Die 44-jährige Kemi Badenoch wurde von den Parteimitgliedern zur neuen Tory-Chefin gewählt, wie die Partei in London mitteilte. Badenoch kündigte an, ihre Partei mit der Rückbesinnung auf konservative Werte wieder auf Regierungskurs bringen zu wollen.
Einfach wird das nicht: Badenoch steht nun einer unter Mitgliederschwund leidenden Partei vor, die seit dem Brexit nicht zur Ruhe gekommen ist. Innerhalb weniger Jahre scheiterten fünf verschiedene Premierministerinnen und -minister, weil sie die Folgen des EU-Austritts nicht in den Griff bekamen - und, wie Boris Johnson, an Skandalen.
Der Vertrauensverlust bei den Wählern war immens, was vor vier Monaten zu einem Wahldebakel für die Partei führte: Seitdem stellen die Tories - über Jahrzehnte eine der erfolgreichsten demokratischen Parteien Westeuropas - nur noch 121 der 650 Abgeordneten im britischen Unterhaus. Der abgewählte Premier Rishi Sunak kündigte nach der damaligen Schlappe seinen Rücktritt als Parteichef an.
Rückkehr zur Regierungsmacht im Fokus
Unter Badenoch soll jetzt die grosse Kurswende gelingen. «Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist schwierig, aber simpel», sagte sie in ihrer Dankesrede. Erste Pflicht sei es, die Labour-Regierung als Opposition zur Rechenschaft zu ziehen - nicht minder wichtig aber auch, sich im Laufe der nächsten Jahre auf eine Rückkehr auf die Regierungsbank vorzubereiten. Bis zur nächsten Unterhauswahl müsse man die Briten mit klaren konservativen Versprechen ansprechen, aber auch einen klaren Plan haben, diese umzusetzen.
«Diese gewaltige Aufgabe beginnt heute», sagte die neue Oppositionsführerin. Gleichzeitig räumte sie ein, dass die Tories ehrlich zu sich sein müssten, dass man Fehler gemacht habe. «Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen, für unsere Prinzipien einzustehen, unsere Zukunft zu planen, unsere Politik und unser Denken neu auszurichten und unserer Partei und unserem Land den Neustart zu geben, den sie verdienen», sagte Badenoch.
Am Tag nach ihrer Wahl sprach sie am Sonntag in der BBC ebenfalls von «harten Wahrheiten nicht nur für meine Partei, sondern für das gesamte Land». Dazu gehöre, dass Grossbritannien ärmer und älter sowie in wirtschaftlicher Hinsicht von anderen Ländern überholt werde.
Frau klarer Worte
Die in London geborene, aber in Nigeria aufgewachsene Badenoch gilt als Liebling der Tory-Basis. Die frühere Wirtschaftsministerin gibt sich seit langem als «Anti-Woke-Kulturkriegerin», die mit Äusserungen gegen das angeblich linksliberale Establishment auffällt, generell nicht mit klaren Worten geizt und wie Jenrick dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird. Moderate Kandidaten wie Ex-Innenminister James Cleverly schieden zuvor bei den Abstimmungen in der Fraktion aus, bevor die Mitglieder das letzte Wort hatten.
Auch wenn Badenoch im parteiinternen Wahlkampf kaum Details zu ihren politischen Vorhaben durchblicken liess, rechnen Beobachter damit, dass die Tories mit ihrer Wahl einen scharfen Kurs nach rechts einschlagen werden. Die Konservativen verwandelten sich immer weiter von einer Mitte-Rechts-Kraft in eine radikale rechtspopulistische Partei, sagte der Politologe Tim Bale der Deutschen Presse-Agentur. Welche Politik der Experte der Queen Mary University of London erwartet? Forderungen nach möglichst wenig staatlicher Einmischung, im Ton nationalistisch und einwanderungsfeindlich sowie gegen Klimaneutralität.
«Die Parteimitglieder haben sich für Kemi Badenoch entschieden, weil sie sie als prinzipientreu und bereit betrachten, ihre Meinung zu sagen, auch wenn dies zu Kontroversen führt», sagte der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster der dpa. Der Stil der überzeugten Brexit-Unterstützerin sei mit dem von Ex-Premierministerin Thatcher vergleichbar, die von vielen Tory-Mitgliedern noch immer verehrt werde.
Apropos Thatcher: Nach ihr, Theresa May und Liz Truss ist Badenoch die erst vierte weibliche Tory-Vorsitzende. Sie ist ausserdem die erste schwarze Frau an der Spitze einer grossen britischen Partei überhaupt, nach Angaben der britischen Nachrichtenagentur PA sogar die erste schwarze Chefin einer grossen politischen Partei in ganz Europa.
(AWP)