Im Nationalrat wollten SP, FDP, Grüne und GLP diesen Paradigmenwechsel. SVP und Mitte lehnen ihn ab. Entschieden ist aber noch nichts.

Die grosse Kammer debattierte am Montag stundenlang über die Steuergerechtigkeits-Initiative der FDP Frauen und den Entwurf für ein Gesetz über die Individualbesteuerung, den indirekten Gegenvorschlag dazu. Beide Vorlagen haben die Besteuerung jeder einzelnen Person unabhängig vom Zivilstand zum Ziel.

Noch nichts entschieden

Der Entscheid, auf den indirekten Gegenvorschlag einzutreten, dürfte knapp werden. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-N) verabschiedete Initiative und indirekten Gegenvorschlag mit je 13 zu 12 Stimmen. Aus Zeitgründen konnte der Nationalrat am Montag nicht abstimmen. Die Debatte soll am 25. September fortgesetzt werden.

Der Bundesrat will mit den gesetzlichen Bestimmungen rascher ans Ziel kommen als mit dem Verfassungsartikel. Vertreterinnen und Vertreter von SVP und Mitte-Partei lehnen Initiative und Gegenvorschlag ab. Auf den indirekten Gegenvorschlag eintreten wollten SP, FDP, Grüne und GLP.

Verluste einschränken

SP, Grüne und GLP forderten allerdings einen Kompromiss zwischen Individualbesteuerung und Verlusten für den Bund. Die Vorlage brauche Bestimmungen, damit die Ausfälle bei der Bundessteuer weniger hoch ausfielen als die vom Bundesrat errechnete Milliarde Franken.

Es gibt noch mehr Minderheitsanträge zum Gesetzesentwurf. Die Linke will die familienergänzende Kinderbetreuung in die Vorlage integrieren. SVP und Mitte wiederum wollen Ehepaare weiterhin gemeinsam besteuern, aber die Heiratsstrafe beseitigen.

Ein eigenes Rezept hat die Mitte-Partei mit ihrer Volksinitiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe im Köcher. Die SVP schliesslich beantragt mit einer weiteren Minderheit Tarifanpassungen bei der Besteuerung von Familien und Ehepaaren.

«Es ist höchste Zeit»

Die Befürworterseite erinnerte an die jahrelange Geschichte der Individualbesteuerung und an den Auftrag des Parlaments, sie einzuführen. Céline Widmer (SP/ZH) nannte die individuelle Besteuerung ein fundamentales Gleichstellungsanliegen. «Sie ist kein Angriff auf die Ehe.»

Die Reform sei eine überparteilich anerkannte Notwendigkeit, fügte Tamara Funiciello (SP/BE) hinzu. «Es ist höchste Zeit für diesen überfälligen Schritt.» Gingen mehr Zweitverdienerinnen und -verdiener einer bezahlten Arbeit nach, verbessere das ihre Altersvorsorge, sagte Beat Walti (FDP/ZH).

Familien bleibe mit der Individualbesteuerung mehr Geld zur Verfügung, sagte Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG). Einverdiener-Familien, die beim von der Gegnerschaft bevorzugten Splitting statt der individueller Besteuerung im Vorteil wären, werde es immer weniger geben.

Splitting bevorzugt

Die Heiratsstrafe müsse beim Bund abgeschafft werden, denn nur dort gebe es sie noch, hielt Leo Müller (Mitte/LU) dagegen. Der Wechsel bringe eine Strafe für Einverdiener-Ehepaare. «Das kann doch nicht sein.» Auch warnte Müller vor dem zusätzlichen Aufwand wegen 1,7 Millionen zusätzlicher Steuerdossiers und etlichen Anpassungen.

Die Mitte will die Frage mit einer eigenen Volksinitiative für die Abschaffung der Heiratsstrafe angehen. Initiative und Gegenvorschlag gehörten in die Kategorie «Schnapsidee», sagte Markus Ritter (Mitte/SG). SVP-Votanten wiederum plädierten für das Splitting bei Ehepaaren statt der individuellen Besteuerung.

Familien mit einem hohen und einem tiefen Arbeitspensum, die Kinder selbst betreuten, hätten das Nachsehen, sagte Monika Rüegger (SVP/OW). «Sie wollen Eltern ein Familienmodell nach ihren Vorstellungen aufzwingen», warf sie den Befürwortern vor. Barbara Steinemann (SVP/ZH) sprach von einem «typischen Zeitgeist-Vorstoss», dessen Kosten am Ende viele zu tragen hätten.

Heute werden Verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, müssen sie wegen der Progression teilweise höhere Steuern bezahlen als Konkubinatspaare mit zwei getrennten Steuerveranlagungen.

(AWP)