Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Leitzinsen erneut gesenkt. Der am Finanzmarkt massgebliche Einlagesatz wurde am Donnerstag von 2,50 auf 2,25 Prozent nach unten gesetzt. Ökonomen sagten in ersten Reaktionen:

Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank:

«Ich kritisiere die EZB häufig. Aber die heutige Zinssenkung kann ich nachvollziehen. Trumps Zollschock hat die Konjunkturrisiken deutlich erhöht. Ausserdem dürften chinesische Unternehmen einen Teil der Waren, die sie nicht mehr in den USA verkaufen können, hierzulande absetzen. Das höhere Angebot spricht zusammen mit den gefallenen Ölpreisen für einen nachlassenden Inflationsdruck.»

Cyrus de la Rubia, Chefökonom Hamburg Commercial Bank:

«Der Zinsschritt war jetzt nicht überraschend, aber vor einigen Wochen war es noch gar nicht so klar, ob die Währungshüter dieses Mal nicht lieber eine Zinspause bevorzugt hätten. Durch die quasi prohibitiven US-Zölle auf eine breite Palette von Gütern gegenüber China gibt es aber kaum Zweifel daran, dass der Zolleffekt für die Euro-Zone auf die Inflation negativ ausfällt, da China mehr Güter in der Euro-Zone anbieten dürfte. Dazu kommt auch die starke Aufwertung des Euro, der ebenfalls disinflationär wirkt. In diesem Umfeld dürfte es auch Falken wie etwa Isabell Schnabel und Joachim Nagel leichter gefallen sein, einer Lockerung der Zügel zuzustimmen.»

Michael Heise; Chefökonom HQ Trust:

«Die erneute Leitzinssenkung ist eine angemessene Reaktion der Geldpolitik auf die grossen Konjunkturrisiken und den absehbaren Inflationsrückgang im Euroraum. Die Handelspolitik der USA beeinträchtigt den Welthandel und das globale Wirtschaftswachstum und trifft damit auch den Euroraum. Neben den aussenwirtschaftlichen Belastungen schlägt das hohe Mass an Verunsicherung bei Unternehmen und Konsumenten zu Buche, das die Binnenkräfte schwächen dürfte.

Es sind daher wohl weitere Zinssenkungen der EZB zu erwarten. Wie viele ist angesichts der hohen Unsicherheit in der Handelspolitik kaum zu sagen. Die Situation könnte sich für die EZB allenfalls dadurch ändern, dass der Zollstreit nach Ablauf der von den USA gesetzten Fristen weiter besteht und die EU Gegenzölle auf US-Importe erhebt, die im Euroraum preistreibend wirken.»

Dean Turner, Chefökonom Eurozone der UBS:

«Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte den Leitzins wie allgemein erwartet um 25 Basispunkte und kündigte an, dass sie ihre geldpolitischen Entscheidungen weiterhin von Sitzung zu Sitzung treffen wird. Die Entscheidungsträger versuchen, ein Gleichgewicht zwischen gemäßigten Impulsen – wie Sorgen um Wachstum, Inflation und anhaltende Handelskonflikte – und aggressiveren Entwicklungen, insbesondere in der Fiskalpolitik, insbesondere aus Deutschland, zu finden. Wichtig ist, dass sich die EZB Optionen hinsichtlich der zukünftigen Zinsentwicklung offen hält. Wir erwarten eine weitere Zinssenkung im Juni und die Möglichkeit einer weiteren Lockerung im weiteren Jahresverlauf, abhängig vom Verlauf der Handelsverhandlungen.

Der Euro hat in diesem Jahr gegenüber dem US-Dollar stark zugelegt, da Anleger den Status des Dollars als sicherer Hafen zunehmend in Frage stellen. Während Handelssorgen derzeit die Marktbewegungen bestimmen, dürfte sich die Aufmerksamkeit wieder auf die Zentralbanken richten, da die Federal Reserve und andere zusammenkommen, um ihre Politik festzulegen. Wir erwarten, dass die meisten Zentralbanken in der zweiten Jahreshälfte eine gemäßigtere Haltung einnehmen werden, da Handelsspannungen weiterhin das globale Wachstum und, außerhalb der USA, die Inflation belasten. Dennoch dürfte sich unserer Ansicht nach die Nachrichtenlage zu Zöllen von nun an schrittweise verbessern, was den US-Dollar etwas entlasten und ein weiteres Aufwärtspotenzial der Gemeinschaftswährung vom aktuellen Niveau aus voraussichtlich begrenzen wird. Wir erwarten, dass das EUR/USD-Paar für den Rest des Jahres im Bereich von 1,10 bis 1,15 gehandelt wird.»

Die Berner Kantonalbank schreibt: 

«Wie erwartet senkt die Europäische Zentralbank die Referenzzinsen um 0,25 Prozent auf neu 2,25 Prozent zum siebten Mal in Folge, wobei noch mindestens zwei weitere Zinssenkungen bis zum Jahresende erwartet werden. Die Schweizerische Nationalbank wird wohl erst am 19. Juni die Zinsen anpassen. Der Schweizer Franken bleibt die 1. Wahl und wird zum Euro seitwärts bis marginal stärker Richtung 0.9150 tendieren.»

(Reuters)