Als einer der letzten Grosskonzerne der Schweiz pflegt Nestlé eine traditionelle Übertrittskultur auf höchster Managementebene. Nach längjähriger Tätigkeit wird dem Konzernchef der Posten des Verwaltungsratspräsidenten zugehalten, wo er dann mindestens ebenso lang seinen Nachfolger überwachen kann. Das geschieht meist ohne gröbere Friktionen. Das Paradebeispiel dafür ist der amtierende Präsident Paul Bulcke, bei Nestlé seit Urzeiten.

Vielleicht muss man für die oben genannten Sätze die Vergangenheitsform wählen. Denn der abrupte Abtritt von Mark Schneider als CEO setzt dieser Tradition ein vorläufiges Ende. Die Dinge am Konzernsitz in Vevey müssen schon arg schief liegen, damit ein derartiger Chef-Wechsel beim Schweizer Vorzeigeunternehmen passiert. Aber ganz überraschend kommt das nicht.

Die Nervosität in der ganzen Konsumgüterindustrie hoch. Die Konzerne bringen wegen der gestiegenen Preise ihre zumeist teuren Produkte nicht mehr los wie früher. Die Folge: Es herrscht Flugwetter für Konzernlenker. Letzte Woche erwischte es den CEO von Starbucks. Schon im letzten Jahr erhielten die Nestlé-Konkurrenten Reckitt Benckiser und Unilever neue Chefs.

Wichtiger aber: Das Ausmass der Börsenmisere von Nestlé nahm Ausmasse an, welche selbst der Verwaltungsrat nicht mehr ignorieren konnte. Zuversichtliche Äusserungen von Mark Schneider zum Geschäftsgang an einer Investorenkonferenz in London Ende Mai - sie geschahen mitten während des Börsenhandels - hatten fast schon den Charakter einer Verzweiflungstat.

Investoren stören sich zunehmend an der Sturheit des Konzerns. Das hartnäckige Festhalten am Ziel von 4 Prozent beim organischen Umsatzwachstum war ein Beispiel. Gross der Ärger, als Mark Schneider bei den jüngsten Halbjahreszahlen schliesslich zurückkrebsen und die Prognose auf 3 Prozent reduzieren musste. Der Vertrauensverlust bei den Investoren nahm noch grössere Ausmasse an.

Ein Ausdruck der Unzufriedenheit von Investoren Nestlé gegenüber war bereits der Einstieg des aktivistischen Investors Dan Loeb mit seinem Hedgefonds Third Point im Sommer 2017. Inwiefern er sich Gehör verschaffen und ein milliardenschweres Aktienrückkaufprogramm sowie den Teilverkauf des L'Oréal-Pakets durchdrücken konnte, ist offen. Loeb hat sich aber schnell wieder als Investor verabschiedet.

Schneider hat operativ und strategisch beim behäbigen Dampfer Nestlé schon einiges in Gang gebracht, auch wenn er nicht immer richtig lag. Das reicht aber nicht. Nestlé muss die Anliegen der Investoren und die Signale der Märkte ernster nehmen. Und die Grossaktionäre - die UBS, Blackrock oder Vanguard - müssen sich als verantwortungsvolle Investoren mehr Gehör verschaffen.

Daniel Hügli
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