Litauens Zentralbankchef Gediminas Simkus sprach sich für eine weitere Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte aus. "Meine Wahl wäre 75", sagte er am Donnerstag zu Bloomberg TV. "Ich verstehe, dass ein paar Optionen auf dem Tisch liegen, aber 50 ist das Minimum" fügte das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) hinzu. Der unerwartet kräftige Inflationsanstieg in Deutschland im September gab solchen Argumenten zusätzliche Nahrung.
Eine Zinsanhebung um einen vollen Prozentpunkt ist Simkus zufolge aber "definitiv zu viel". Zuvor hatten sich bereits Österreichs Notenbank-Chef Robert Holzmann und sein slowakischer EZB-Ratskollege Peter Kazimir für eine Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte stark gemacht.
Auch für Finnlands Notenbank-Gouverneur Olli Rehn sollte ein solcher Mega-Zinsschritt zumindest eine Option sein. Estlands Notenbankchef Madis Müller zufolge ist eine weitere erhebliche Zinserhöhung nötig, wie er zu Bloomberg TV sagte. "Betrachtet man das Inflationsniveau, wie wir es jetzt haben, und auch die Aussichten für die Zukunft, erfordert dies nach vorne gesehen eine weitere deutliche Erhöhung." Es sei aber zu früh zu sagen, wie stark das in Basispunkten sei.
Deutschland: 10 Prozent Inflation
Die neusten Inflationsdaten für Deutschland, die für September eine Teuerungsrate von 10,0 Prozent anzeigen, untermauern diese Position. Das war der stärkste Preisschub seit Anfang der 1950er Jahre. Im August hatte die Inflation in der grössten Volkswirtschaft der Euro-Zone noch bei 7,9 Prozent gelegen.
Die EZB hatte im Juli die Zinswende eingeleitet. Sie setzte dabei die Schlüsselsätze erstmals seit 2011 nach oben und zwar um 0,50 Prozentpunkte. Bei ihrem zweiten Zinsschritt im September legte sie mit einem ungewöhnlichen Riesenschritt von 0,75 Prozentpunkten nach. Der Leitzins liegt damit aktuell bei 1,25 Prozent und der sogenannte Einlagensatz, der aktuell der massgebliche Zinssatz an den Finanzmärkten ist, bei 0,75 Prozent. Die nächste Zinssitzung der EZB ist am 27. Oktober. Es gibt unter den Währungshütern aber auch zurückhaltende Stimmen: So warnte Portugals Notenbankchef Mario Centeno am Donnerstag bei einer Konferenz in Vilnius davor, die Zinsen zu schnell anzuheben, da sonst die Wirtschaft zu sehr belastet werde. Und Spaniens Zentralbank-Gouverneur Pablo Hernandez de Cos merkte auf einer Veranstaltung in Bilbao am Donnerstag an, Modelle zeigten, dass die Zinsen in Richtung 2,25 Prozent bis 2,50 Prozent angehoben werden sollten. Das wäre allerdings ein deutlich niedrigeres Niveau als derzeit am Finanzmarkt erwartet wird. Dort wird beim Einlagensatz mit einem Zinsanstieg auf 2,0 Prozent bis zum Jahresende gerechnet und mit einer weiteren Erhöhung im Frühjahr auf um die drei Prozent.
Verringerung der Bilanz noch strittig
Mit den Zinserhöhungen rückt nun auch allmählich die Frage eines Abbaus der durch die jahrelangen Anleihenkäufe aufgeblähten und inzwischen billionenschweren Notenbankbilanz in den Blick. Litauens Zentralbankchef Simkus zufolge sollte die EZB "sobald wie möglich" Diskussionen über eine Verringerung ihrer Bilanz beginnen. Eine solche Debatte bedeute aber nicht, dass dann sofort auch Schritte erfolgten, fügte er hinzu. Auch Estlands oberster Währungshüter Müller sprach sich dafür aus, die Diskussionen darüber relativ bald zu starten. Experten gehen davon aus, dass die EZB dann zunächst so vorgeht, dass sie manche der auslaufende Anleihen in ihrem Anleihenbestand nicht mehr ersetzt. In der Notenbank-Fachwelt wird die Reduzierung der Anleihenbestände als quantitative Straffung bezeichnet.
Die Notenbankchefs von Spanien und von Portugal mahnten allerdings zur Vorsicht. Spaniens Zentralbank-Gouverneur de Cos zufolge könnte eine quantitative Straffung möglicherweise zu Marktturbulenzen führen, sagte er in Bilbao. "Dies könnte den Weg der geldpolitischen Normalisierung in einer Zeit gefährden, in der sich alle unsere Anstrengungen darauf konzentrieren sollten," warnte er. Seinem portugiesischer EZB-Ratskollegen Centeno zufolge könnten destabilisierende Auswirkungen eintreten, sollten solche Diskussionen nun vorgezogen werden, wie er Bloomberg TV sagte. Seine Sichtweise dagegen lautet: "Wir haben einen Weg zur Normalisierung der Geldpolitik und darauf liegt jetzt der Fokus."
(Reuters)