Mitte Februar erhielt Paul G. (Name der Redaktion bekannt) Post von seinem Kreditkartenanbieter Swisscard. Betreff: "Zahlungserinnerung". Paul G., Inhaber der Gratiskreditkarte "Cash Back", wurden 30 Franken Mahngebühr plus 18 Franken Sollzins wegen des Minusstandes seines Kreditakartensaldos aufgebrummt. Paul G. verstand die Welt nicht mehr. Er achtete immer darauf, dass er auf dem Kreditkartenkonto ein Positivsaldo von einigen tausend Franken hatte. Zahlungen in Restaurants oder auf Online-Portalen, die er mit der Kreditkarte tätigte, wurden somit gleich von seinem Swisscard-Konto abgebucht, nachträgliche Rechnungen entfielen. Seine Kreditkarte funktionierte somit lange Zeit auch als Prepaid-Karte.

Paul G. sah den Grund bald: Swisscard hatte ihm zwei Monate zuvor, also zum Jahresende 2020, das ganze Guthaben auf der Kreditkarte in der Höhe von rund 4000 Franken ungefragt an seine Hausbank überwiesen, sein Kreditkarten-Saldo fiel auf Null. Paul G. benutzte seine Kreditkarte im neuen Jahr dann uninformiert weiter und geriet dann logischwerweise arg ins Minus. Daher die Mahnung für unbezhahlte Rechnungen und der Strafzins.

Weshalb die Kontobereinigung durch Swisscard nach so langer Zeit, fragte sich Paul G. Er rief beim Kundendienst an. Die Information: Swisscard leitete Ende 2020 alle Leistungen, die von Fluggesellschaften und Reiseanbietern coronabedingt auf Kreditkartenkonten zurückflossen, auf die Hausbank der Kunden weiter. Tatsächlich hatte Paul G. Ende letztes Jahr von seiner Airline rund 2000 Franken wegen abgesagter Flüge zurückerhalten. Bloss: Swisscard transferierte ihm zusätzlich auch die restlichen 2000 Franken auf seine Hausbank. Somit lag der Salos bei unüblichen Null.

Positivsaldo ungefragt auf das hinterlegte Bankkonto des Kunden zurücküberwiesen

Dass Swisscard die Gelder von Fluggesellschaften und Reiseanbietern auf die Hausbank der Kunden rückbuchte, entsprach laut Swisscard-Sprecherin Sandra Hügli einem "Kundenbedürfnis", wie sie auf Anfrage von cash sagt. Falls eine Rückvergütung von einer nicht angetretenen Reise erfolgt, werde das gesamte Positivsaldo auf der Kreditkarte auf das hinterlegte Bankkonto des Kunden zurücküberwiesen, fügt sie an. Swisscard habe dies 2020 eingeführt. "Dies ist ein temporärer Prozess, der automatisch und laufend ausgeführt wird". Welcher Geldbetrag insgesamt an Kunden zurücküberwiesen wurde, will sie nicht sagen.

Hügli fügt an, dass es aber keine neue Geschäftspolitik sei, dass alle Positivsalden automatisch zurückbezahlt würden. Und: "Es gehört nicht zu unserem Geschäftsmodell, dass der Kunde langfristig Geld auf der Karte parkiert. Es ist keine Prepaidkarte."

Eigenartig aber: Bei Swisscard-Kunde Paul G. hatte genau dies über zwei Jahre, das heisst seit Ende 2018 ununterbrochen funktioniert - mit Kontoständen von bisweilen gegen 10'000 Franken. Für Benjamin Manz, Gründer und CEO von Moneyland, kommt eine andere Thematik ins Spiel. Es sei durchaus auch vorstellbar, dass Kunden im Negativzinsumfeld mit laufend sinkenden Negativzins-Schwellen mehr Geld auf Kreditkarten-Konten überweisen, wie Manz gegenüber cash.ch sagt. Denn Bargeld kann dort bislang ohne Negativzinsen deponiert werden.

Und ein anderer Verdacht drängt sich auf: Dass die Kreditkartenfirmen dieses "Negativzins-Fluchtgeld" nicht mehr dulden. Finanzinstitute in der Schweiz wehren sich mehr und mehr gegen Gelder, die auf den Konten "unproduktiv" und unprofitabel herumliegen. Swisscard-Sprecherin Hügli verneint auf Anfrage, dass die Aktion von Swisscard, Positivsaldi auf der Kreditkarte zu tilgen, etwas mit der Negativzins-Thematik zu tun hat.

Überschussgeld wird anderswo toleriert

Interessant auch: Andere Kreditkartenbetreiber wie UBS, Viseca, Cornercard oder Postfinance sind diesbezüglich (noch) kulanter als Swisscard: Der auf der Kreditkarte tolerierte Maximalbetrag bei Kreditkarten beträgt bei der UBS etwa 50'000 Franken, bei der Postfinance 30'000 Franken und bei der Viseca bei 35'000 Dollar, wie die Institute auf Anfrage von cash sagen.

Paul G. war mit seinen permananten Vorauszahlungen auf seine "Cash Back"-Gratiskreditkarte natürlich auch keine Top-Einnahmequelle für Swisscard. Denn die Verzugszinsen und Mahngebühren an säumige und vergessliche Kunden gehören mitunter zum Geschäftsmodell der Herausgeber von kostenlosen Kreditkarten. 

Eine Umfrage bei anderen Kreditkartenunternehmen zeigt überdies, dass die Rückbuchung von überschüssigen Guthaben oft erst nach Kontaktaufnahme oder entsprechender Information des Kunden erfolgt - was bei Swisscard-Kunde Paul G. nicht geschah. Bei Viseca etwa wird der Kunde zuerst um eine Reduktion des Positivsaldos gebeten. Bei der UBS tritt eine Überschreitung des Maximalbetrags von 50'000 Franken ein automatischer Prozess in Gang.