indien ist einer Top-Performer mit einem Gesamtertrag in Schweizer Franken - Kursgewinne plus Dividenden in Schweizer Franken - von annualisierten 10,1 Prozent. Danach folgt - trotz horrender Währungsverluste - der argentinische Merval Index mit einem annualisierten Ertrag von 6,8 Prozent in Schweizer Franken. In Lokalwährung betrug die Rendite 71,21 Prozent pro Jahr. Auf dem dritten Platz folgt eher überraschend der führende chinesische Index CSI 300 mit einer annualisierten Rendite von 5,99 Prozent.

So gut die Performance im Zehn-Jahres-Vergleich war: In den letzten fünf Jahren gab es an den chinesischen Märkten keinen Blumentopf mehr zu gewinnen, die Kurse entwickelten sich rückläufig. Manch eine Anlegerin oder Anleger hat gerade mit Blick auf China, trotz Kaufempfehlungen von Strategen, das Handtuch hingeworfen, obwohl die Performance des chinesischen Aktienmarktes nur vergleichsweise mässig hinter dem Gesamtertrag des Swiss Performance Index (SPI) von annualisierten 6,6 Prozent hinter hinkte. 

Zudem gab es Schwellenländer, die überhaupt nicht überzeugten. Währungsbereinigt verlor der brasilianische Bovespa Index im Zehn-Jahres-Vergleich zwei Prozent. In Malaysia steht der Kuala Lumpur Composite Index ebenfalls bei Minus zwei Prozent, und in Peru resultierte mit dem BVL Total Return Pen Index gar ein Verlust von 18 Prozent.

Deshalb herrscht bei vielen Investierenden die Meinung vor, Aktien aus Schwellenländern hätten viel versprochen, aber über lange Strecken wenig überzeugt oder gar auf der ganzen Linie enttäuscht. Denn trotz des starken Potenzials ihrer Volkswirtschaften – seit 1988 haben die Schwellenländer ein jährliches BIP-Wachstum von 4,7 Prozent gegenüber 2 Prozent in Industrieländern erzielt – hat sich dies nicht immer in einer positiven Entwicklung der Aktienmärkte niedergeschlagen. 

Zur besseren Einordnung der Chancen und Risiken hat Pictet in einer Studie die Volkswirtschaften der Schwellenländer in vier Bereiche unterteilen: Erstens China versus den Rest der Schwellenländer, zweitens die Rohstoffexporteure gegenüber den Fertigungsländer; drittens Schuldner- gegenüber Gläubigerländer, und viertens offene und geschlossene Volkswirtschaften. 

Lange Zyklen und keine Outperformance

Seit der Einführung als Anlageklasse im Jahr 1988 haben Emerging-Market-Aktien die entwickelten Märkte geringfügig übertroffen, so die grundsätzlich positive Nachricht. Die Fahrt war indessen holprig. Von 1988 bis 1994 übertrafen EM-Aktien die entwickelten Aktien deutlich, was teilweise auf die Öffnung ehemals kommunistischer Länder und eine Explosion der Fertigungsproduktion in Asien zurückzuführen war.

Im Laufe des nächsten Jahrzehnts blieben sie hinter den Erwartungen zurück, als die US-Wirtschaft in Schwung kam, sich im Jahr 2000 eine Technologieblase bildete und der Dollar an Stärke gewann. Letzteres löste eine Reihe von Krisen in Schwellenländern mit Dollarbindung aus, schreiben Patrick Zweifel, Chefökonom, und Lola Saugy, quantitative Ökonomin bei Pictet Asset Management. All dies endete mit der Pleite der Technologiebranche und den Anschlägen vom 11. September in den USA Anfang der 2000er Jahre.

Das folgende Jahrzehnt gehörte dann wieder den Schwellenländern. Allerdings wurden diese postwendend auf den Boden der Realität zurückgeholt, als die Zinsen im Zuge der globalen Finanzkrise auf null sanken.

Exemplarisches Beispiel China

Während die chinesische Wirtschaft seit 2008 den Rest der Schwellenländer überflügelte und ein durchschnittliches jährliches nominales Wachstum von etwa 10 Prozent verzeichnete, nahmen die Unternehmensgewinne im gleichen Zeitraum ähnlich stark zu. Allerdings schnitten die Gewinne pro Aktie nicht besser ab als das Mittelfeld. Im Grunde haben chinesische Unternehmen ihre Performance aus Sicht der Anleger durch die vielen emittierten Aktien verwässert, erklärt Pictet. Entsprechend hat sich ein hoher Anteil an chinesischen Aktien in den Depots nicht ausbezahlt.

Wer in Rohstoffländer wie Angola, Ghana, Brasilien, Russland, Chile oder Peru investiert war, ist nicht zwangsläufig besser gefahren. Denn je stärker ein Land vom Verkauf von Rohwaren abhängig ist, desto volatiler ist das Wirtschaftswachstum im Vergleich zu den Schwellenländern mit Schwerpunkt auf der Fertigung. Infolgedessen wurden die Aktienmärkte der Rohstoffproduzenten mit einem Abschlag gegenüber denen der Fertigungsländer gehandelt.

Die Schuldnerländer waren wiederum anfälliger gegenüber Schwankungen der US-Zinsen und des US-Dollars. Diese Anfälligkeit hat sich in der Underperformance der Aktienmärkte dieser Länder im Vergleich zu denen der Gläubigerländer der Schwellenländer manifestiert, insbesondere seit dem «Taper Tantrum» von 2013, als die US-Notenbank warnte, sie werde ihr Anleihenkaufprogramm zurückfahren.

Schliesslich gibt es noch die offenen und geschlossenen Volkswirtschaften. Geschlossene Volkswirtschaften - China ausgenommen - hatten während des Rohstoffbooms von 2001 bis Ende 2007 eine bessere Perfomance als die offenen Volkswirtschaften. Seitdem schnitten diese aber deutlich schlechter ab. 

Ein neuer Zyklus in China?

Immer mehr Anzeichen deuten gemäss Pictet nun darauf hin, die Aktien der Schwellenländer könnten im Vergleich zu den Industrieländern einen neuen Aufschwung erleben. Wenn die Geschichte ein Anhaltspunkt ist, könnte China im nächsten Jahrzehnt gegenüber dem Rest der Schwellenländer übergewichtet werden. Dies gilt ebenso für Rohstoffländern, Schuldnerländer und die offenen Volkswirtschaften, welche ebenfalls stärker gewichten werden sollten.

Der chinesische Markt hat aus verschiedenen Gründen das Potenzial, die anderen Schwellenländer zu übertreffen. Erstens greift die Regierung in Peking in bestimmten Sektoren weniger stark ein. Der Immobilienmarkt scheint zweitens seinen Tiefpunkt erreicht zu haben, und der Immobiliensektor wird weniger dominant. Er wird 2023 noch 8,6 Prozent des BIP ausmachen, nachdem er 2014 mit 15 Prozent seinen Höchststand erreicht hatte, so Berechnungen von Pictet. Und drittens wurden die Unternehmen ermutigt, sich stärker für den Aktionärswert zu konzentrieren, was in der Tendenz die Verwässerung bestehender Aktionäre bremsen sollte.

Schwächerer Dollar hilft Emerging Markets

Gleichzeitig dürfte die lange Phase der Überbewertung des Dollars enden, sobald die US-Notenbank beginnt, die Zinsen zu senken. Da es eine inverse Korrelation zwischen der Entwicklung des Dollars und der Entwicklung von Schwellenmarktaktien gibt, wäre dies ein positives Signal vor allem für die offeneren Schwellenländer wie Indien, Indonesien, Chile, Peru oder Brasilien.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe langfristiger Faktoren, die EM-Aktien wahrscheinlich unterstützen. Zum einen sind die EM-Aktienmärkte im Vergleich zu denen der Industrieländer stark unterbewertet. Diese Attraktivität der EM-Länder sollte eine Neubewertung auslösen. Gleichzeitig wird die globale Energiewende weg von fossilen Brennstoffen nicht nur den EM-Produzenten notwendiger Rohstoffe wie Mineralien für Photovoltaikzellen zugutekommen, sondern auch Ländern, die näher am Äquator liegen und daher eine höhere Sonnenintensität haben, folgern die Pictet-Experten.

Die langen Zyklen verlangen von den Anlegerinnen und Anleger einen langen Atem, zumal der Zeitpunkt der Zinswende in den USA im Moment noch unklar ist. Ein Anlagezeithorizont von mehr zehn Jahren scheint deshalb angebracht. Eine genauere Länderanalyse drängt sich ebenfalls auf, damit das Investment der Risikotoleranz angemessen ist.   

Thomas Daniel Marti
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