Weltweit sind 2,5 Milliarden Menschen übergewichtig oder fettleibig. Prognosen zufolge wird diese Zahl bis 2035 auf die Hälfte der Weltbevölkerung ansteigen. Fettleibigkeit erhöht das Risiko für schwerwiegende und oft tödliche Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall. Dies setzt sowohl die Betroffenen als auch die Gesundheitssysteme unter enormen Druck.
Bis vor kurzem gab es nur wenige wirksame Massnahmen. Aber das neue «Wunder»-Medikament des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk kann das Gewicht eines Patienten um 15 Prozent reduzieren. Wegovy ahmt die beim Essen freigesetzten Hormone nach und sendet Signale an das Gehirn, die mitteilen, dass wir nicht mehr hungrig sind. Novo Nordisk, mit seiner 100-jährigen Geschichte, ist ursprünglich bekannt für die Herstellung von Insulin zur Diabetesbehandlung sowie für Wachstumshormontherapien und die Behandlung von Hämophilie.
Die Entwicklung eines Medikaments zur Gewichtsreduktion hat Novo Nordisk 2023 zum wertvollsten Unternehmen Europas gemacht. Auch 2024 stieg der Kurs um 31 Prozent. Der Hauptaktionär, eine gemeinnützige Stiftung, unterstützt das Unternehmen dabei, sich auf die langfristige Aufgabe zu konzentrieren, mehr Patienten zu behandeln und die Zugänglichkeit zu verbessern. Zudem wird untersucht, ob Wegovy auch bei Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Lebererkrankungen wirksam ist.
Kursentwicklung der Aktien von Novo Nordisk.
Die Analysten bleiben trotz des rasanten Anstiegs bullish auf den Tiel - laut Bloomberg-Daten stehen 21 «Buys» neun «Holds» und vier «Sells» gegenüber. Das durchschnittliche Kursziel impliziert ein weiteres Kurspotenzial von sieben Prozent. Die Bewertung scheint aber angesichts des vorwärtsgerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnisses von 40 sportlich, was aber angesichts der hohen EBITDA-Marge von aktuell 49 Prozent und des prognostizierten Umsatzwachstums von 20 Prozent im nächsten Jahr verkraftbar ist.
Rasante Entwicklung an der Gesundheitsfront
Auch an einer anderen Gesundheitsfront gibt es rasante Fortschritte, die an den Börsen Chancen bieten: Apple-Mitbegründer Steve Jobs sagte vor seinem Tod 2011 voraus, dass die grössten Innovationen des 21. Jahrhunderts an der Schnittstelle von Biologie und Technologie stattfinden würden. Diese neue Ära hat begonnen.
Wie Jobs erwartet hatte, gab es bemerkenswerte Fortschritte im Gesundheitswesen. Mehrere Unternehmen haben das Potenzial, die Medizin völlig zu verändern, insbesondere dank der zunehmenden Zugänglichkeit der Genomsequenzierung. Diese Labortechnik entschlüsselt DNA und hilft uns, den menschlichen Körper besser zu verstehen.
Die Sequenzierungskosten sind in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch gesunken: von 3 Milliarden US-Dollar pro Genom im Jahr 2000 auf heute 200 Dollar. Auch die Dauer der Sequenzierung ist gesunken, von über zehn Jahren zur Jahrtausendwende auf nur noch wenige Stunden heute. «Dies ermöglicht es uns, Krankheiten immer schneller und kostengünstiger zu erkennen und Behandlungen zu personalisieren», sagt Julia Angeles, Investment Manager bei Baillie Gifford.
Programmierbare Medikamente
«Eines der beeindruckendsten Beispiele für Fortschritte im Gesundheitswesen ist Moderna», so Angeles vom schottischen Vermögensverwalter. Die Pandemie war ein Wendepunkt für das Unternehmen, das seine mRNA-Technologie erfolgreich validierte. Moderna verwendet eine Computer-App zur Erstellung von mRNA – Moleküle, die aus einer Reihe einzelner Chemikalien wie DNA bestehen. Bei der Injektion in den Körper liefern diese Moleküle Anweisungen zur Herstellung von Proteinen. mRNA-basierte Medikamente können das Immunsystem trainieren, um Krankheiten zu behandeln oder zu verhindern – eine Methode, die als Immuntherapie bekannt ist. Das Potenzial ist enorm, da Moderna in den letzten zwei Jahren die Anzahl der in Entwicklung befindlichen Projekte auf über 40 verdreifacht hat, darunter auch Fortschritte im Kampf gegen Krebs.
Nach dem corona-bedingten Umsatz- und Kursboom und darauffolgenden Kater könnte die Aktie jedoch einen neuen Katalysator gebrauchen. Analysten sehen die Aktie laut Bloomberg-Daten im Durchschnitt um 46 Prozent höher. Der Bloomberg-Konsens geht davon aus, dass Moderna 2025 erstmals seit 2022 wieder ein Umsatzwachstum verzeichnen wird.
Kursentwicklung der Aktien von Moderna.
Die Experten von Baillie Gifford sind auch von Alnylam Pharmaceuticals beeindruckt, einem weiteren Unternehmen, das die programmierbare Natur von RNA nutzt. Alnylam entwickelt eine neue Klasse von Medikamenten, die problematische Gene «zum Schweigen bringen», um verschiedene Erkrankungen zu behandeln. Mit fünf auf dem Markt befindlichen Medikamenten und einer Erfolgsquote bei Studien von über 60 Prozent liegt das Unternehmen weit über dem Branchendurchschnitt von 10 Prozent. Die Papiere von Alnylam stehen seit Jahresbeginn 40 Prozent höher.
Krebsbehandlung
Die Hälfte der Menschen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Krebs, und weltweit ist einer von sechs Todesfällen darauf zurückzuführen. Doch neue Behandlungen verbessern die Prognosen für Patienten erheblich. «Beispielsweise haben die Antikörperbehandlungen des Biotech-Unternehmens Genmab die Überlebensraten bei Blutkrebs erhöht, während Behandlungen für solide Tumore in der Erprobung voranschreiten», argumentiert die Expertin von Baillie Gifford.
Da 50 Prozent der Krebserkrankungen in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert werden, liegt das grösste Potenzial möglicherweise in der Früherkennung. Hier machen mehrere Unternehmen Fortschritte, darunter Exact Sciences. Der Cologuard-Test für zu Hause kann Darmkrebs im Frühstadium und sogar präkanzeröse Polypen mit hoher Genauigkeit diagnostizieren.
Exact Sciences beteiligt sich auch am Wettlauf um die Entwicklung von Tests, die mit einer einfachen Blutprobe mehrere Krebsarten erkennen können. Dies könnte die Prognose der Patienten verbessern und den Bedarf an kostspieligen Behandlungen im Spätstadium verringern.
Laut Bloomberg-Konsens wird das Unternehmen 2025 voraussichtlich beinahe ausgeglichen arbeiten, während der Umsatz dieses und nächstes Jahr um 13 Prozent steigen soll. Besonders bemerkenswert ist, dass die EBITDA-Marge bereits dieses Jahr auf 12 Prozent hochschnellen soll. Dies ist für die Kursentwicklung auch dringend notwendig, steht doch die Aktie dieses Jahr 19 Prozent tiefer.
Kursentwicklung der Aktien von Exact Sciences.
Neuartige Behandlungen für grosse ungedeckte Bedürfnisse
Unternehmen entwickeln basierend auf genetischen Erkenntnissen gezieltere Therapien, die die Grundursachen von Autoimmunerkrankungen behandeln sollen, an denen weltweit jeder zehnte Mensch leidet. Argenx arbeitet beispielsweise mit Wissenschaftlern daran, Antikörper zu entwickeln, die auf dem Immunsystem von Lamas basieren. Sein erstes Medikament, Vyvgart, erzielte innerhalb eines Jahres nach Markteinführung einen Umsatz von 400 Millionen Dollar.
«Andernorts treten mit der zunehmenden Alterung der Weltbevölkerung immer häufiger neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz auf. In der Vergangenheit war dieses Gebiet ein Friedhof für medizinische Fortschritte, da Medikamente die Blut-Hirn-Schranke (BBB), eine Membran, die Giftstoffe abhält, nicht durchdringen konnten», erklärt Baillie Gifford auf Anfrage von cash.ch.
Denali Therapeutics ist ein junges Unternehmen, das bereits einen Mechanismus zum Transport von Medikamenten über die Blut-Hirn-Schranke entwickelt hat. Denali erschliesst nicht nur den Zugang zum Gehirn, sondern nutzt auch wissenschaftliche Fortschritte, um die Ursachen der Neurodegeneration zu identifizieren. Das Unternehmen testet sieben Medikamente zur Bekämpfung von Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson. Dies bietet Fantasien, was sich auch im diesjährigen Kursplus von 17 Prozent der Aktie widerspiegelt.
Kursentwicklung der Aktien von Denali Therapeutics.
Transformationstechnologien
Unser Körper besteht aus drei Milliarden DNA-Basenpaaren, über 20'000 Proteinen und 37 Billionen Zellen. Diese beeindruckenden Zahlen verdeutlichen, dass Verbesserungen der Rechenleistung besonders dem Gesundheitswesen zugutekommen können. Die Erforschung der Biologie ist ein idealer Anwendungsbereich für künstliche Intelligenz (KI), und die Arzneimittelforschung ist nur ein Bereich, in dem wir dadurch signifikante Fortschritte sehen. Unternehmen wie Recursion, Exscientia und Relay zählen zu den Pionieren dieses Wandels.
Im letzten Jahr ging Recursion eine Partnerschaft mit Nvidia ein, einem führenden Anbieter von KI-Technologie. Weniger als eine Woche später war es möglich, die Wechselwirkungen von 2,8 Billiarden potenziellen Medikamenten und menschlichen Proteinpaaren zu evaluieren - ein Prozess, der mit herkömmlichen Methoden 100'000 Jahre gedauert hätte. Mittlerweile trägt die Technologie zur Verlagerung von Krankenhausdiensten hin zur Fernüberwachung bei und senkt somit die Kosten.
Ein Beispiel ist Diabetes, die weltweit kostspieligste Krankheit. Zwei Drittel der Kosten für Gesundheitssysteme sind auf vermeidbare Komplikationen zurückzuführen. Mit den Geräten zur kontinuierlichen Glukoseüberwachung von Dexcom können Patienten ihren Diabetes zu Hause kontrollieren, ohne routinemässige Arztbesuche oder Notfälle im Krankenhaus. Diese Technologien verändern die Dienstleistungen, die wir erhalten, indem sie individuell auf den Einzelnen zugeschnitten werden und Behandlungen effektiver machen.
«Aber im Gesundheitswesen erfordert Fortschritt vielleicht mehr Geduld als in jeder anderen Branche», so Julia Angelesvon Baillie Gifford. Das bedeutet, den langfristigen Interessen der Unternehmen Vorrang vor kurzfristigen Markterwartungen zu geben und zu akzeptieren, dass der Erfolg niemals geradlinig verläuft. «Zwangsläufig wird es Phasen des Zweifels und der Volatilität geben. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir am Anfang einer Revolution stehen, in der geduldig eingesetzte Investitionen das Leben von Millionen Menschen beeinflussen könnten.»