Der neue Volkswagen-Chef Oliver Blume räumt in grossem Stil mit Projekten seines Vorgängers Herbert Diess auf. Nachdem er beim Start-up Argo für Robotertechnik zusammen mit dem US-Partner Ford den Stecker gezogen hat, stellt er nun den milliardenschweren Bau einer neuen Autofabrik neben dem Stammwerk in Wolfsburg zur Disposition.

Das letzte Wort sei in der Sache noch nicht gesprochen, sagte eine Person mit Kenntnis der Beratungen der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag. "Aber es steht zur Diskussion, ob man diesen Neubau einkassiert."

Am Plan, das Fahrzeug mit dem Projektnamen Trinity mit der neuen Einheitssoftware SSP auf den Markt zu bringen, halte das Management fest. Es sei aber die Frage, ob dafür eine neue Fabrik gebaut werden müsse, oder der Wagen im Wolfsburger Stammwerk vom Band rolle. Ein weiterer Insider bestätigte, dass darüber beraten wird.

Späterer Start?

Das "Manager Magazin" hatte berichtet, Blume wolle den von seinem Vorgänger Herbert Diess für 2026 angekündigten Trinity wahrscheinlich erst 2030 realisieren. Die für den gesamten Konzern geplante Modellplattform SSP werde wohl nicht mehr wie ursprünglich geplant mit dem Trinity gestartet. Das wäre das Todesurteil für das neue Werk im Wolfsburger Stadtteil Warmenau, folgerte das Magazin. Eine der Personen mit Kenntnis der Abläufe sagte, das Projekt werde wohl nicht so weit nach hinten geschoben, wie vom "Manager Magazin" berichtet. Einen konkreten Zeitpunkt nannte er nicht.

Statt der ambitionierten Trinity-Serie will Volkswagen dem Bericht zufolge zusätzliche und bislang nicht vorgesehene Elektromodelle auf der Basis des von Diess aufgesetzten Baukastens MEB auflegen, die im Stammwerk gebaut werden könnten. Der Betriebsrat hatte bereits durchgesetzt, dass das kompakte E-Modell ID.3 neben Zwickau ab 2023 auch in Wolfsburg montiert wird, um das Stammwerk besser auszulasten. Dies könnte nun Ausgangspunkt für die weitere Elektrifizierung der Fabrik sein.

Blume: «Nutzen die Gelegenheit»

In einem gemeinsamen Schreiben an die Belegschaft erklärten Blume und VW-Markenchef Thomas Schäfer: "Wir nutzen die Gelegenheit, alle Projekte und Investitionen anzuschauen und auf Tragfähigkeit zu prüfen." In den nächsten Wochen wolle das Management über den Software-Fahrplan und den Zuschnitt der Plattformen entscheiden. Daran schliesse sich die Produktstrategie mit konkreten Projekten der einzelnen Marken für die nächsten Jahre an, woraus sich die jeweilige Belegung der Werke ergebe. Für konkrete Aussagen sei es noch zu früh. Wegen der Überarbeitung der Pläne hatte der Vorstand jüngst die für Anfang November angesetzte Investitionsplanung für die kommenden Jahre verschoben. Die Beschlüsse dazu will der Konzern bis spätestens zur Jahrespressekonferenz im März fassen.

Bernstein Research schätzt, dass sich der Cash-flow durch die strategischen Änderungen verbessert. Möglicherweise würden aber die Elektrifizierung und wichtige Produkteinführungen verzögert. Angesichts des Umfangs der erwarteten Neujustierungen riet Analyst Daniel Roeska VW, einen Kapitalmarkttag eher früher als später abzuhalten. Nach bisheriger Planung will Blume die Investoren gegen Ende des zweiten Quartals 2023 informieren. Bis dahin wird auch das Ergebnis der von ihm angestossenen virtuellen Börsengänge der Markengruppen erwartet.

Komplexe Planungsrunde

Der Betriebsrat erklärte, die Planungsrunde gestalte sich diesmal besonders komplex. Konzern-, Markenvorstand und Arbeitnehmerseite seien zu allen Themen in einem engen, vertrauensvollen und konstruktiven Austausch. "Dabei gibt es das gemeinsame Verständnis, Volkswagen bei Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung weiterhin zukunftsfest aufzustellen", sagte ein Sprecher.

Cariad-Chef Dirk Hilgenberg bestätigte die Verschiebung von Software-Projekten. Es solle ein Fahrplan "mit realistischen Zielen" erstellt werden, schrieb Hilgenberg an die Belegschaft der Software-Tochter des Wolfsburger Konzerns.

Oberste Priorität habe die Entwicklung der Architektur 1.2 für die kommenden Fahrzeuge von Audi und Porsche. An der Einheitssoftware für alle Marken (2.0) halte der Konzern fest, "aber wir gewinnen etwas Zeit". Die stockende Software-Entwicklung war ein Grund dafür, dass Diess Anfang September an der Konzernspitze abgelöst wurde. Die inzwischen an der Börse notierte Sportwagentochter Porsche leitet Blume in Personalunion weiter. Der Aufsichtsrat hatte im März zwei Milliarden Euro für die neue Trinity-Fabrik freigeben, der Bau sollte im Frühjahr 2023 beginnen. 

(Reuters)