Die Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire) fuhr zwar laut Demoskopen bei der Stichwahl am Sonntag den Sieg ein, verfehlte eine absolute Mehrheit aber deutlich. Die Linke und das Mitte-Lager hatten Absprachen getroffen, um nach dem Rechtsruck in der ersten Runde einen Durchmarsch des Rassemblement National (RN) zu verhindern. Ohne eine absolute Mehrheit eines Lagers im Parlament gilt eine Regierungsbildung als schwierig, auch weil Koalitionen in Frankreich weitgehend unbekannt sind. Volkswirte sagten dazu in ersten Kommentaren:

Krishna Guha, Stratege bei Evercore ISI:

«Die Unterstützung für die Linke/extreme Linke und die Forderung des linksradikalen Parteivorsitzenden Melenchon, die gesamte Agenda der linksradikalen NFP durchzusetzen, wird einige Anleger verunsichern. Wir sehen das Ergebnis jedoch als weitgehend marktfreundlich an, da die Risiken im Zusammenhang mit der RN vorerst verschwunden sind und die linke/linksextreme NFP weit hinter einer Mehrheit zurückbleibt und im Grunde keine Aussicht hat, ihre vereinbarte Bündnisagenda durchzusetzen.»

Emmanuel Cau, Leiter der europäischen Aktienstrategie bei Barclays:

«Die Wahlergebnisse bringen mehr Fragen als Antworten. Ein Parlament ohne Mehrheit wurde zwar weithin erwartet. Anhaltende Unsicherheit und politischer Stillstand dürfte an den Märkten jedoch für Bedenken sorgen, ebenso wie eine lockerere Finanzpolitik angesichts der höheren Ergebnisse der Linken. Macrons Partei hat indessen besser abgeschnitten als in den Umfragen erwartet. Kann er eine breite Koalition bilden, sollte dies von den Märkten positiv gesehen werden. Noch ist der Ausgang völlig offen.»

James Rossiter, Leiter der Global Macro Strategy bei TD Securities:

«Ein linkgerichtetes Parlament ohne Mehrheit dürfte den Spread zwischen OAT und Bund bei der Eröffnung auf über 80 Basispunkte ansteigen lassen. Letztlich könnte er sich bei einer Regierung in der Schwebe aber wieder um die 70 Basispunkte einpendeln.” Indessen dürften “die Risiken einer steigenden Verschuldung dem Euro in den kommenden Monaten keinen Gefallen tun.»

Vincent Juvyns,  Marktstratege bei JPMorgan Asset Management:

«Die Europäische Kommission und die Rating-Agenturen erwarten Kürzungen in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro, doch die Regierung wird es mit einer Partei zu tun haben, die die Ausgaben um 120 Milliarden erhöhen will. An den Märkten könnte dies in den kommenden Wochen zu Spannungen führen. Die Märkte könnten einen höheren Spread verlangen, solange die neue Regierung ihre Haushaltsposition nicht geklärt hat.»

Marc Ringel, Direktor deutsch-französisches Institut:

«Mit dem wahrscheinlichen Zusammenschluss von Abgeordneten der Nouveau Front Populaire und Macrons Renaissance hat Macron letztlich in einer ersten Runde sein Pokerspiel noch gerettet. Allerdings geht er deutlich geschwächt aus dieser Situation hervor. Der Rassemblement National hat nun ein gutes Argument, dass der Wille eines grossen Teils der Bevölkerung nicht gehört ist und wird diese Karte für die im Jahr 2027 anstehenden Präsidentschaftswahlen ausspielen. Deutschland kann allerdings aufatmen – Frankreich wird in der EU ein stabiler und verlässlicher Partner bleiben.»

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank:

«Frankreich steckt in einer politisch verfahrenen Situation. Eine Regierungsbildung dürfte sich als äusserst schwierig erweisen. Für die EU wäre eine Regierung unter Jean-Luc Mélenchon ein Schreckgespenst. Der bekennende EU-Gegner, Gründer der linkspopulistischen Partei La France insoumise und Spitzenkandidat des Linksbündnisses würde das Regelwerk der Union wie etwa den Stabilitäts- und Wachstumspakt wohl konsequent ignorieren. Frankreich als zweitgrösste Volkswirtschaft der EU würde zu einem destabilisierenden Faktor werden.

Ohnehin ist der französische Staatshaushalt mit einem Defizit von über fünf Prozent schon jetzt nicht EU-konform. Statt der dringend notwendigen Konsolidierung des defizitären Haushalts droht sogar eine weitere Ausdehnung der Negativlücke, insbesondere dann, wenn die umstrittene Rentenreform von Emmanuel Macron wieder zurückgenommen würde. (...) Französische Staatstitel dürften weiter mit Risikoaufschlägen gegenüber deutschen Bundesanleihen handeln. Deutliche Kursgewinne des Euro gegenüber dem Dollar dürften vorläufig ausbleiben.»

Holger Schmiding, Chefökonom Berenberg Bank:

«Das in den Projektionen ersichtliche Ergebnis ist eine grosse Erleichterung für Europa, da die europaskeptische extreme Rechte offenbar weit weniger gut abgeschnitten hat als erwartet. Das linke Bündnis ist zwar stark, aber nicht annähernd an einer Mehrheit dran, und Marine Le Pen liegt weit zurück und ist damit weit von einer Mehrheit entfernt. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach weniger schlecht, als es hätte sein können. Es hätte viel schlimmer sein können. Mit Blick auf die Märkte wurden im Grunde Extremrisiken vermieden. Und obwohl die Linke unerschwingliche Ausgabenpläne hat, wird sie Verbündete brauchen und nur einen Teil ihrer Versprechen umsetzen können.» 

Stephane Deo, Portfoliomanager bei Eleva Capital:

«Praktisch alle Meinungsforscher gaben diesem Ergebnis eine Wahrscheinlichkeit von null. Niemand hat erwartet, dass die NFP so stark sein würde. Mit einem Drittel der Sitze wird es für die meisten ihrer Vorschläge jedoch extrem schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, sie durchzusetzen. Obgleich die Märkte zunächst von diesen Ergebnissen beunruhigt sind, denke ich, dass ihnen das Szenario eines Parlaments ohne Mehrheit gefallen könnte.»

Diego Fernandez, Chief Investment Officer bei A&G Banco:

«Wie vom Markt letzte Woche eingepreist, verschwindet das Risiko einer Mehrheit für Le Pen. Nun beginnt eine Zeit der Ungewissheit. Die Schwierigkeiten der Linken, trotz des Wahlsiegs einen Premierminister zu stellen, bedeuten jedoch, dass nicht hilfreiche populistische Massnahmen nicht durchkommen werden. Gut für Europa.»

(Reuters)