cash.ch:  Daniel Koller, Sie sind Leiter des Investment Management Teams bei der Beteiligungsgesellschaft BB Biotech. Der Nasdaq Biotech Index hat seit Anfang Jahr 'nur' 14 Prozent verloren. Warum performen die Biotechnologietitel relativ gut im Vergleich zum Gesamtmarkt?

Daniel Koller: Der Nasdaq Biotech Index muss ähnlich betrachtet werden wie etwa ein Swiss Market Index. Zwei bis drei grosskapitalisierte Unternehmen stehen klar im Plus und dominieren den Index. Dies sind zum Beispiel Gilead, Regeneron Pharmaceuticals und Vertex. Die Aktien der kleinen und mittleren Unternehmen stehen hingegen eher im Bereich von 20 bis 30, ja teilweise sogar bis 60 oder 70 Prozent im Minus. In vielen Fällen geschah dies nur deshalb, weil Positionen liquidiert werden.

Unternehmen wie Regeneron oder Gilead sind in der Bekämpfung des Coronavirus involviert...

Im Moment ist Regeneron Pharmaceuticals der Gewinner mit über 30 Prozent Zunahme seit Jahresbeginn. Regeneron profitiert wie Gilead und andere Biotechnologieunternehmen davon, dass Medikamente zur Covid-19 Behandlung diskutiert und eingepreist werden. Vertex wiederum steht solide da. Der Markt ist überzeugt, dass trotz der Notmassnahmen und Lockdowns in gewissen Medikamentenbereichen keine Einbussen kommen werden, da die Patienten auf die lebensnotwendigen Medikamente nicht verzichten können.

Welchen Einfluss hat Covid-19 auf die Bewertung der Aktien im Biotechnologiesektor?

Ob all die angekündigten Medikamente und Impfungen gegen Covid-19 gelingen, wissen wir noch nicht. Es wird aber sicher eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit an den Börsen eingepreist. Alle Aktien von Unternehmen, die ein Projekt am Start haben und dies propagieren, gewinnen im ersten Schritt. Bei kleinen Unternehmen kann der Kurs in einer Woche schnell einmal 100 Prozent oder mehr zulegen, danach aber auch schnell wieder an Boden verlieren.

Wie berechtigt sind Hoffungen auf Behandlungen? 

Ob die Medikamente oder Impfungen Realität werden, ist eine andere Geschichte. Häufig sind es sehr frühe Projekte. Die klinischen Studien dazu beginnen in den nächsten Monaten und Quartalen, vielleicht auch  erst im nächsten Jahr. Ob ein Erfolg eintritt, wissen wir nicht. Und ob die Firmen Kapazitäten für die Produktion haben, ist ebenfalls offen.

Welche Unternehmen haben aus Ihrer Sicht die aussichtsreichsten Mittel gegen Covid-19 in der Planung?

Es sind mehrere Medikamente am Start. Es gibt die Anti-Malaria-Medikamente wie beispielsweise von Novartis, welche momentan im "off-label"-Modus eingesetzt werden. Gilead ist mit Remdesivir sicher mit einem direkten antiviralen Mittel am weitesten. Dort sind Zulassungsstudien am Laufen. Und Moderna hat mit seinem prophylaktischen Impfstoffkandidaten bei gesunden Menschen zu testen begonnen. Es ist das am weitesten fortgeschrittene Projekt bei den prophylaktischen Impfstoffen, möglicherweise auch das schnellste.

Wie steht es diesbezüglich um die anderen grossen Pharmaunternehmen?

Sanofi, GlaxoSmithKline, Johnson & Johnson haben zwar bekanntgegeben, dass sie an einem Impfstoff arbeiten. Doch wir wissen über die Zeitachse wenig und wir rechnen erst frühestens 2021 mit ersten klassischen rekombinanten Impfstoffen von diesen Anbietern.

Beurteilen Sie den Aktienkurs von Moderna im Moment als attraktiv?

Wir sind optimistisch bezüglich des Moderna-Impfstoffes, da Moderna ihre Technologie bereits bei anderen Impfstoffe getestet und bewiesen hat. Wir wissen also, dass die Technologie funktioniert. Moderna ist seit 2018 in unserem Portfolio, weil wir von der Attraktivität der Unternehmung überzeugt sind. Unsere Bewertung von Moderna gründet aber auf anderen Projekten. Die Covid-19-Impfung wäre eine grossartige Sache und würde dem Unternehmen sicherlich helfen. Dies bildet für uns aber nicht die Investitionsgrundlage.

Handelt die Branche in der Coronakrise primär aus medizinischem Antrieb oder dominieren ökonomische Beweggründe?

Man muss eines beachten: Novartis hat schon kommuniziert, dass man grosse Mengen des Malaria-Medikamentes spenden will. Ich glaube auch, dass bei einigen Unternehmen im Bereich der diagnostischen Tests eine ähnliche Haltung eingenommen wird und der medizinische Einsatz klar höher gewichtet wird als mögliche Gewinne. Es wird daher sicherlich auf die Maximierung von Durchsatz und Volumen hingearbeitet und weniger auf ökonomische Anreize.

Gibt es andere Beispiele?

Ein anderes Beispiel ist Johnson & Johnson: Das Unternehmen will 1 Milliarde Dollar in die Entwicklung eines Impfstoffes investieren, diesen dann aber kostendeckend, das heisst ohne Gewinn vertreiben. Dieses Verhalten sehen wir auch als Chance für die Branche, ihr Image in der Öffentlichkeit zu verbessern.

Die Aktie von Relief Therapeutics ist wegen des Medikaments Aviptadil, das in einer klinischen Studie im Kampf gegen das Coronavirus getestet werden darf, in diesem Jahr an der Schweizer Börse über 1000 Prozent gestiegen. Sind die Hoffnungen der Anleger berechtigt?

Ich kenne die Firma nicht im Detail. Wie zuvor erwähnt handelt es sich um ein Beispiel, dass eine Aussage zu einem Entwicklungskandidaten Börsenkurse teilweise explodieren lässt. Wir heben aber den Warnfinger und raten, die Medienmitteilungen aller Unternehmen sehr vorsichtig zu studieren und zu fragen: Wo steht das Unternehmen mit ihrem Projekt? Wie schnell kann das Unternehmen vorwärts schreiten? Hat das Unternehmen die finanziellen Möglichkeiten, den Impfstoff oder das Medikament zu entwickeln? Hat das Unternehmen die Kapazität für die Herstellung?

Wie viele Unternehmen werden erfolgreich sein?

Wir gehen davon aus, dass nur wenige Unternehmen erfolgreich sein werden. Und: Pandemische Impfungen sind keine nachhaltigen Investitionen, sondern teilweise kurzfristige Trends, wie das Beispiel Tamiflu von Roche aufgezeigt hatte. Wir zweifeln daran, dass dies nachhaltige Geschäftsmodelle sind.

Welche Biotechnologietitel haben Sie, unabhängig von Covid-19, für 2020 auf dem Radar?

Betrachtet man die klinischen Studien, sind unter anderem folgende Biotechnologieunternehmen interessant: Exelixis, MyoKardia oder Ionis. Betrachtet man die potenziellen Zulassungen haben folgenden Unternehmen gute Voraussetzungen: Intercept, Halozyme als auch eine Incyte.

Wie ist momentan die Stimmung im Biotechnologiesektor?

Die Stimmung ist weiterhin zuversichtlich. Alle sind natürlich besorgt um ihre Angestellten, um ihre Patienten wie auch um das ganze Gesundheitssystem. Viele Unternehmen haben grosse Patientenzahlen, denen sie mit zugelassenen Medikamenten dienen. Die Unternehmen müssen also sicherstellen, dass sie diese Medikamente weiterhin produzieren können.

Wie steht es finanziell um die Branche? 

Ein wichtiger Faktor ist zunehmend auch die Bilanzierung. Wie sehen die Bilanzen der Unternehmen aus? Wenn das Unternehmen noch keinen Gewinn erzielt, besteht bei kleinen und mittleren Unternehmen die Sorge, ob die Finanzierung gesichert ist. Einer der Vorteile der Biotechnologiebranche liegt aber darin, dass kaum Schuldfinanzierung besteht, sondern die Unternehmen finanzieren sich klassisch über Aktienverkäufe. Die Branche ist daher in der Breite gut aufgestellt.

Wo sehen Sie die Gefahren für die Biotechnologiebranche wegen der Corona-Krise?

Wenn die Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus kurz- bis mittelfristig in Kraft bleiben, dann wird dies die Industrie sehr gut überstehen. Wenn es länger dauert, wird das eine oder andere der Geschäftsmodelle, die Möglichkeiten zur Durchführung von klinischen Studien als auch der Kapitalbedarf, Schwächen zeigen. Für diesen Fall machen mir andere Wirtschaftssektoren aber immer noch mehr Sorgen als die Biotechnologiebranche.

Wie steht es  um die Schweizer Biotechnologieunternehmen?

Zu den grösseren Unternehmen zählt eigentlich nur Idorsia. Die Firma braucht für Forschung und Entwicklung momentan noch viel Kapital, ist aber auch entsprechend gut kapitalisiert. Bei den kleineren Gesellschaften läuft es einmal mehr auf die Meilensteine hinaus: Wer hat gute klinische Daten oder steht vor einer Zulassung? Haben die Unternehmen die Möglichkeiten, sich entsprechend zu refinanzieren? Ansonsten wird es im Verlauf des zweiten Halbjahres kritischer. Wir sehen das gleiche Muster wie in den USA. Die grösseren Unternehmen sind für eine solche Situation stabiler aufgestellt, die kleineren mit meist grösseren Chancen haben mehr Risiken wie etwa geringere Finanzpolster.

Wer kommt besser aus der Krise heraus: Roche oder Novartis?

Beide sind sehr solide aufgestellt. Roche kann aufgrund seiner beiden Divisionen eine Zweifach-Rolle spielen: Einerseits im diagnostischen Bereich mit ihren Covid-19-Tests. Andererseits hat Roche mit Actemra ein Medikament, welches schon für andere Indikationen zugelassen ist und jetzt schon als eines der Mittel der letzten Massnahme in den Spitälern eingesetzt wird. Wenn es eine langfristige Krise gibt, werden sich auch Roche und Novartis Fragen zur Positionierung stellen.

Dr. Daniel Koller ist seit 2004 bei Bellevue Asset Management tätig und seit 2010 Head Investment Management Team der BB Biotech. 2001 bis 2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management und zuvor als Aktienanalyst bei UBS Warburg. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei Cytos Biotechnology, Zürich.

Die börsenkotierte BB Biotech beteiligt sich an Gesellschaften im Biotechnologie-Sektor. Der Fokus der Beteiligungen liegt auf börsennotierten Gesellschaften, die sich auf die Entwicklung und Vermarktung neuartiger Medikamente konzentrieren.

ManuelBoeck
Manuel BoeckMehr erfahren