Seit der Veröffentlichung der Unternehmensergebnisse des ersten Quartals explodiert der Aktienkurs von Nvidia förmlich. In nur drei Tagen legten die Valoren um 21 Prozent zu und das, obwohl sie bereits über 300 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten zugelegt hatten.

Dabei erreichen sie das fast Unmögliche: Der Aktienkurs bewegt sich in diesen drei Tagen komplett ausserhalb der Norm gemessen an den sogenannten Bollinger-Bändern. Das kommt äusserst selten vor, und die meisten Aktien weisen ein solches Verhalten nie auf.

Kursverlauf inkl. Bollinger-Bänder und Volumen der Nvidia-Aktien seit Jahresbeginn

Kursverlauf inklusive Bollinger-Bänder und Volumen der Nvidia-Aktien seit Jahresbeginn.

Quelle: Tradingview

Die Bollinger-Bänder sind eine statistische Analysemethode, um die Bewegung von Aktienkursen einzuordnen. Dabei werden die Aktienkurse und deren Volatilität im Zeitverlauf analysiert. Grundsätzlich finden 90 bis 98 Prozent der Kursbewegungen - je nach Einstellungen der Bollinger-Bänder - innerhalb des oberen und unteren Bandes statt. Ausreisser werden meist von Algorithmen und Hochfrequenzhandel unmittelbar korrigiert.

Ein technischer Teufelszyklus

Doch wie kam es zu dieser Situation? Zurückzuführen ist diese Verhaltensweise auf den Optionenhandel mit Nvidia-Papieren und die fast restlos positiven Analystenmeinungen inklusive der kontinuierlich steigenden Kursziele.

So schrieb nach der Publikation der Quartalsergebnisse ein Tech-Analyst: «Die Nvidia-Aktie bietet 258 Prozent zusätzliches Aufwärtspotenzial.» Aufgrund eines 'undurchdringlichen' MOAT (Burggraben oder: Wettbewerbsvorteile) werde das Unternehmen bis 2030 auf eine Bewertung von 10 Billionen Dollar ansteigen. Aktuell bringt Nvidia etwa 2,8 Billionen Dollar Marktkapitalisierung auf die Waage. Ein anderer Analyst meinte, «dass die traditionellen Bewertungsmodelle bei Nvidia nicht mehr funktionieren.»

Zu diesen Kommentare kam ein sich hoch schaukelnder Optionenhandel hinzu. Dabei spielte ein sogenannter «Gamma-Squeeze» eine bedeutende Rolle, wie Bloomberg am Mittwoch berichtete. Durch den starken Kursanstieg als Antwort auf die überraschend guten Ergebnisse sind plötzlich Tausende von nahezu wertlosen Call-Kontrakten (damit wetten Anleger auf steigende Kurse), die Ende dieser Woche auslaufen, in ihrem Wert um 1000 Prozent oder mehr angestiegen.

Marktmacher wie Banken oder Brokers, die den Optionenhandel an den Börsen bereitstellen und in dieser Funktion Optionen an die Investoren verkaufen, können sich bei einem «Gamma-Squeeze» nur in einer Weise schützen: Bei steigenden Aktienkursen müssen Call-Optionen oder Aktien dazugekauft werden.

Je stärker der Kurs steigt, desto mehr Call-Optionen oder Aktien müssen die Marktmacher kaufen. Mit diesem Verhalten heizen sie diesen Zyklus zusätzlich an. 

Parallelen zur Krypto-Blase mit deutlich grösseren Folgen

Es sind nun erste Parallelen zur Kryptowährungen-Blase von 2022 zu erkennen. Nobel-Preisträger Paul Romer warnte bereits, dass «viel zu viel Zuversicht in der zukünftigen Entwicklung der Künstlichen Intelligenz herrscht». Es sei gefährlich, das derzeitige Tempo des KI-Sektors in alle Ewigkeit zu extrapolieren.

Obwohl Nvidias Marktkapitalisierung von 2,8 Billionen Dollar nur knapp die der Kryptowährungen von 2,7 Billionen Dollar übersteigt, ist Nvidia für die globalen Finanzmärkte deutlich wichtiger. Nvidia macht mit der dritthöchsten Gewichtung knapp 6 Prozent des S&P 500 aus. Im Nasdaq 100 spielt der Halbleiterhersteller-Konzern mit mehr als 7 Prozent sogar noch eine wichtigere Rolle.

Mit dieser Marktstellung und regelmässig hohen Kursschwankungen vermögen die Nvidia-Valoren die US-Börsen mit einer Grösse von gesamthaft 80 Billionen Dollar zu beeinflussen. Bei Kursavancen der Nvidia-Valoren kann dies einen positiven Effekt und bei einem Kurszerfall einen negativen Effekt auf die US-Märkte ausüben. Dies hat im Unterschied zu den Kryptowährungen entsprechend einen Effekt auf den ganzen amerikanischen Börsenhandel.

Wie lange diese aussergewöhnliche Kursbewegung von Nvidia anhalten kann, bleibt abzuwarten. Traditionell spielen aufgrund des Zusammenspiels zwischen Optionen und Aktien aber die Verfallsdaten der Optionskontrakte eine wichtige Rolle. 

Anleger warten deshalb gespannt auf den wöchentlichen Verfall am Freitag und den noch wichtigeren monatlichen Verfall am 21. Juni. Überdurchschnittliche Aktienkursschwankungen an den Verfallstagen und den Tagen zuvor sind keine Seltenheit. Auch könnte es zu einem Bruch kommen. Doch für eine richtige Trendumkehr braucht es meist nur eines: Eine Änderung der Investorenstimmung. Und die kommt, wie im Fall der Kryptowährungen, meist unerwartet.