cash.ch: Die Berichtssaison in der Schweiz ist fast abgeschlossen. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse?

Eleanor Taylor Jolidon: Während das zweite Quartal überraschend gut verlief, zeigte sich im dritten Quartal eine deutliche Verlangsamung. Die Ergebnisse waren gemischt: Verbesserungen gab es insbesondere bei manchen Baumaterialunternehmen, während andere wie zum Beispiel Nestlé enttäuschten. Positiv ist, dass die Erwartungen für das Gesamtjahr grösstenteils stabil blieben, in einigen Fällen wurden sie sogar nach oben korrigiert. Insgesamt markierte das dritte Quartal wohl den Tiefpunkt des Jahres, ohne jedoch die Aussichten für das Jahresende oder 2024 stark zu verändern. Wir erwarten eine Wachstumsbeschleunigung im nächsten Jahr.

Sie haben Nestlé kurz erwähnt…

Nestlé ist grundsätzlich ein hervorragendes Unternehmen mit über 200'000 Mitarbeitern weltweit und einem beeindruckenden 'Track Record'. In jüngster Vergangenheit ist es jedoch nicht wie geplant gelaufen.

Was können Sie zur Unternehmenskultur sagen?

Es scheint, dass die Unternehmenskultur in den letzten Jahren etwas ins Wanken geraten ist, da der Fokus auf Bereichen lag, die nicht zum Kerngeschäft von Nestlé gehören.

Sie meinen das Abenteuer mit der Sparte Health Science?

Genau. Aus Sicht der Führungspersonen ist es nachvollziehbar, warum sie diesen Weg eingeschlagen haben. Ob es jedoch die beste Entscheidung war, bleibt fraglich. Dennoch hat der Konzern mit dem neuen Management den richtigen Kurs eingeschlagen und sich wieder stärker auf das Kerngeschäft der Nahrungsmittel konzentriert. Bei einem so grossen und stabilen Unternehmen dauert es allerdings eine Weile, bis es wieder an Fahrt aufnimmt. Das hat man auch bei anderen grossen Unternehmen in der Lebensmittelbranche gesehen. 

Sie haben angesprochen, dass ein zyklischer Moment im nächsten Jahr auf uns zukommen könnte. Bedeutet das, dass Industrieunternehmen interessant werden?

Ich denke, sie bleiben interessant. Dieses Jahr lag die globale Aufmerksamkeit vor allem auf einer kleinen Gruppe von US-Unternehmen und deren Zukunftspotenzial. Dennoch haben viele andere Firmen stetige und interessante Gewinne erzielt, weil sie kontinuierlich gut arbeiten. Dies wurde vom Markt aber nicht in allen Fällen entsprechend belohnt, was sich im nächsten Jahr ändern könnte. Zahlreiche Industriefirmen konnten ihre Leistungen steigern, da ihre Kunden nach besserer Effizienz und Produktivität streben. Besonders in der Schweiz gibt es Unternehmen, die hervorragende Lösungen bieten. Ob grosse oder kleine Unternehmen, sie liefern Innovationen, die den Kunden helfen, effizienter zu sein und Ressourcen besser zu nutzen.

Denken Sie, dass die Chancen bei den sogenannten 'Magnificent Seven', also bei den grossen US-Tech-Aktien, ausgeschöpft sind und der Fokus sich verschiebt?

In  2025 wird sich der Fokus erweitern. Firmen, die echte Lösungen bieten, können weiterhin ihre Gewinne steigern und Interesse am Markt wecken.

Könnten Sie Ihre Anlagestrategie angesichts der konjunkturellen und geopolitischen Lage zusammenfassen?

Für uns sind Aktien keine rein finanziellen Instrumente, sondern Repräsentationen von Firmen. Um erfolgreich zu investieren, müssen wir die Firmen gründlich verstehen und sicherstellen, dass sie in der Lage sind, echten Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen – Zulieferer, Kunden und Mitarbeiter. Solche Firmen können auch in unsicheren Zeiten Wert schaffen, selbst bei höherer Inflation und Zinsen. Investoren werden nach Aktien suchen, die weniger stark von hoher Inflation und hohen Zinsen betroffen sind. Diese wertschöpfenden Aktien bieten langfristig eine solide Kapitalrendite.

Sie gehen von höherer Inflation und höheren Zinsen aus?

Korrekt. Die Inflation könnte sich als hartnäckiger erweisen, weshalb die Zinsen vielleicht nicht ganz so schnell gesenkt werden können wie es gegenwärtig erwartet wird. 

Das dürfte sich unvorteilhaft auf die Dividenden-Aktien auswirken.

Wir kaufen Aktien von Unternehmen, bei denen wir ein Potenzial für Wertsteigerung aufgrund deren Geschäftstätigkeit sehen, die Dividendenrendite spielt da weniger eine Rolle. 

Also sind Sie generell kein Fan einer Dividenden-Strategie?

Ich fokussiere auf Kapitalrenditen und bevorzuge Unternehmen mit klaren Wachstums- und Effizienzplänen, die ihre Gewinne ins Unternehmen reinvestieren. Wenn Firmen einen grossen Teil ihres Gewinns als Dividende ausschütten, kann dies auch als Zeichen gewertet werden, dass ihre Wachstumsmöglichkeiten beschränkt sind, weshalb sie für mich weniger interessant sind. Oft sind es deshalb Unternehmen in stagnierenden Branchen, die hohe Dividenden auszahlen.

Strukturell stagnierende Bereiche meiden Sie?

Firmen, die zwar Gewinne erzielen, aber kein Wachstumspotenzial haben, interessieren uns weniger. Wir bevorzugen langfristige Wertschöpfung und Firmen, die in Forschung und Entwicklung sowie in ihre Expansion investieren, statt hoher Dividenden auszuschütten.

Sollte man angesichts der hohen Inflation selektiv investieren?

Selektives Investieren ist wichtig in diesem Marktumfeld, da einige Unternehmen weiterhin unter steigenden Inputkosten und Löhnen leiden könnten, und daher vielleicht weniger gut abschneiden werden.

Der Ostschweizer Halbleiterzulieferer VAT hat einen starken 'Burggraben' dank Marktbeherrschung und technologischem Vorsprung. Legen Sie Wert auf solche dominanten Unternehmen?

Ja, solche Dominanz ist wichtig, da sie Preissetzungsmacht verleiht. Besonders in der Schweiz mit den hohen Lohnkosten müssen Unternehmen in Forschung und Entwicklung investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Viele Schweizer Unternehmen sind weltweit führend in ihrem Bereich. Dies ist der starken Bildung und Forschung an Institutionen wie der ETH und EPFL sowie der Zuwanderung hochqualifizierter Talente zu verdanken. Unsere geografische Lage erleichtert die Interaktion mit den USA und Asien, und unsere bescheidene Grösse zwingt uns, global zu denken.

Lohnt es sich, in Schweizer Aktien zu investieren?

Der Schweizer Aktienmarkt hat sich langfristig im Vergleich zum MSCI World Index sehr gut entwickelt. Dies liegt an der Qualität der Schweizer Unternehmen, nicht an der Währung. Der japanische Markt hat trotz sehr guter Universitäten und grosser Ambitionen mit schwächelnden Kapitalrenditen zu kämpfen. Viele Schweizer Firmen zeichnen sich durch ihre Ausrichtung auf Schlüsseltechnologien aus. Zudem profitieren sie vom liberalen Wirtschaftsverständnis, das zwischen Regierung, Bevölkerung und Unternehmen gut harmoniert. Dies führt zu hoher Wertschöpfung und globaler Geschäftstätigkeit.

Wie sollte man den Unsicherheitsfaktor Trump in den Investmententscheid einbeziehen?

Man sollte Firmen auswählen, die von einer lockeren Fiskalpolitik in den USA profitieren könnten. Trump will investieren, daher sind Unternehmen mit Aktivitäten in den USA interessant. Steht ein Unternehmen jedoch im direkten Wettbewerb mit amerikanischen Produkten, könnte es Probleme geben.

Wie beurteilen Sie die Ausgangslage für die Gesundheitsbranche? Der designierte US-Gesundheitsminister ist ein Impfskeptiker.

Dieser Umstand könnte sich vor allem auf Impfstoffhersteller auswirken. Trotz politischer Kontroversen wollen die Menschen weiterhin gesund bleiben, unabhängig von Washingtons Haltung. Ein potenzielles Problem sehen wir darin, dass qualifizierte Personen bei den Behörden für Krankheitsprävention oder der mit der Medikamentenaufsicht beauftragten FDA aufgrund von politischem Druck ihre Jobs aufgeben.

Politische Börsen haben kurze Beine, lautet eine bekannte Börsenweisheit. Auch hier?

Der zukünftige Präsident hat in seiner ersten Amtsperiode stark auf die Börsenentwicklung geachtet, und es ist wahrscheinlich, dass dies auch künftig der Fall sein wird. Wenn eine Entscheidung die Börse negativ beeinflusst, wird sie wahrscheinlich korrigiert. Der 'Liz-Truss-Moment' zeigt, dass die Börse mächtigen Einfluss hat. Wenn eine Entscheidung als zu gewagt betrachtet wird, wird sie von der Börse zurückgewiesen.

Welches sind Ihre Erkenntnisse für eine nachhaltige Anlagestrategie?

Im Swiss & Global Equity Team der UBP wenden wir die folgenden drei Prinzipien erfolgreich an für unsere globalen und Schweizer Aktienstrategien. Ersten: Analyse des Unternehmens und seiner Investitionsstrategie. Es wird Zeit darauf verwendet, das Management und seine Prioritäten zu verstehen. Der Fokus liegt dabei auf langfristigen Investitionen und auf der Entwicklung des Cashflow Return on Investment (CFROI – UBS HOLT, zu Deutsch in etwa die Geldflussrendite auf das eingesetzte Kapital, Red.) anstatt sich nur auf Quartalsergebnisse zu konzentrieren. Zweitens: Wir investieren wie das Management eines Unternehmens. Wir untersuchen also das Wertschöpfungspotenzial und die Wettbewerbsstellung der Unternehmen und wie diese in verschiedenen Marktumfeldern verteidigt werden können. Und drittens: Wir berücksichtigen alle Stakeholder. Investitionen werden so getätigt, dass - einfach ausgedrückt - jeder ausgegebene Franken mehr als einen Franken an Wert zurückbringt.

Eleanor Taylor Jolidon ist seit 2008 beim Genfer Vermögensverwalter Union Bancaire Privée (UBP) tätig und ist Co-Leiterin des Swiss & Global Equity Teams. Sie ist die leitende Portfoliomanagerin für Schweizer Aktienportfolios und arbeitet aktiv an allen Schweizer und globalen Portfolios. Sie begann ihre Karriere 1993 bei der Banque Indosuez, später arbeitete sie als Unternehmensberaterin für Finanzdienstleistungen bei PriceWaterhouseCoopers Schweiz, bevor sie zur Bank Sal. Oppenheim in Zürich im institutionellen Vertrieb und in der Schweizer Aktienanalyse tätig war. Vor ihrer Tätigkeit bei der UBP war sie zudem vier Jahre bei Independent Asset Management (IAM) in Genf als Aktienanalystin im Aktienportfolio-Management-Team tätig.

 

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