cash.ch: Das laufende Jahr brachte DeepSeek und den neu aufgekommenen Handelsstreit. Wie fällt Ihr Fazit für die ersten Wochen des Jahres 2025 aus?

Moz Afzal: Donald Trump wird unser Leben in den nächsten vier Jahren sehr spannend machen, und künstliche Intelligenz ist derzeit bei weitem das interessanteste Thema. Niemand hätte wirklich gedacht, dass DeepSeek mit sehr begrenzten Ressourcen das erreichen könnte, was sie erreicht haben. Die Entwickler waren in der Lage, mit sehr begrenzten Ressourcen eine relevante Innovation zu schaffen. Die Bewertungen der etablierten Technologieunternehmen sind derzeit historisch gesehen hoch. DeepSeek stellt diesen teuren Sektor und seine Gewinnentwicklung in Frage. Es sind also künstliche Intelligenz, Innovation und Bewertungen, die den Markt prägen. Schauen Sie sich nur den Aktienkurs von Nvidia an, als DeepSeek auftauchte. Doch der gesamte Halbleitersektor war von der DeepSeek-Innovation betroffen.

Nach DeepSeek war oft von einer Demokratisierung der künstlichen Intelligenz die Rede – wegen des Open-Source-Ansatzes. Ist das tatsächlich eine Bedrohung für Nvidia und andere?

Es ist eine Bedrohung und eine Chance zugleich. Im Moment herrscht ein Mangel an Technologie, insbesondere an Infrastruktur für Künstliche Intelligenz. Die grösste Beschränkung für Google und Microsoft sind Rechenzentren. Das ist der Engpass, der derzeit durch die schnell wachsende Nachfrage verursacht wird. DeepSeek steigert diese Nachfrage, denn sobald man den Preis der Technologie senkt, erhöht sich die Nachfrage danach. Es gibt also eine Volumensteigerung. Und daher ist Ihr Argument der Demokratisierung absolut valide.

Aber?

Das Problem ist die Marge. Im Moment kann man bis zu 20 Prozent mehr verlangen, weil Chips knapp sind. Diese Margen werden jedoch sinken, wenn das Volumen steigt. Wir befinden uns gerade in einer Phase, die ich als Luftloch bei den Herstellern bezeichne – eine Herausforderung für die Branche. Und deshalb haben wir die Reaktionen gesehen, die wir gesehen haben. Die Nutzniesser sind immer noch dieselben Unternehmen, allerdings mit geringeren Margen bei steigendem Volumen. Allerdings: Die zuvor hohen Margen haben die bisherige Innovation hervorgebracht. Jetzt müssen die Volumina so schnell steigen, wie die Margen sinken, damit der Innovationsprozess weitergehen kann.

Wie werden sich Nvidia und die anderen Technologieunternehmen jetzt verhalten und anpassen?

Es gibt zwei Möglichkeiten einer Einschätzung. Erstens müssen auch die grossen Tech-Unternehmen eine Umstellung auf Open Source in Betracht ziehen. Dieser Schritt würde eine Bedrohung für DeepSeek darstellen, erfordert aber eine Veränderung bestehender Innovationen und Geschäftsmodelle. Zweitens waren die Innovationen von DeepSeek zweifellos fantastisch und haben einen grossen Einfluss auf die Branche. Gleichzeitig brauchen die Chinesen aber viel mehr Geld und viel mehr Ressourcen, um voranzukommen. Und wir wissen nicht wirklich, ob sie nachhaltig Erfolg haben werden. Wir können nicht genau sagen, wer die Gewinner und Verlierer sein werden. Daher müssen wir sehr genau hinschauen und verstehen, wie sich diese Dynamik fortsetzt.

Inwiefern sehen Sie auch eine Verschiebung von den Halbleiterherstellern hin zu Anwendern im Softwarebereich – beispielsweise zu Salesforce?

Wir gliedern den Sektor in vier Teile: Die Halbleiterindustrie ist die Wurzel. Dann gibt es die Hyperscaler, also die Infrastrukturanbieter. Drittens gibt es die Sprachmodelle, welche die Chips und die Cloud entstehen lassen. Und schliesslich haben wir die Unternehmen und Kunden, welche die Innovationen nutzen, um beispielsweise effizienter zu werden. Unternehmen wie Microsoft oder Google sind in der gesamten Kette vertreten, während andere nur einen Teil davon abdecken. Wenn die Unternehmen aber in allen vier Teilbereichen mitspielen, werden sie nicht in jedem einzelnen an der Spitze sein. Sich auf einen der vier Teile zu konzentrieren, ist strategisch also am besten.

Der neue US-Präsident Donald Trump hat den Handelsstreit wieder eskalieren lassen. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Kosten dieses Handelsstreits für die Amerikaner so hoch sind, dass Trump seine Pläne deutlich zurückschraubt?

Wir verfolgen die Auswirkungen der Zölle auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) genau. Am stärksten betroffen ist China. Dann folgen die USA, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und andere Länder. Die USA werden 0,6 Prozent ihres BIP verlieren. Trump sollte die Zölle also besser nicht erhöhen, denn sie haben direkte Auswirkungen auf die US-Wirtschaft. Dennoch gibt es Möglichkeiten, diese negativen Auswirkungen abzumildern. Deregulierung sollte die Produktivität steigern, niedrigere Zinsen werden die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln. Und nicht zuletzt setzt Trump die Zölle als Verhandlungsinstrument ein – es ist möglich, dass sie am Ende niedriger ausfallen als erwartet. Wir sehen, dass sich 10 Prozent für Europa und 20 Prozent für China als Konsens herauskristallisieren. Die Märkte werden also auf alles reagieren, was besser oder schlechter ist als dies.

Trump begründet die Zölle mit dem Handelsdefizit der USA gegenüber den anderen Ländern. Ist dieses Argument stichhaltig?

Nein, denn diese Zölle bremsen das Wirtschaftswachstum und belasten die unteren Schichten der Konsumenten – aber auch die typischen republikanischen Wähler. Allerdings helfen die Zölle Trump, seine politische Agenda bei den entsprechenden Gegenparteien durchzusetzen – gegenüber China zum Beispiel. Und es gibt noch eine weitere Dynamik: Die erweiterte BRICS-Staatengruppe repräsentiert etwa die Hälfte des globalen BIP und die Hälfte der Weltbevölkerung. Diese Länder können ihre eigene Handelsorganisation gründen und untereinander viel niedrigere Zölle erheben. Und das ist es, was Trump nicht mag – denn es ist ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen Überlegenheit der USA.

Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Länder den USA mit einer gemeinsamen Währung gegenübertreten werden?

Es ist schwierig, zehn relativ unabhängige Länder unter einer gemeinsamen Währung zu vereinen. Ich glaube daher nicht wirklich, dass das machbar ist, jedenfalls nicht in den nächsten fünf Jahren. Man könnte darüber reden, man könnte Fortschritte machen, aber es wird eine sehr langwierige Diskussion, die viele Jahre oder Jahrzehnte dauern könnte, bis etwas erreicht wird. Aber: Die Gründung einer Handelsorganisation und einer Entwicklungsbank zur Finanzierung grosser Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte ist in den nächsten fünf Jahren machbar.

Teilen Sie die Ansicht, dass es aufgrund des Handelskonflikts zu einer breiteren Umschichtung von Large Caps hin zu Small und Mid Caps kommt?

Dazu gibt es zwei Aspekte: Erstens ist die Konzentration der Top-10-Aktien im S&P 500 auf einem Niveau, das wir seit den 1960er Jahren nicht mehr gesehen haben. Wir erreichen also den Wendepunkt und eine weitere Expansion in den Top-10-Werten wird je länger, je schwieriger. Nun begünstigt Trumps Politik kleinere und mittelgrosse Unternehmen, weil Unternehmen ihre Produktion zurück in die USA verlagern, um die Zölle zu umgehen. Der geopolitische Hintergrund ist angesichts der Handelszölle Trumps also gut für kleinere Unternehmen. Darüber hinaus sehen die zyklischen Komponenten besser aus: Die Zinsen sinken, die Kreditspreads bleiben sehr eng und Trump will die Unternehmenssteuersätze senken. Diese wirken sich hinsichtlich der Gewinne auf kleinere Unternehmen stärker aus als auf grosse Unternehmen. Ich würde darum sagen, dass es einen Wendepunkt für die Aktionäre in Bezug auf die Überkonzentration in grossen Unternehmen gibt. Es gibt auch einen politischen Wendepunkt mit der Handels- und Unternehmenssteuerpolitik. Es gibt ferner einen zyklischen Wendepunkt, da die Zinssätze sinken und die Spreads eng bleiben. Aus diesen drei Hauptgründen würden wir kleinere und mittelgrosse Unternehmen bevorzugen.

Können Sie einige Aktien nennen, die Sie bevorzugen?

Wir geben keine Einzelaktienempfehlungen ab, doch zu unseren favorisierten Sektoren zählen Finanzwerte und zyklische Konsumgüter. Im Moment untergewichten wir Technologie, da einige dieser grösseren Unternehmen sehr stark konzentriert sind. An dem Tag, als DeepSeek auftauchte, war der S&P negativ, während der Russell 2000 und der mittlere S&P positiv waren – ein sehr gutes Zeichen dafür, dass Überkonzentration schaden kann.

Es gibt noch einen weiteren geopolitischen Konflikt: den Krieg in der Ukraine. Welches Szenario erwarten Sie?

Das Blatt hat sich gewendet. Alle Parteien sind heute verhandlungsbereiter als noch vor einigen Monaten. Die USA üben mehr Druck auf die Ukraine aus, ein Abkommen abzuschliessen und zu akzeptieren. Natürlich würde Trump es begrüssen, wenn der Ölpreis um weitere 20 Dollar fallen würde. Das sollte Russland an den Verhandlungstisch bringen – da der Ölpreis und Energie im Allgemeinen die grösste Einnahmequelle Russlands ist und den Krieg finanziert. Ich denke, dass es in den kommenden Monaten einen enormen Druck geben wird, die Verhandlungen zu beschleunigen. Abgesehen davon hat Trump ein viel besseres Verhältnis zu Putin als Biden es zu Putin hatte. Trump kann also die Ölpreise als Zuckerbrot und Peitsche gegenüber Russland einsetzen. Niedrigere Ölpreise sind die Peitsche, bessere Beziehungen zu den USA sind das Zuckerbrot. Höchstwahrscheinlich wird dies Trumps Strategie sein, um alle Parteien zu Verhandlungen zu bewegen.

Niedrigere Ölpreise sollten den Inflationsdruck verringern und das Wirtschaftswachstum ankurbeln, richtig?

Stimmt. Aber sehen Sie sich die Position Russlands an. Was würde Russland wollen, wenn es am Verhandlungstisch sässe? Drei Dinge: Es würde das Land behalten wollen, das es bereits besitzt. Es will keine weitere Erweiterung der NATO und keinen Beitritt der Ukraine zur NATO. Und es will, dass alle Sanktionen aufgehoben werden. Alles – auch niedrigere Ölpreise –, was dagegen spricht, ist ein Grund, gar nicht erst am Verhandlungstisch zu erscheinen.

Wie können sich Anleger in diesem veränderten und anspruchsvollen Umfeld positionieren?

Wir sind derzeit beispielsweise in Energieaktien untergewichtet, weil wir befürchten, dass die Ölpreise um 10 bis 20 Dollar fallen könnten, wenn Trump sein geopolitisches Narrativ erfolgreich umsetzen kann. Umgekehrt sind wir der festen Überzeugung, dass mittlere und kleinere Unternehmen in der Schweiz derzeit stark im Vorteil sind – da die Zinsen sinken und der Schweizer Franken nicht weiter aufwerten wird. Das dürfte sich positiv auf den Schweizer Exportmarkt auswirken, und kleine und mittlere Schweizer Unternehmen dürften davon stark profitieren. Daher übergewichten wir Schweizer Aktien in unserer globalisierten Allokation.

Mozamil («Moz») Afzal ist Global CIO von EFG Asset Management und CEO von EFG Asset Management (Vereinigtes Königreich). Er kam 1994 zu EFG Private Bank und wurde im März 2003 zum Direktor und Anlagechef (CIO) der EFG Private Bank. Im Januar 2000 wurde er zum Direktor von EFG Asset Management ernannt. Bevor er zu EFG kam, war er Analyst beim britischen Finanz- und Wirtschaftsministerium. Afzal hält einen Bachelor-Titel in Mathematik von der Middlesex University und einen MBA von der Aston University.

Reto Zanettin
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