Wie auch immer die künftige Regierungskoalition aussehen wird, eines ist sicher: Die Probleme, an denen die Ampel-Regierung zerbrach, sind nicht weg. Wirtschaftswachstum zu schaffen, die grüne Transformation sozialverträglich umzusetzen und die durch Russland heraufbeschworene sicherheitspolitische Herausforderung anzunehmen, sei «ein gewaltiges Paket» für die künftige Regierung, meint der Top-Ökonom und Chef des Mannheimer Forschungsinstituts ZEW, Achim Wambach. Die Krise sei sozusagen «auf dem Tisch». Dabei gelte es keine Zeit zu verlieren, meint auch die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer. Sie fordert eine schnelle Regierungsbildung nach der Bundestagswahl.
Die Wirtschaftsprofessorin plädiert dafür, die Schuldenbremse stabilitätsorientiert zu reformieren und dabei die Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Bildung verbindlich zu verstetigen. Das habe der Sachverständigenrat so vorgeschlagen. «Eine solche Verbindlichkeit wäre extrem wichtig, weil sonst Spielräume geschaffen werden, die für Wahlgeschenke genutzt werden könnten, wie zum Beispiel die Fixierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die Erhöhung der Mütterrente und die Senkung der Mehrwertsteuer für Gastronomie und Lebensmittel», warnte die Wirtschaftsweise. «Das sind alles Massnahmen, die kaum Wachstum bringen werden und verteilungspolitisch fragwürdig sind.»
Die möglichen Koalitionspartner sollten jetzt ihre Fehden beilegen und sich an den Koalitionsvertrag machen, fordert DIW-Chef Marcel Fratzscher: «In einer Welt eskalierender Krisen muss Deutschland endlich aus der politischen und wirtschaftlichen Lähmung herauskommen.»
Neustart gefordert
Bankenpräsident Christian Sewing hält die Herausforderungen für gewaltig: «Die Wirtschaft braucht dringend einen Neustart mit grundlegenden Reformen. Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit müssen im Mittelpunkt der nächsten Legislaturperiode stehen, damit Deutschland für Unternehmen wie für Investoren ein attraktiver Standort bleibt.»
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat der künftigen Regierung so einiges ins Pflichtenheft geschrieben: bezahlbare Energiepreise, Bürokratieabbau und eine Wende in der Migrations- und Arbeitsmarktpolitik. So solle es gelingen, den Standort wieder nach vorn zu bringen. Von CDU und FDP sei am ehesten zu erwarten, dass sie dies gemeinsam schafften, sagte er in einem Zeitungsinterview und äusserte damit offen seine Präferenzen. Doch aus der Wunschkoalition Dulgers dürfte nichts werden, da die FDP laut den Hochrechnungen vom Wahlabend den Einzug in den Bundestag wohl verpassen wird.
Schuldenbremse im Fokus
FDP-Chef Christian Lindner hat als Finanzminister stets auf die Einhaltung der Schuldenbremse gepocht. Viele Anleger erhoffen sich von einem Regierungswechsel eine Reform der Schuldenbremse, damit Wirtschaft und Finanzmärkte durch Investitionen wieder in Schwung kommen. Kanzler Olaf Scholz, der in einer künftigen Regierung kein Ministeramt übernehmen will, und Unions-Kanzlerkandidat Merz lagen im Wahlkampf in der Frage einer Reform der Schuldenbremse auseinander: Merz sagte, dass es im Rahmen der Schuldenbremse schon jetzt in den Jahren 2024 und 2025 möglich sei, jeweils 50 Milliarden Euro Schulden zu machen. Scholz betonte dagegen, dass die finanziellen Herausforderungen für Investitionen und Sicherheitsausgaben eine Reform erforderten.
Auch wenn sich zuletzt ein zarter Aufschwung für die seit zwei Jahren in der Rezession steckende Wirtschaft abzeichnet, hatte die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zuletzt ein düsteres Konjunkturbild gezeichnet. Sie erwartet ein drittes Jahr mit schrumpfender Wirtschaft. Auch der Bundesverband Grosshandel, Aussenhandel, Dienstleistungen (BGA) ist alarmiert: «Deutschland geht sehenden Auges in ein drittes Jahr der Rezession. Der Mittelstand ist gefangen in staatlicher Überregulierung und erzwungener Transformation. Was wir dringend brauchen, ist ein echter Befreiungsschlag – angefangen bei der Bürokratie», so BGA-Chef Dirk Jandura. Gefordert sei eine schrittweise Reform der Unternehmensbesteuerung, deutliche Fortschritte bei der administrativen Digitalisierung sowie schnellere Planungs- und Entscheidungsprozesse. «Nur so können wir schneller, leistungsfähiger und digitaler werden, und das fängt beim Staat an», fordert Jandura.
Lange fühlte sich die Wirtschaft von der Ampel-Regierung unter Bundeskanzler Scholz mit ihren Sorgen und Nöten vernachlässigt, zumal der SPD-Politiker ihre Klagen bisweilen als üblichen «Gruss des Händlers» abtat. Sie erhoffen sich, unter einem möglichen Bundeskanzler Merz mehr Gehör zu finden. Der hat eine Senkung der Unternehmenssteuern in Aussicht gestellt. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm verweist darauf, dass Deutschland mittlerweile eines der Industrieländer mit den höchsten Unternehmenssteuern sei: Das sei eine Abschreckung für Investitionen aus dem Ausland.
(Reuters)