Mit den Zöllen, die im April von der US-Regierung verhängt wurden, ist die Unsicherheit an den Märkten gestiegen, und die Aktienkurse sind gefallen. Damit haben sich auch die Bewertungen auf Index- und auf Unternehmensebene verändert. Rund zwei Wochen nach den Zollankündigungen durch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Swiss Performance Index (SPI) unter dem mehrjährigen Schnitt. Sprich: Der Schweizer Aktienmarkt ist historisch günstig bewertet. 

Ähnliches gilt laut der Helvetischen Bank (HB) insbesondere für vier Schweizer Aktien: VAT, Straumann, Sika und Interroll. Die Bank führt eine Rangliste von historisch, meist hoch bewerteten Aktien. Basis dieser Tabelle bildet ein dreijähriger Durchschnitt verschiedener Bewertungskennzahlen.

An der Spitze steht der Gebäudeklimaspezialist Belimo mit einem Wert von 28,4 - ein aktuell relativ teurer Titel also. Am Ende der Rangfolge befindet sich der Schokoladenproduzent Barry Callebaut. Er ist mit 8,7 am günstigsten bewertet. 

VAT ist seit Oktober 2024 um drei Plätze gefallen und folglich im Vergleich zu den anderen Aktien günstiger geworden. Aktuell liegt der Bewertungsschnitt bei 23,2. Allerdings sind die Valoren des Halbleiterunternehmens schon seit letztem Sommer im Sinkflug. Von damals 528 Franken sind sie auf gegenwärtig 278 Franken gefallen. «Hier sehen wir auf mittlere Sicht nun wieder erhebliche Chancen», schreibt die Helvetische Bank. VAT gehört zu den Titeln, die nach Ansicht der Analysten stark - allenfalls sogar zu deutlich - abgestraft wurden. Aus dieser Warte betrachtet, erscheint die jüngste Kurskorrektur als übertrieben, sodass sich mittelfristig Chancen eröffnen. Anleger haben darauf offenbar bereits reagiert. Die Aktie hat in den vergangenen Tagen Boden gutgemacht. Sie hat sich leicht besser entwickelt als der Gesamtmarkt.

Zwar dürfte sich VAT, wie andere Technologieaktien, den Folgen eines weiter eskalierenden Handelskonflikts kaum entziehen können. Doch das Geschäftsmodell ist vergleichsweise robust. Laut der Investmentbank Stifel ist es weniger kapitalintensiv als beispielsweise jenes des Chipherstellers STMicroelectronics. Deshalb sollten Ertragseinbussen in einem Abwärtszyklus geringer ausfallen.

Straumann «nun wirklich interessant»

Straumann erzielt zwar 28 Prozent des Umsatzes in Nordamerika. Doch das Medtechnunternehmen produziert überwiegend lokal. Der unmittelbare Einfluss der Zölle dürfte deswegen beschränkt sein. Allerdings herrsche «die Angst vor, dass der allgemeine Konsum zurückkommt», schreibt die HB.

Unterdessen haben sich die Valoren von Straumann seit Herbst 2021 mehr als halbiert, von über 200 auf 95 Franken. Der dreijährige Schnitt aller Bewertungskennzahlen liegt gemäss der Helvetischen Bank nun bei knapp 20, und in der Rangliste der HB-Analysten ist Straumann seit letztem Oktober vier Plätze nach unten gerutscht. Das heisst: Die Aktie ist im Vergleich mit den anderen Titeln günstiger geworden. Es sehe so aus, dass «schon einige Sorgen im Preis eskomptiert» seien. Auf längere Sicht seien die gegenwärtigen Kurse «nun wirklich interessant», so die HB.

In ähnlichem Ton äusserte sich Stifel in den ersten Apriltagen. Straumann werde im Feld der Dentalimplantologie eine überdurchschnittliche Performance aufweisen. Das «Buy»-Rating unterstreicht diese Aussage, wobei das Kursziel von 140 Franken einen Kursgewinn von 47 Prozent in Aussicht stellt.

Als «eine Übertreibung nach unten» wird das aktuelle Kursniveau von Sika gesehen. Vom Hoch bei 385 Franken zum Jahreswechsel 2021/2022 ist die Aktie mittlerweile weit entfernt. Sie steht bei aktuell bei 195 Franken. Die durchschnittliche Bewertung ist mit 17,4 gemäss HB günstiger als jene von Straumann und VAT. Zudem seien die Gewinne des Baustoffkonzerns weniger volatil als beispielsweise die Gewinne von VAT.

Seit letztem Mittwoch haben Anleger Sika-Titel wieder öfter gekauft. Die Aktie ist von knapp 183 Franken auf zwischenzeitlich über 198 Franken gestiegen. Und auch nach dem Rücksetzer vom Mittwoch bleibt ein Plus von über 6 Prozent. In der Tabelle der HB ist Sika nach oben gerückt, verglichen mit den anderen Aktien also etwas teurer geworden. Sie befindet sich aber nach wie vor im Mittelfeld.

Eine Klippe zeichnet sich an der Währungsfront ab. Schon im ersten Quartal wuchs der Umsatz in Lokalwährungen stärker als in Schweizer Franken. Sollte die hiesige Währung mittel- bis langfristig weiter deutlich aufwerten, dürften die Zahlen des Baustoffherstellers währungsbedingt stärker unter Druck kommen.

Interroll: Erst abgestraft, jetzt eine Opportunität

Zur engeren Auswahl der HB-Analysten gehört, neben VAT, Straumann und Sika, der Lagerlogistikspezialist Interroll. Dessen Valoren waren einst über 4700 Franken wert. Gegenwärtig werden sie zu 1750 Franken gehandelt - und wurden ebenfalls von der Verkaufswelle im April erfasst. Zeitweise ging es um gut 18 Prozent nach unten. 

Die Aktien seien nochmals stark abgestraft worden, schreiben die Analysten der Helvetischen Bank. Doch nun sehen sie langfristige Opportunitäten. In der HB-Rangliste ist Interroll mehrere Plätze zurückgefallen, also günstiger geworden. Der dreijährige Schnitt der Bewertungskennzahlen liegt zurzeit bei 14,5. Nur SIG, Emmi, Tecan und Barry Callebaut sind tiefer bewertet.

Nicht rundweg negativ, aber noch zurückhaltend zeigte sich derweil der zuständige Analyst von Kepler Cheuvreux anfangs April. Er erkenne einen Aufschwung bei Interroll, das Unternehmen gewinne wieder Kunden. Jedoch werde es einige Zeit dauern, bis sich höhere Aufträge positiv auf den Umsatz auswirkten. Folglich wird 2025 wohl ein Übergangsjahr. 

Die starke Verunsicherung wegen des Zollstreits hat sich inzwischen ein Stück weit gelegt. Der Volatilitätsindex VIX ist von über 50 auf leicht über 30 gefallen und somit nach wie vor erhöht. Die geo- und handelspolitische Entwicklung ist weiter unklar, zumindest haben die Regierungen in Washington und Peking keine Signale einer nachhaltigen Entspannung respektive echten Normalisierung gesendet. Zudem dürften die Gewinnschätzungen der Unternehmen die neuen Gegebenheiten noch nicht komplett abgebildet haben. Anleger werden sich daher auf weitere Kurs- und Bewertungsveränderungen einstellen müssen.

Reto Zanettin
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