In New York hat der Technologieindex Nasdaq 100 am (gestrigen) Dienstag bei 12'292 Punkten geschlossen: Das ist ein neuer Rekord. Genaugenommen war dies das zehnte Mal innerhalb von zwölf Tagen, dass das illustre Börsenbarometer mit Konstituenten wie Apple, Tesla und Amazon auf einen Rekordstand gestiegen ist. Daneben erreichte auch der S&P 500 mit seinen 500 grössten kotierten US-Gesellschaften bei 3526 Punkten ein noch nie dagewesenes Hoch.

Man weiss, dass unzählige Kleinanleger dabei sind. Viele haben von der eindrücklichen Erholung der Aktienmärkte seit Mitte März profitiert. Doch sie sind nun in Gefahr. Dies jedenfalls ist die Ansicht von Mohamed El-Erian, einer der Top-Wirtschaftsberater beim deutschen Versicherungskonzern Allianz.

 

 

Auch Fondsmanager würden derzeit kaum Wetten auf fallende Märkte platzieren, sagt El-Erian. Dies, obwohl Bedenken wegen hoher Bewertungen umhergingen, welche die Fundamentaldaten nicht mehr korrekt wiedergäben. Grosse und professionelle Investoren bereiteten sich dagegen bereits auf eine Abkühlung des Aktienmarktes vor.

Der Anlageprofi greift die Signale aus dem Optionenhandel auf, über die auch bereits geschrieben worden ist: Indem enorm viele "Calls" laufen, also Optionsgeschäfte mit der Erwartung steigender Kurse, häufen sich Risiken an. Seine Bedenken am Markt illustriert El-Erian auch mit seiner Beobachtung von "versierten" Anlegern, die zwecks Absicherung zu Derivaten griffen. Dies sei einer der Gründe, weswegen der Volatilitätsindex VIX angesichts kontinuierlich steigender Kurse recht deutlich ausschlage.

Mehr zum Thema: 

Risiko «Corporate Action»: Wenn Aktionäre die Gelackmeierten sind

Der Dollar fällt unter 90 Rappen: Dies passiert als nächstes

Pimco setzt auf Rally niedergeprügelter Luftfahrt- und Hotel-Werte

Es wird auf steigende Aktienkurse gewettet wie vor der Dotcom-Krise

Der ägyptisch-amerikanische Anlageprofi El-Erian trägt einen der grossen Namen in der Finanzszene. Heute als hochkarätiger Redner und Analyst geschätzt, war er 2007 bis 2014 CEO bei der Allianz-Tochter Pimco, zwischenzeitlich eine der erfolgreichsten Fondsgesellschaften der Welt.

El Erian legte seinen Punkt in einem Gastbeitrag für die Londoner Wirtschaftszeitung "Financial Times" dar (Beitrag bezahlpflichtig). "Man kann das Ausmass der heutigen Risikonahme in den US-Märkten kaum übertrieben darstellen", schreibt der Finanzprofi. Seiner Meinung nach ist es ein Problem, dass die Fundamentaldaten von Wirtschaft und Unternehmen die Kurse nicht korrekt wiedergeben.  

 

 

El-Erians Analyse steht im Gegensatz zur Analyse vieler "Aktienbullen", welche eine Weiterführung der Rally erwarten. Sie sehen den Treiber vor allem im weiter üppig fliessenden Billiggeld aus den "Speichern" der Grossbanken. Sie setzen auch darauf, dass die Digitalisierung als Implusgeber der Märkte weiterfunktionieren wird und sie bezweifeln, dass die hohen Bewertungen angesichts tiefer Zinsen als massgeblicher Richtwert für Marktrisiken herangezogen werden können. Zudem zeigt die Statistik, dass gerade in einem Jahr mit amerikanischen Präsidentenwahlen die Märkte generell gut laufen.

Schwieriger ist im Moment die Deutung von konjunkturellen Daten: Diese lassen an einem Tag hoffen, an einem anderen Tag wieder Sorgen aufkommen. El-Erian selbst sieht keine Anzeichen eine nachhaltige Erholung von den Schäden, welche die Coronaviruskrise angerichtet hat: Kurzzeitige Störungen könnten zu "Langfrist-Narben" werden, warnt er.

«Mom and Pop types» in Gefahr

Noch stehen alle Zeichen auf positive Märkte. Auch El-Erian schreibt, dass es einen "grossen Schock" bräuchte, um die Kurse deutlich tiefergehen zu lassen: Ein erneuter wirtschaftlicher Einbruch oder schwerwiegende Fehler in der Geld- oder Finanzpolitik von Notenbanken und Regierungen. Dies sind nicht unmittelbar zu erwartende, aber denkbare Entwicklungen.

Die Falle für die privaten Retailinvestoren – "Mom and Pop Types", wie sie in englischsprachigen Ländern auch genannt werden – drohe dann zuzuschnappen: "Eine grosse Marktkorrektur, sollte sie denn eintreten, würde mehr Verkäufe der professionellen Anleger auslösen und jene Kleinanleger überrollen, die in letzter Zeit auf den Zug aufgesprungen sind."