89 Franken - so viel sei die Aktie des Lebensmittelkonzerns Nestlé wert, sagt Jeff Stent, Analyst bei BNP Parisbas Exane. Er hat seine Einschätzung letzte Woche bestätigt, aufgestellt hat er sie aber schon Mitte Juni, als die Nestlé-Valoren noch für 95 Franken gehandelt wurden. Inzwischen sind sie unter 89 Franken gefallen. Nach den vergangene Woche präsentierten Halbjahreszahlen und dem für das Gesamtjahr gesenkten Ausblick ging es vorübergehend hinunter bis auf 85,70 Franken.

Damit ist nicht nur Stents Prognose eingetroffen. Auch das Kursziel von Jefferies-Analyst David Hayes wurde erreicht und unterschritten. Er war schon immer noch pessimistischer als sein Berufskollege Jeff Stent: Hayes hat der Aktie nie mehr als 86 Franken zugetraut, seit er die Bewertung im Dezember 2023 aufgenommen hatte. Damals notierte das Papier bei 99 Franken, es befand sich aber schon seit Längerem im Sinkflug.

Im Mai erachtete der Jefferies-Analyst eine wesentliche Verbesserung der Nachfrage bei den US-Konsumenten als unwahrscheinlich. Er ging davon aus, dass Nestlé beim internen Realwachstum (RIG) die Erwartungen verfehlen wird und bei einem Umsatzrückgang die Sorgen bezüglich der Margenziele steigen würden. Entsprechend sah er die Aktie weiter fallen.

Pessimismus hat insgesamt zugenommen

Vor der Präsentation des Halbjahresergebnisses erwarteten Analysten ein RIG von minus 0,5 und einen Umsatzrückgang von 46,3 auf 45,1 Milliarden Franken gegenüber der Vorjahresperiode. Nestlé lieferte ein RIG von 0,1 und einen Umsatz von 45 Millionen Franken. Er ist im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 gefallen, obwohl das Volumen gewachsen war.

Enttäuscht wurden dazu die Erwartungen zum organischen Wachstum. Es fiel mit 2,1 Prozent tiefer als von Experten angenommen aus. Sie rechneten mit 2,4 Prozent. Ausserdem senkte die Nestlé-Konzernleitung die Wachstumsprognose für das Gesamtjahr 2024.

Alles in allem beschleunigte sich der Kursverfall im Laufe der vergangenen Woche. Die Nestlé-Aktie verlor in der Spitze über acht Prozent.

Seither haben weitere Analysten ihre Prognosen gesenkt. Noch eher zuversichtlich äussert sich der Experte der Citigroup. Er sieht die Aktie bei 110 Franken und damit fünf Franken tiefer als bisher. Und er spricht weiterhin eine Kaufempfehlung aus. Anders die Grossbank UBS. Sie hat das Rating von «Buy» auf «Neutral» und das Kursziel von 117 auf 95 Franken gesenkt. Offenbar liegen Anspruch und Wirklichkeit bei Nestlé zu weit auseinander, als dass der zuständige Analyst seine bisherige Prognose aufrecht erhalten kann. Abermals habe der Lebensmittelkonzern die Wachstumserwartungen verfehlt, und es falle zunehmend schwer, einen Pfad zu den angestrebten 4 bis 6 Prozent auszumachen.

Vor der Halbjahreszahlen lag das durchschnittliche Preisziel der von Bloomberg erfassten Analysten bei 107 Franken. Mittlerweile ist es auf 101,50 Franken gefallen. Damit liegt es über dem gegenwärtigen Kurs - was auf wieder bessere Zeiten an der Börse hoffen lässt. Jedoch dürfen sich Jeff Stent und David Hayes mit ihren schon seit Längerem pessimistischen Einschätzungen nicht mehr ganz allein fühlen.

Mark Schneiders Zusage für das Gesamtjahr

Freilich wäre es zu kurz gegriffen, den seit Ende 2021 andauernden Sinkflug der Nestlé-Aktie allein auf die negativen Analystenkommentaren zurückzuführen. Ab 2022 bekam das Unternehmen die immer stärker einsetzende Inflation zu spüren, der Umsatz wuchs aufgrund von Preiserhöhungen, nicht wegen höherer Verkaufsvolumen. Zurzeit boomen Abnehmespritzen wie Ozempic und Wegovy, während der Lebensmittelkonzern aus Vevey zwar ein eigenes Gesundheitsgeschäft führt, einen guten Teil seines Angebots aber nach wie vor aus Süssigkeiten - Stichwort: Kitkat-Riegel -, Tiefkühlprodukten und zuckerhaltigen Getränken zusammenstellt.

Gegenwind kommt zudem von einem starken Schweizer Franken. Er hat in diesem Jahr gegenüber anderen wichtigen Währungen wie dem Euro und dem Dollar insgesamt etwas abgewertet. Im längerfristigen Trend der letzten Jahre ist der Franken jedoch stärker geworden. Allein die anhaltenden geopolitischen Spannungen und der im internationalen Vergleich solide Schweizer Staatshaushalt sprechen nicht für eine Trendumkehr.

Worauf Anleger hoffen mögen, ist eine Aussage von Konzernschef Mark Schneider aus der letzten Woche: «Mit Blick auf den Rest des Jahres werden wir unser internes Realwachstum weiter vorantreiben, indem wir innovative Produkte einführen, Konsumtrends aufgreifen und unsere umsatzstarken Spitzenmarken stärken.» Die nächsten Tage der Wahrheit kommen: Am 17. Oktober präsentiert Nestlé Zahlen zu den ersten neuen Monaten des Jahres, und am 13. Februar 2025 folgt der Bericht zum Gesamtjahr 2024.

Reto Zanettin
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